sah ihn mit einem langen, ernsten Blick an, als ob er die wahre Gesinnung des Polen erforschen wollte.
»Ich wünschte, es wäre nicht so gekommen«, sagte er halb zu sich selbst. »Ich hoffte, einen brauchbaren Menschen aus Ihnen zu machen, Poltavo, aber ich sehe, daß ich mich in Ihnen getäuscht habe. Ich hatte mir eingebildet, daß Gefühle nie eine Rolle in unseren Beziehungen spielen würden. Oder wollen Sie Doris des Geldes wegen heiraten – wollen Sie ihr Vermögen haben?« fragte er plötzlich.
Poltavo schüttelte den Kopf.
»Ihr verdammtes Geld!« sagte er hitzig. »Ich will das Mädchen haben! Jeden Tag erscheint sie mir wertvoller und begehrenswerter.«
»Andere Frauen waren Ihnen auch schon teuer«, erwiderte Farrington leise und erregt. »Aber wie lange haben sie sich Ihrer wandelbaren Zuneigung erfreuen dürfen? Solange es Ihnen paßte! Und wenn Sie genug hatten, haben Sie sie im Stich gelassen und fortgeworfen, als ob sie Ihnen nie etwas bedeutet hätten. Ich kenne Ihr Vorleben genau. Ich möchte jetzt nur noch Gewißheit haben, ob Sie im Ernst sprechen, denn wenn das der Fall ist …« Er machte eine Pause.
»Nun, was geschieht dann?« fragte Poltavo herausfordernd.
»Dann werden Sie dieses Haus nicht lebend verlassen.«
Farrington sagte das in einem so sachlichen Ton, daß die volle Bedeutung seiner Worte dem Polen nicht sofort klar wurde.
Poltavo lächelte, aber plötzlich erstarrten seine Züge. Mit einer unvermutet raschen Bewegung griff er an seine Hüfte, zog eine Pistole aus der Tasche und richtete sie auf Farrington.
»Versuchen Sie keinen Ihrer Tricks«, rief er. Sein Atem ging schnell. »Ich bin auf alles vorbereitet, Farrington! Sie machen einen Fehler, wenn Sie mir drohen wollen.«
»Ich mache nicht solche Fehler wie Sie«, erwiderte Farrington lächelnd. »Schießen Sie doch Ihre Pistole ab, wenn Sie können. Ich habe aber den Eindruck, daß keine Patronen im Magazin sind.«
Ein Blick auf die Waffe genügte Poltavo, um ihn davon zu überzeugen, daß Farrington die Wahrheit gesprochen hatte. Er wurde bleich.
»Nun«, sagte er plötzlich liebenswürdig, »wir wollen diesem unvernünftigen Streit ein Ende machen. Ich bin ja eigentlich hierhergekommen, um zu sehen, was ich für Sie tun könnte.«
»Sie sind hergekommen, um meine Zustimmung zu Ihren Wünschen, Doris betreffend, zu erzwingen! Die Sache hätte besser ausgehen können.« Er klingelte, und Dr. Fall kam nach einigen Augenblicken herein.
»Geben Sie dem Grafen etwas zu essen, bevor er das Haus verläßt. Er geht nach London zurück.«
Der sachliche Ton, in dem Farrington seinen Auftrag gab, brachte Poltavo wieder zu sich; namenlose Furcht hatte ihn befallen. Es lag eine seltsame Drohung in der Stille dieses großen Hauses. Aber allmählich gewann er seine Fassung wieder, und sein Selbstbewußtsein kehrte zurück, als er in der Tür stand.
»Haben Sie sich jetzt wegen Doris entschieden?« fragte er.
»Das sollte Ihnen doch klargeworden sein«, erwiderte Farrington.
»Nun, dann ist es gut.«
Poltavo folgte Dr. Fall den Gang entlang. Der Arzt öffnete eine kleine Tür, die zu einer erleuchteten Fahrstuhlkabine führte. Poltavo ging hinein, und die Tür schloß sich automatisch hinter ihm.
»Wie bringe ich den Fahrstuhl in Gang?« fragte er durch das Eisengitter.
»Das besorge ich von der Außenseite«, entgegnete Dr. Fall liebenswürdig und drückte auf einen elektrischen Knopf.
Der Lift bewegte sich nach unten. Poltavo kam an der Stahltür des ersten Geschosses und an der Stahltür des Parterres vorbei, aber der Fahrstuhl hielt nicht an. Er fuhr immer tiefer und tiefer, langsam und gleichmäßig bewegte er sich nach unten. Schließlich kam er zum Stillstand, und zwar vor einer Tür, die aus einer großen Anzahl dünner horizontaler Stahlstangen bestand. Als er anhielt, öffnete sich die Tür geräuschlos. Alle Sinne Poltavos waren jetzt wach. Er, den noch keiner an Intrigen und Verrat überboten hatte, war nun selbst ein Opfer eines Verrats geworden. Er verließ den Fahrstuhl noch nicht, sondern bereitete sich auf alle Möglichkeiten vor. Schnell zog er einen Bleistift aus der Tasche und kritzelte hastig einige Worte auf die Holzwand der Kabine. Dann trat er in das Halbdunkel hinaus.
Er sah sich in einem großen Raum, in dem ein Bett und Stühle standen. Über einem Tisch brannte ein düsteres Licht. Eine Anzahl elektrischer Schalter an der gegenüberliegenden Wand schien angebracht zu sein, um den Raum noch mehr erhellen zu können. Er überlegte, daß er sich ja wieder durch den Fahrstuhl nach oben retten konnte, wenn es zum Äußersten kommen sollte. Er durchsuchte seine Taschen mit fieberhafter Hast. Gewöhnlich trug er für den Notfall eine oder zwei Patronen lose bei sich, und er fand auch in seiner obersten Westentasche zwei Stück. Eilig lud er die Pistole damit. Die Patronen konnten nur von seiner Aufwartefrau aus seiner Pistole genommen worden sein; wahrscheinlich wurde sie von Farrington bezahlt und hatte die Bewohner des »geheimnisvollen Hauses« auch von seiner Abreise benachrichtigt.
Es war ja nur zu natürlich, daß der mächtige und kluge Farrington nichts dem Zufall überließ. Poltavo war wütend auf sich selbst, daß er sich so leicht in Sicherheit hatte wiegen lassen. Es war hell genug, daß er quer durch den Raum gehen konnte. Er drehte einen Schalter an der Wand an, und drei Lampen flammten an dem anderen Ende auf. Als er auch die übrigen Lichter eingeschaltet hatte, war das Zimmer fast taghell erleuchtet.
Die Wände dieses unterirdischen, künstlerisch ausgestatteten Raumes waren rot gestrichen. In der Ecke stand eine kleine Messingbettstelle; die Luft war frisch und rein. An den Wänden befanden sich in gleichen Abständen Luftschächte und Ventilatoren.
Es war eigentlich kein unangenehmes Gefängnis, dachte Poltavo. Er war noch dabei, den Raum genauer zu untersuchen, als er ein Geräusch hinter sich hörte und sich umdrehte. Die Stahltür des Liftes hatte sich geschlossen. Er kam gerade noch zurecht, um zu sehen, wie der Fußboden der kleinen Kabine nach oben verschwand. Wieder fluchte er über sich selbst, daß er so unvorsichtig und töricht gewesen war. Er hätte einen Stuhl in die Tür stellen können, so daß sie sich nicht schließen konnte – das wäre doch die einfachste Vorsichtsmaßregel gewesen! Aber die Möglichkeiten, die dieses »geheimnisvolle Haus« in sich barg, waren ihm noch nicht voll zum Bewußtsein gekommen.
Vielleicht waren die Stühle auch befestigt. Er versuchte, den einen aufzuheben, und sah, daß sein Verdacht unbegründet war. Nur ein einziger Stuhl war am Boden befestigt – der große Sessel, der am Kopfende des Tisches stand. Er war massiv und schwer gebaut und mit starken Klammern festgehalten.
In einer Ecke entdeckte er eine vergitterte Tür und vermutete, daß sie zu einem kleineren Aufzug gehöre.
Mit dieser Annahme hatte er recht, denn während er die Öffnung noch betrachtete, tat sich eine Fallklappe in der Decke auf, und eine kleine Plattform senkte sich geräuschlos herunter, auf der ein Tablett mit allerhand Gerichten stand. Er nahm es heraus, stellte es auf den Tisch und betrachtete es. Zwischen den Schüsseln lag ein kleiner, mit Bleistift geschriebener Zettel:
»Sie können unbesorgt die Speisen zu sich nehmen, die wir Ihnen hinunterschicken. Dr. Fall verbürgt sich persönlich für ihre Güte und wird das, wenn notwendig, in Ihrer Gegenwart beweisen. Wenn Sie etwas wünschen, so finden Sie eine kleine Klingel an der Unterseite des Tisches.«
Poltavo schaute auf das Essen. Er war entsetzlich hungrig. Er mußte zwar damit rechnen, daß es vergiftet war, aber die Leute hier hatten ihn ohnehin so vollkommen in ihrer Gewalt, daß er sich deswegen keine Sorgen zu machen brauchte. So stärkte er sich denn an den wohlschmeckenden Gerichten, ohne den geringsten Schaden dabei zu nehmen. Als er fertig war, besann er sich auf die Klingel. Nach kurzem Suchen fand er sie auch an der Ecke des Tisches und drückte sie. Er hatte nicht lange zu warten, dann hörte er ein schwaches Summen und ging quer durch den Raum zu der geschlossenen Tür des Fahrstuhls. Er hatte seine Pistole bereit, seine Blicke waren auf die dunkle viereckige Öffnung gerichtet, durch die er den Raum betreten