fragte sie matt und blinzelte ins helle Tageslicht. »Herr Dr. Norden?« Endlich erkannte sie den Mann, der geduldig an ihrem Bett ausharrte und sie jetzt erleichtert anlächelte.
»Frau Kühn, wie geht es Ihnen?«
»Als hätte mich ein Laster überfahren«, versuchte Simone zu scherzen. Als sie vorsichtig Luft holte, verzog sie das Gesicht vor Schmerzen. »Schrecklich. Es tut so weh.«
»Keine Sorge. Ich bin sicher, dass die Schmerzmittel bald wirken. Dann wird es etwas leichter«, versprach Daniel fürsorglich. »Und mit jedem Tag werden Sie sich besser fühlen. Vorausgesetzt natürlich, Sie sind brav und tun, was die Ärzte Ihnen sagen.«
Simone Kühn schickte Dr. Norden einen schrägen Blick.
»Und was werden sie sagen?«
»Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe.« Daniel lächelte dabei und hoffte, Simone wäre zu erschöpft, um sich groß Gedanken zu machen.
Mit dem nächsten Satz zerstörte sie seine Hoffnung.
»Unmöglich!« Mit einem Ruck versuchte sie, sich im Bett aufzusetzen. Stöhnend vor Schmerz fiel sie zurück in die Kissen. »Ich muss Aramis helfen. Mein Vater bringt ihn sofort um, wenn er erfährt, was passiert ist.«
»Sie dürfen sich unter keinen Umständen aufregen. Wenn Sie das Bett verlassen, riskieren Sie Ihr Leben«, redete Daniel ihr eindringlich ins Gewissen.
Glücklicherweise waren die Schmerzen zu groß, so dass sich Simone im Augenblick ohnehin nicht bewegen konnte. Ihre Augen waren groß und unglücklich, als sie angestrengt nachdachte.
»Der Prinz!«, fiel ihr plötzlich ein, wer Aramis noch retten könnte. »Hasher!« Sie sah Daniel aufgeregt an. »Er ist der Einzige, der mir und Aramis noch helfen kann. Bitte, Sie müssen ihn holen.« Verzweifelt packte sie Daniel Norden am Arm und zerrte daran. »Helfen Sie mir!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und ihre Unterlippe zitterte.
Daniel, der die stolze, fleißige Frau schon einige Jahre kannte, wusste, dass sie sich selbst für diese Schwäche verachtete. Aber er wusste auch, dass sie ein Zeichen dafür war, dass ihr dieses Pferd auch nach allem, was geschehen war, mehr am Herzen lag als ihr eigenes Leben.
»Also gut«, erklärte er sich schließlich bereit, ihr diesen Wunsch zu erfüllen und sich auf die Suche nach dem Prinzen zu machen. Glücklicherweise hatte er Hasher mit einem deutschen Handy ausgestattet. Er stand auf und lächelte Simone beruhigend an, als ihm noch etwas einfiel. »Aber davor müssen Sie mir verraten, warum Ihnen dieses Pferd so wichtig ist.«
Simones Reaktion auf diese in seinen Augen harmlose Frage verwirrte Dr. Norden zutiefst.
Augenblicklich verschloss sich ihr blasses Gesicht und wirkte wie eine steinerne Maske. Sie haderte mit sich.
»Ich habe noch nie darüber gesprochen«, presste sie durch die blutleeren Lippen und wich Daniels Blick aus.
»Sie können mir vertrauen«, versicherte der Arzt und setzte sich wieder. »Bitte. Vielleicht geht es Ihnen danach besser.«
Simones Blick irrte durch das Zimmer. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. »Ja«, murmelte sie nach einer gefühlten Ewigkeit. »Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht tut es mir wirklich gut, mit jemandem darüber zu reden. Mit meinem Vater konnte ich es nicht. Er weiß nicht, was mir Aramis bedeutet.« Und dann begann sie zu erzählen.
Daniel Norden saß reglos an ihrem Bett und lauschte ihrer traurigen Geschichte. Als sie geendet hatte, sagte niemand ein Wort. Es war ein warmer Sommertag. Durch das gekippte Fenster drang fröhliches Gezwitscher. Irgendwo lachte ein Kind. Simone schien nichts davon wahrzunehmen. Wie versteinert saß sie halb aufrecht im Bett und starrte blicklos vor sich hin.
Schließlich gab sich Daniel einen Ruck und stand auf. Er wusste, was er jetzt zu tun hatte.
»Ich hole den Prinzen«, versprach er und verließ das Zimmer. Auf dem Weg in den Aufenthaltsraum, wo er gefahrlos mit dem Handy telefonieren konnte, dachte er über Simone nach. Über den waidwunden Blick, mit dem sie ihn angesehen und der ihn tief ins Mark getroffen hatte. Über ihr trauriges Geheimnis, das sie schon so viele Jahre mit sich herumtrug. Jetzt war der erfahrene Arzt ganz sicher: Aramis durfte nichts geschehen, wenn seine Besitzerin überleben sollte.
Als Prinz Hasher hörte, was passiert war, zögerte er nicht und eilte zu Simone Kühn in die Klinik. Sie war so schwach und verzweifelt, dass ihr Tränen der Erleichterung über die Wangen strömten, als der charismatische Mann ihr Zimmer betrat.
»Hasher!«, seufzte sie und griff nach seiner Hand, als er zu ihr ans Bett trat. Wieder schlug ihr Herz schneller, wie es das sonst nur bei René getan hatte. Aber René würde nie wieder zu ihr zurückkommen, und so verbot sie sich, ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Gefühle für Hasher zu haben. »Sie wissen nicht, wie froh ich bin, Sie zu sehen.«
»Warum sind Sie allein in die Box gegangen?«, fragte er, und die Verzweiflung stand ihm ins markante Gesicht geschrieben. Er drückte ihre Hand. Das war das schönste Gefühl, das Simone seit Langem empfunden hatte. Fast wünschte sie sich, er würde ihre Hand nie wieder loslassen. »Sie sind so eine erfahrene Frau. Sie wissen doch genau, welche Gefahr ein wütendes Pferd sein kann.«
Beschämt senkte Simone den Blick.
»Ich dachte, wenn ich nur entschieden genug bin, könnte ich Aramis zur Vernunft bringen«, gestand sie leise. »Ein Irrtum.«
»Der Sie fast das Leben gekostet hätte.«
»Das ist mir egal«, begehrte Simone Kühn verzweifelt auf. »Aramis muss leben. Er darf nicht sterben. Dafür gebe ich alles. Wenn es sein muss, auch meine Gesundheit.«
Ihre Entschiedenheit verwunderte den Prinzen zutiefst. Sicher, er liebte diese edlen, stolzen Tiere auch. Aber mehr als sein eigenes Leben? Nein, diese Frage konnte er klar und ohne lange darüber nachzudenken beantworten.
»Daniel Norden hat mir gesagt, was Sie von mir erwarten«, erklärte er sehr ernst und gemahnte Simone mit einem Händedruck, sich zu beruhigen. »Ich habe inzwischen mit meinem Vater gesprochen. Wir sind beide der Meinung, dass Aramis ein traumatisches Erlebnis gehabt haben muss.«
»Aber ich habe mit allen Mitarbeitern gesprochen, die ihn auf das Turnier begleitet haben«, beteuerte Simone zum wiederholten Male. »Es sind zuverlässige Leute, denen ich ausnahmslos Glauben schenke.«
Hashers nachdenklicher Blick wanderte hinüber zum Fenster und hinaus in den wunderschönen Garten, den Jenny Behnisch nach ihren eigenen Plänen hatte gestalten lassen. Auf diese Weise war eine grüne Oase inmitten der Stadt entstanden. Inmitten exotischer Bäume und Sträucher, an Bachläufen und auf Kieswegen konnten Patienten und Personal wenigstens für eine Weile vergessen, wo sie waren, und sich in fremde Welten träumen. Doch in diesem Augenblick hatte der Prinz keinen Blick für die Schönheiten, die die Natur zu bieten hatte. Er dachte angestrengt nach.
»Ich bleibe trotzdem dabei«, kehrte er schließlich aus seinen Gedanken zurück. »Es muss etwas passiert sein, als keiner der Mitarbeiter bei Aramis war. Vielleicht haben sie ihn ein paar Minuten aus den Augen gelassen.«
Aufmerksam hatte Simone Kühn seinen Worten gelauscht.
»Sie denken an Sabotage?«, fragte sie erschrocken.
»Möglicherweise«, gab Hasher zu. »Immerhin ist Aramis ein erfolgreiches Turnierpferd. Möglicherweise wollte jemand seinen Sieg verhindern.«
»Das könnte schon sein«, seufzte Simone bedrückt. »Aber im Grunde ist das im Augenblick egal. Aramis muss wieder normal werden.«
»Sie haben recht.«
»Sie müssen mir helfen«, wiederholte Simone Kühn ihre Bitte flehentlich. »Tun Sie etwas für Aramis. Schnell, bevor mein Vater ein Unheil anrichtet.«
Die aparte, leidenschaftlich kämpfende Frau wirkte so verzweifelt, dass der Prinz nicht anders konnte als seine Hilfe zuzusagen.
»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun«, versprach er feierlich, ehe er sich über