wie er dorthin gekommen war.
»Ich hoffe, daß ich Sie nicht zu sehr erschreckt habe«, sagte der Arzt mit einem ruhigen Lächeln. »Ich kam nicht den Weg, den Sie erwarteten. Es gibt drei verschiedene Zugänge zu diesem Raum, und sie sind alle drei gleichmäßig schwer zu finden.«
»Darf ich Sie fragen, was dieser Gewaltakt zu bedeuten hat?«
»Ihr vorwurfsvoller Ton zeugt von Ihrem Selbstbewußtsein.« Dr. Fall setzte sich gelassen an den Tisch, nahm seine Zigarrentasche heraus und hielt sie seinem unfreiwilligen Gast hin.
»Ach, Sie rauchen nicht – das tut mir leid –, möchten Sie lieber Zigaretten haben?«
»Ich danke Ihnen, ich habe genügend Zigaretten bei mir.«
Der Doktor schnitt erst in aller Ruhe die Spitze seiner Zigarre ab und entzündete sie, bevor er sprach.
»Ich bewundere Ihre Kaltblütigkeit. Das Wort ›Gewaltakt‹ hört sich etwas komisch aus Ihrem Munde an, Graf, aber ich führe nur Mr. Farringtons Befehle aus, wenn ich Ihnen Ihre jetzt unglückliche Lage erkläre. Sie haben unseren Freund durch Ihr Verhalten sehr verärgert, und er ist im Augenblick entschlossen, Sie strenge zu behandeln und an Ihnen dasselbe harte Urteil zu vollziehen, das er an zwei Leuten vollstrecken mußte, die bei dem Bau dieses Hauses beschäftigt waren, einen Erpressungsversuch gegen ihn wagten und drohten, ihn zu verraten.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Dann sind Sie einer der wenigen Menschen in London, die keine Kenntnis davon haben«, entgegnete Dr. Fall lächelnd. »Einer der beiden war ein Architekt, der andere einer von den tüchtigen Leuten, wie man sie manchmal auf dem Festland trifft. Er konnte ebensogut in der Rolle eines Elektroinstallateurs als eines Kellners auftreten. Die beiden waren engagiert, um bei der Erbauung des Hauses zu helfen. Sie waren mit einer Anzahl anderer Arbeiter aus Italien hergebracht worden, und man hatte ihnen einen Teil der Arbeiten übertragen. Aber sie waren mit der glänzenden Bezahlung, die sie erhielten, nicht zufrieden und wollten durch Erpressung noch größere Summen an sich bringen. Ihr Vorgehen führte schließlich dazu, daß sie eines Abends am Brakely Square den Tod fanden.«
»Hat Farrington sie getötet?« fragte Poltavo atemlos.
»Das will ich nicht gerade behaupten«, erwiderte Dr. Fall gewandt. »Ich habe nur gesagt, daß sie starben. Es war ihr Unglück, daß sie unabhängig voneinander handelten. Sie stritten heftig miteinander, als sie herausfanden, daß sie beide in derselben Absicht gekommen waren, da sie den geheimnisvollen Bauherrn des Hauses als Gregory Farrington, einen hochachtbaren Millionär, erkannten, bei dem sich eine Erpressung lohnte.«
»Das war also die letzte Ursache dieses Vorfalls«, sagte Poltavo nachdenklich. »Ich war wirklich mit Blindheit geschlagen, daß ich den Zusammenhang nicht gleich erkannte. Sie wurden vor Farringtons Haus erschossen – wer außer ihm sollte denn die Tat begangen haben?«
»Ich habe Ihnen nur gesagt, daß die beiden einen frühzeitigen Tod fanden, weil sie sich Vorteile von Mr. Farrington verschaffen wollten, die er ihnen unter keinen Umständen zubilligen konnte. Und Sie, Graf Poltavo, laufen Gefahr, das Schicksal dieser Leute zu teilen.«
»Ich war schon in schwierigeren Lagen«, meinte Poltavo lächelnd, aber er fühlte sich nicht wohl.
»Prahlen Sie nicht«, erwiderte der Doktor ruhig. »Ich möchte doch stark bezweifeln, ob Sie sich jemals in Ihrem Leben in einer so schlimmen Situation wie dieser befanden. Wir haben eigentlich die Absicht, Sie zu töten. Ich sage Ihnen das ganz frei heraus, denn Mr. Farrington will in dieser Beziehung kein Risiko auf sich nehmen. Er ist aber bereit, Ihnen noch eine Chance zu geben, solange Sie davon überzeugt sind, daß er Macht genug hat, Sie zu bestrafen. Ob Sie noch weiter am Leben bleiben, hängt ganz von Ihnen selbst ab. Es liegt ihm fern, irgendwelche Eide, Versprechungen oder Beteuerungen von Ihnen zu verlangen er will Sie wieder freilassen und Ihnen die Versicherung geben, daß Sie gut belohnt werden, wenn Sie ihm treu dienen. Wenn Sie das aber nicht tun und ihn enttäuschen, werden Sie auf die schönste Art umgebracht werden. Habe ich mich Ihnen verständlich machen können?«
»Allerdings.« Poltavos Hand, die eine Zigarette zum Mund führte, zitterte ein wenig.
»Ich möchte noch hinzufügen –«, fuhr der Doktor fort, als plötzlich ein schrilles Klingelzeichen in dem unterirdischen Raum ertönte. Dr. Fall erhob sich, ging ruhig zu der Wand und legte sein Ohr an eine bestimmte Stelle. Poltavo konnte nicht sehen, wodurch sie sich von der Umgebung unterschied, aber er vermutete, daß dort ein Geheimtelefon angebracht war.
»Bitte?« Dr. Fall lauschte. »Es ist gut«, sagte er dann.
Er wandte sich an Poltavo und sah ihn erstaunt an.
»Es wird Sie sicher interessieren, daß das ganze Haus umstellt ist. Offensichtlich sind die Polizisten Ihrer Spur gefolgt.«
Freudige Erregung blitzte in den Augen des Polen auf.
»Das ist sehr schlimm für Sie«, sagte er dann lachend.
»Noch schlimmer für Sie, denke ich.« Dr. Fall ging langsam zu dem äußersten Ende des Raumes.
»Halt!« rief Poltavo plötzlich. Der Arzt wandte sich um und sah sich von der Mündung einer Pistole bedroht.
»Ich möchte Ihnen versichern«, sagte der Graf höhnisch, »daß die Pistole jetzt mit zwei Patronen geladen ist, die ich in meiner Westentasche fand. Auf jeden Fall bin ich genügend –«
Er sprach nicht weiter, denn plötzlich war der Raum verdunkelt. Alle Lichter schienen von einer unsichtbaren Hand auf ein Zeichen hin ausgelöscht zu sein. Ein höhnisches Lachen kam aus der Richtung, wo Dr. Fall gestanden hatte.
»Schießen Sie doch!«
Aber die beiden Patronen waren Poltavo zu wertvoll, um sie im Dunkeln aufs Ungewisse zu verschwenden. Er wartete. Nach einiger Zeit hörte er ein Klicken, und das Zimmer lag wieder hellerleuchtet. Aber er befand sich allein darin. Er zuckte die Schultern, es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten.
Wenn Mr. Smith ihm hierher gefolgt war und das Haus mit Polizei umstellt hatte, so durfte er hoffen, aus seiner unglücklichen Lage befreit zu werden. Und sollte dies nicht der Fall sein, so hatte er das Versprechen Farringtons, ihn unter gewissen Bedingungen freizulassen.
Er hörte das leise Geräusch eines herunterkommenden Fahrstuhls. Diesmal kam es aus dem Schacht, den er selbst benützt hatte. Der Lift hielt in Fußbodenhöhe, und die Stahltür öffnete sich einladend. Die Chance durfte er sich nicht entgehen lassen, denn alles andere war besser als ein weiterer Aufenthalt in diesem unterirdischen Raum.
Er trat hinein und zog die Tür hinter sich zu. Zu seinem Erstaunen funktionierte der Mechanismus, und als das Schloß einschnappte, bewegte sich der Fahrstuhl langsam aufwärts. Zwei elektrische Lampen brannten an der Decke der kleinen Kabine. Sie erschienen gefährlich, da man ihn beobachten konnte. Er hob sich auf die Zehenspitzen und zerschmetterte die beiden Birnen mit dem Griff seiner Pistole, dann kauerte er sich im Dunkeln zusammen, den Finger am Abzug der Pistole, auf alles gefaßt.
*
Mr. Smith befand sich oben in der Halle, und hinter ihm waren drei entschlossene Beamte aus Scotland Yard zu sehen. Dr. Fall stand vor dem Detektiv, ruhig und höflich wie immer.
»Es steht Ihnen selbstverständlich frei, das ganze Haus zu durchsuchen«, sagte er. »Es steckt keinerlei Geheimnis hinter dem Besuch des Grafen Poltavo. Er gehört zu den vielen Leuten, die von ihrer Neugierde hierhergelockt werden. Im Augenblick betrachtet er die wunderbaren Einrichtungen unseres Hauses.«
Mr. Smith fühlte, daß etwas Wahres in dieser Erklärung lag, obgleich ihm der ironische Ton des Arztes nicht entgangen war.
»Würden Sie die Güte haben, mir Graf Poltavo zu zeigen?«
»Mit Vergnügen!« In diesem Augenblick öffnete sich die Lifttür, und Poltavo trat mit der Pistole in der Hand heraus.
Er sah die Gruppe und erkannte die Zusammenhänge.