auch ihr Bett in Klaras Zimmer stellen und sie nie mehr allein lassen zu wollen. Alle konnten sie nicht in demselben Raume schlafen, aber wenn Adelheid sich auch fürchten sollte, so müsste Tinette ihr Nachtlager bei ihr aufschlagen. Aber Heidi fürchtete sich mehr vor der Tinette als vor Gespenstern, von denen das Kind noch gar nie etwas gehört hatte, und es erklärte gleich, es fürchte das Gespenst nicht und wolle schon allein in seinem Zimmer bleiben. Hierauf eilte Fräulein Rottenmeier an ihren Schreibtisch und schrieb an Herrn Sesemann, die unheimlichen Vorgänge im Hause, die allnächtlich sich wiederholten, hätten die zarte Konstitution seiner Tochter dergestalt erschüttert, dass die schlimmsten Folgen zu befürchten seien; man habe Beispiele von plötzlich eintretenden epileptischen Zufällen oder Veitstanz in solchen Verhältnissen, und seine Tochter sei allem ausgesetzt, wenn dieser Zustand des Schreckens im Hause nicht gehoben werde.
Das half. Zwei Tage darauf stand Herr Sesemann vor seiner Tür und schellte dergestalt an seiner Hausglocke, dass alles zusammenlief und einer den anderen anstarrte, denn man glaubte nicht anders, als nun lasse der Geist frecherweise noch vor Nacht seine boshaften Stücke aus. Sebastian guckte ganz behutsam durch einen halb geöffneten Laden von oben herunter; in dem Augenblick schellte es noch einmal so nachdrücklich, dass jeder unwillkürlich eine Menschenhand hinter dem tüchtigen Ruck vermutete. Sebastian hatte die Hand erkannt, stürzte durchs Zimmer, kopfüber die Treppe hinunter, kam aber unten wieder auf die Füße und riss die Haustür auf. Herr Sesemann grüßte kurz und stieg ohne weiteres nach dem Zimmer seiner Tochter hinauf. Klara empfing den Papa mit einem lauten Freudenruf, und als er sie so munter und völlig unverändert sah, glättete sich seine Stirn, die er vorher sehr zusammengezogen hatte, und immer mehr, als er nun von ihr selbst hörte, sie sei so wohl wie immer und sie sei so froh, dass er gekommen sei, dass es ihr jetzt ganz recht sei, dass ein Geist im Haus herumfahre, weil er doch daran schuld sei, dass der Papa heimkommen musste.
"Und wie führt sich das Gespenst weiter auf, Fräulein Rottenmeier?", fragte nun Herr Sesemann mit einem lustigen Ausdruck in den Mundwinkeln.
"Nein, Herr Sesemann", entgegnete die Dame ernst, "es ist kein Scherz. Ich zweifle nicht daran, dass morgen Herr Sesemann nicht mehr lachen wird; denn was in dem Hause vorgeht, deutet auf Fürchterliches, das hier in vergangener Zeit muss vorgegangen und verheimlicht worden sein."
"So, davon weiß ich nichts", bemerkte Herr Sesemann, "muss aber bitten, meine völlig ehrenwerten Ahnen nicht verdächtigen zu wollen. Und nun rufen Sie mir den Sebastian ins Esszimmer, ich will allein mit ihm reden."
Herr Sesemann ging hinüber und Sebastian erschien. Es war Herrn
Sesemann nicht entgangen, dass Sebastian und Fräulein Rottenmeier
sich nicht eben mit Zuneigung betrachteten; so hatte er seine
Gedanken.
"Komm Er her, Bursche", winkte er dem Eintretenden entgegen, "und sag Er mir nun ganz ehrlich: Hat Er nicht etwa selbst ein wenig Gespenst gespielt, so um Fräulein Rottenmeier etwas Kurzweil zu machen, he?"
"Nein, meiner Treu, das muss der gnädige Herr nicht glauben; es ist mir selbst nicht ganz gemütlich bei der Sache", entgegnete Sebastian mit unverkennbarer Ehrlichkeit.
"Nun, wenn es so steht, so will ich morgen Ihm und dem tapferen Johann zeigen, wie Gespenster beim Licht aussehen. Schäme Er sich, Sebastian, ein junger, kräftiger Bursch, wie Er ist, vor Gespenstern davonzulaufen! Nun geh Er unverzüglich zu meinem alten Freund, Doktor Classen: meine Empfehlung und er möchte unfehlbar heut Abend neun Uhr bei mir erscheinen; ich sei extra von Paris hergereist, um ihn zu konsultieren. Er müsse die Nacht bei mir wachen, so schlimm sei's; er solle sich richten! Verstanden, Sebastian?"
"Jawohl, jawohl! Der gnädige Herr kann sicher sein, dass ich's gut mache." Damit entfernte sich Sebastian, und Herr Sesemann kehrte zu seinem Töchterchen zurück, um ihr alle Furcht vor einer Erscheinung zu benehmen, die er noch heute ins nötige Licht stellen wollte.
Punkt neun Uhr, als die Kinder zur Ruhe gegangen und auch Fräulein Rottenmeier sich zurückgezogen hatte, erschien der Doktor, der unter seinen grauen Haaren noch ein recht frisches Gesicht und zwei lebhaft und freundlich blickende Augen zeigte. Er sah etwas ängstlich aus, brach aber gleich nach seiner Begrüßung in ein helles Lachen aus und sagte, seinem Freunde auf die Schulter klopfend: "Nun, nun, für einen, bei dem man wachen soll, siehst du noch leidlich aus, Alter."
"Nur Geduld, Alter", gab Herr Sesemann zurück; "derjenige, für den du wachen musst, wird schon schlimmer aussehen, wenn wir ihn erst abgefangen haben."
"Also doch ein Kranker im Haus und dazu einer, der eingefangen werden muss?"
"Weit schlimmer, Doktor, weit schlimmer. Ein Gespenst im Hause, bei mir spukt's!"
Der Doktor lachte laut auf.
"Schöne Teilnahme das, Doktor!", fuhr Herr Sesemann fort; "schade, dass meine Freundin Rottenmeier sie nicht genießen kann. Sie ist fest überzeugt, dass ein alter Sesemann hier herumrumort und Schauertaten abbüßt."
"Wie hat sie ihn aber nur kennen gelernt?", fragte der Doktor noch immer sehr erheitert.
Herr Sesemann erzählte nun seinem Freunde den ganzen Vorgang und wie noch jetzt allnächtlich die Haustür geöffnet werde, nach der Angabe der sämtlichen Hausbewohner, und fügte hinzu, um für alle Fälle vorbereitet zu sein, habe er zwei gut geladene Revolver in das Wachtlokal legen lassen; denn entweder sei die Sache ein sehr unerwünschter Scherz, den sich vielleicht irgendein Bekannter der Dienerschaft mache, um die Leute des Hauses in Abwesenheit des Hausherrn zu erschrecken—dann könnte ein kleiner Schrecken, wie ein guter Schuss ins Leere, ihm nicht unheilsam sein—; oder auch es handle sich um Diebe, die auf diese Weise erst den Gedanken an Gespenster aufkommen lassen wollten, um nachher umso sicherer zu sein, dass niemand sich herauswage—in diesem Falle könnte eine gute Waffe auch nicht schaden.
Während dieser Erklärungen waren die Herren die Treppe hinuntergestiegen und traten in dasselbe Zimmer ein, wo Johann und Sebastian auch gewacht hatten. Auf dem Tische standen einige Flaschen schönen Weines, denn eine kleine Stärkung von Zeit zu Zeit konnte nicht unerwünscht sein, wenn die Nacht da zugebracht werden musste. Daneben lagen die beiden Revolver, und zwei, ein helles Licht verbreitende Armleuchter standen mitten auf dem Tisch, denn so im Halbdunkel wollte Herr Sesemann das Gespenst denn doch nicht erwarten.
Nun wurde die Tür ans Schloss gelehnt, denn zu viel Licht durfte nicht in den Korridor hinausfließen, es konnte das Gespenst verscheuchen. Jetzt setzten sich die Herren gemütlich in ihre Lehnstühle und fingen an, sich allerlei zu erzählen, nahmen auch hier und da dazwischen einen guten Schluck, und so schlug es zwölf Uhr, eh sie sich's versahen.
"Das Gespenst hat uns gewittert und kommt wohl heut gar nicht", sagte der Doktor jetzt.
"Nur Geduld, es soll erst um ein Uhr kommen", entgegnete der Freund.
Das Gespräch wurde wieder aufgenommen. Es schlug ein Uhr. Ringsum war es völlig still, auch auf den Straßen war aller Lärm verklungen. Auf einmal hob der Doktor den Finger empor.
"Pst, Sesemann, hörst du nichts?"
Sie lauschten beide. Leise, aber ganz deutlich hörten sie, wie der Balken zurückgeschoben, dann der Schlüssel zweimal im Schloss umgedreht, jetzt die Tür geöffnet wurde. Herr Sesemann fuhr mit der Hand nach seinem Revolver.
"Du fürchtest dich doch nicht?", sagte der Doktor und stand auf.
"Behutsam ist besser", flüsterte Herr Sesemann, erfasste mit der
Linken den Armleuchter mit drei Kerzen, mit der Rechten den
Revolver und folgte dem Doktor, der, gleichermaßen mit Leuchter und
Schießgewehr bewaffnet, voranging. Sie traten auf den Korridor
hinaus.
Durch die weit geöffnete Tür floss ein bleicher Mondschein herein und beleuchtete eine weiße Gestalt, die regungslos auf der Schwelle stand.
"Wer da?", donnerte jetzt der Doktor heraus, dass es durch den ganzen Korridor hallte, und beide Herren traten nun mit Lichtern und Waffen an die Gestalt heran. Sie kehrte sich um