selbst bin sozusagen der Gründer des Ortes. Ich habe diese Häuser nacheinander gekauft. Einige sind schon sehr alt, obwohl Sie das vielleicht nicht glauben werden. Ich habe Beverley Green eigentlich so angelegt, wie Sie es jetzt sehen. Ich verkaufte ein Haus nach dem anderen und habe dabei nicht einen Schilling verdient.«
Andy war sehr erstaunt.
»Das war aber wenig geschäftstüchtig von Ihnen.«
»An Geschäft habe ich dabei überhaupt nicht gedacht«, erklärte Mr. Merrivan. »Meine Absicht war, die richtigen Leute hierherzubringen. Aber ich fürchte, es ist mir nicht ganz gelungen. Die Menschen sind nicht alle so, wie sie scheinen, auch verschlechtert sich mit der Zeit der Charakter mancher Leute. Aber für Sie in Ihrem rastlos tätigen Leben, lieber Doktor, muß der Aufenthalt in Beverley Green doch eine Erholung sein.«
Das Gespräch wandte sich dann dem Thema »Verbrechen und Verbrechen zu. Es war aber weniger eine Unterhaltung als ein Ausforschen von seilen Mr. Merrivans. Macleod gab längere oder kürzere Antworten, je nach dem Interesse, das er Mr. Merrivans Fragen entgegenbrachte.
»Haben Sie bei Ihren vielen Erkundungen jemals einen gewissen Albert Selim kennengelernt?« Merrivan sprach zögernd.
»Dieselbe Frage hat erst vor kurzem jemand an mich gestellt. Wer war es doch gleich? Auf jeden Fall ist mir Selim noch nicht begegnet. Er soll einen sehr gemeinen Charakter haben.«
»Er ist ein Wucherer, und ich habe allen Grund anzunehmen, daß er auch ein Erpresser ist«, sagte Mr. Merrivan ernst. »Glücklicherweise bin ich niemals in seine Klauen geraten, aber andere Leute – können Sie mir nicht sagen, wer von ihm gesprochen hat? War es nicht Mr. Nelson?«
»Nein, ich glaube, es war Mr. Boyd Salter.«
»Sehen Sie einmal an«, sagte Merrivan belustigt. »Unser vornehmer Ortsvorstand. Wirklich ein netter Mann, dieser Mr. Boyd Salter. Kennen Sie ihn gut?«
»Ich habe ihn nur kurz kennengelernt. Ich brauchte eine Unterschrift als Friedensrichter für die Überführung meines Gefangenen.«
»Ein äußerst liebenswürdiger Herr, nur schade, daß wir sowenig von ihm sehen. Er ist schwer nervenkrank, wie mir erzählt wurde.«
Andy erinnerte sich an den behutsamen Diener und an die tiefe Ruhe im Haus.
Kurz darauf empfahl er sich. Andy wollte allein sein, es zog ihn nach Nelsons Villa. Es scheint, daß ich meine Zeit hier nur damit zubringe, an fremden Türen zu lauschen, dachte er. Er stand jetzt dem Haus des Künstlers gegenüber und war sehr bestürzt, als er drinnen einen Mann fürchterlich schreien hörte. Gerade öffnete sich die Tür, und zwei Frauen stürzten aufgeregt und schimpfend heraus. Nelson lief mit langen Schritten hinter ihnen her. Er trug nur Hose, Oberhemd und Pantoffeln. Andy vermutete, daß er betrunken war, obwohl er noch keinen Betrunkenen gesehen hatte, der so gerade ging und so klar und deutlich sprach.
»Laßt euch hier nicht wieder sehen, ihr –«, es folgte ein Ausbruch wüster Schimpfnamen.
»Vater!« Stella war bereits an seiner Seite und legte ihren Arm in den seinen. »Es ist besser, wenn du jetzt hereinkommst.«
»Ich gehe nicht hinein! Ich tue, was mir paßt! Mach, daß du auf dein Zimmer kommst!« Er zeigte theatralisch auf die Haustür. »Soll ich mir vielleicht von diesen Scheuerfrauen, diesen schlampigen Weibern, alles gefallen lassen – ich, Kenneth Nelson, Mitglied der Königlichen Akademie? Ich dulde das nicht!«
»Komm doch bitte ins Haus, Vater. Willst du denn wirklich ganz Beverley zum Zeugen haben –«
»Dieses verdammte Nest! Ich bin erhaben über Beverley Green, wo nur Marmeladenfritzen wohnen – geh auf dein Zimmer, Stella!«
Aber sie rührte sich nicht.
Andy glaubte, daß es jetzt Zeit sei, sich bemerkbar zu machen.
»Ach, guten Abend, Mr. Macleod!« Nelson war plötzlich so liebenswürdig, daß man ihn fast nicht wiedererkannt hätte.
»Guten Abend, Mr. Nelson. Ich möchte gern noch ein wenig mit Ihnen plaudern.«
Er nahm den Maler am Ann und führte ihn ins Haus. Stella folgte ihnen.
Sie war dankbar, obgleich sie sich fürchtete. Und doch war sie auch wieder begierig, mehr von diesem Mann zu erfahren und ihn aus der Nähe zu sehen. Sie fühlte sich gedemütigt, daß sie ihn in einer so peinlichen Situation kennenlernen mußte. Das erste, was sie an ihm beobachtete, war seine Kraft. Sie sah, daß er gewohnt war, mit Leuten umzugehen, und spürte etwas von der überlegenen Wirkung seiner Persönlichkeit. Vielleicht überschätzte sie seinen Einfluß, weil ihr Vater ihm so gehorsam und ohne Widerstreben folgte.
»Ich habe gerade zwei unverschämte Dienstmädchen hinausgeworfen, zwei ganz gemeine Weiber, Mr. Macleod«, sagte Nelson, der plötzlich wieder in seinen alten, anmaßenden Ton verfiel. »Diese Leute aus den unteren Schichten führen sich immer unerträglicher auf. Stella, ich kann deine Wahl eigentlich nicht billigen – wirklich, die beiden haben mich sehr enttäuscht. Hole Mr. Macleod jetzt etwas zu trinken. Ich werde zur Gesellschaft ein Gläschen mittrinken.«
»Nun, dann trinken wir am besten ein Gläschen Wasser miteinander«, meinte Andy lächelnd.
»Wasser!« rief Nelson verächtlich. »Solange ich noch ein Haus und einen Keller habe, geht kein Gast von meiner Schwelle, lieber Freund, ohne daß ich ihm nicht einen Becher dieses schönen Getränkes aus Schottland kredenzt habe!« Er lachte unbändig.
Andy hatte erwartet, Stella niedergeschlagen und bedrückt zu sehen. Die Selbstbeherrschung, die sie in diesem kritischen Augenblick bewahrte, verriet, daß sie an solche Szenen gewöhnt war. Sie tat ihm unendlich leid, sie schien noch sehr jung zu sein, fast noch ein Kind. Er bewunderte die zarte Reinheit ihrer Haut, die Anmut ihrer Gestalt. Und doch war es nicht das, was ihn so tief ergriff.
Sie machte keinen Versuch, Whisky zu holen, denn sie wußte, daß keiner im Hause war.
»Der Keller ist leer, Vater«, erwiderte sie trocken. »Die Winzer streiken.«
Der Spott brachte ihn wieder zur Raserei, und er drehte sich wütend nach ihr um, aber Andys Blick bannte ihn.
»Miss Nelson, könnte ich Ihren Vater ein paar Minuten allein sprechen? Ich möchte etwas mit ihm beraten.«
Sie nickte und ging hinaus.
»Aber, mein Lieber …« versuchte Nelson schwach zu protestieren.
»Sie nannten mich vorhin Mr. Macleod – Sie haben vergessen, daß ich Arzt bin. Haben Sie in der letzten Zeit einen Arzt konsultiert?«
»Nein, das hatte ich nicht nötig, meine Gesundheit ist in bester Ordnung«, erwiderte Mr. Nelson trotzig.
»Davon ist sie so weit entfernt, daß Sie dicht vor einem vollständigen Zusammenbruch stehen, von dem Sie sich niemals wieder ganz erholen werden. Ohne daß ich Ihr Herz untersucht habe, kann ich Ihnen sagen, daß sie böse Kreislaufstörungen haben. Nun erschrecken Sie, weil Sie wissen, daß ich recht habe. Sie werden das nächste Jahr nicht überleben, wenn Sie nicht aufhören zu trinken.«
Nelson blinzelte.
»Sie wollen mir nur Angst einjagen. Ich weiß selbst, daß es nicht richtig ist zu trinken. Aber ich bin doch noch nicht so kindisch, wie Sie denken. Ich trinke ja nur, weil ich soviel Sorgen habe, Mr. – Doktor Macleod.«
»Sie können sich die meisten Sorgen ersparen, wenn Sie keinen Whisky mehr anrühren. Gestatten Sie, daß ich morgen wiederkomme und Sie untersuche? Wer ist eigentlich Ihr Arzt?«
»Doktor Granitt aus Beverley. Ich habe ihn aber niemals meiner eigenen Gesundheit wegen zu Rate ziehen müssen. Er hat meine arme Frau während ihrer letzten Krankheit behandelt.«
»Nun gut, ich werde Sie untersuchen, und er kann dann Ihre Behandlung übernehmen. Wir werden Sie zusammen ein zweites Mal untersuchen.«
»Ich