auf dem Gesichte durch die Leute, dass man ihm unwillkürlich Platz machte und es laufen ließ, und einer sagte zum anderen: "Du siehst ja, wie es sich fürchtet, es hat auch alle Ursache." Und dann fingen sie noch an, sich zu erzählen, wie der Alm-Öhi seit einem Jahr noch viel ärger geworden sei als vorher und mit keinem Menschen mehr ein Wort rede und ein Gesicht mache, als wolle er am liebsten jeden umbringen, der ihm in den Weg komme, und wenn das Kind auf der ganzen Welt noch wüsste wohin, so liefe es nicht in das alte Drachennest hinauf. Aber hier fiel der Bäcker in das Gespräch ein und sagte, er werde wohl mehr wissen als sie alle, und erzählte dann sehr geheimnisvoll, wie ein Herr das Kind bis nach Maienfeld gebracht und es ganz freundlich entlassen habe und auch gleich ohne Markten ihm den geforderten Fahrpreis und dazu noch ein Trinkgeld gegeben habe, und überhaupt könne er sicher sagen, dass es dem Kind wohl genug gewesen sei, wo es war, und es selbst begehrt habe, zum Großvater zurückzugehen. Diese Nachricht brachte eine große Verwunderung hervor und wurde nun gleich im ganzen Dörfli so verbreitet, dass noch am gleichen Abend kein Haus daselbst war, in dem man nicht davon redete, dass das Heidi aus allem Wohlleben zum Großvater zurückbegehrt habe.
Heidi lief vom Dörfli bergan, so schnell es nur konnte; von Zeit zu Zeit musste es aber plötzlich stille stehen, denn es hatte ganz den Atem verloren; sein Korb am Arm war doch ziemlich schwer, und dazu ging es nun immer steiler, je höher hinauf es ging. Heidi hatte nur noch einen Gedanken: "Wird auch die Großmutter noch auf ihrem Plätzchen sitzen am Spinnrad in der Ecke, ist sie auch nicht gestorben unterdessen?" Jetzt erblickte Heidi die Hütte oben in der Vertiefung an der Alm, sein Herz fing an zu klopfen, Heidi rannte noch mehr, immer mehr und immer lauter schlug ihm das Herz. Jetzt war es oben—vor Zittern konnte es fast die Tür nicht aufmachen— doch jetzt—es sprang hinein bis mitten in die kleine Stube und stand da, völlig außer Atem, und brachte keinen Ton hervor.
"Ach du mein Gott", tönte es aus der Ecke hervor, "so sprang unser Heidi herein, ach, wenn ich es noch ein Mal im Leben bei mir haben könnte! Wer ist hereingekommen?"
"Da bin ich ja, Großmutter, da bin ich ja", rief Heidi jetzt und stürzte nach der Ecke und gleich auf seine Knie zu der Großmutter heran, fasste ihren Arm und ihre Hände und legte sich an sie und konnte vor Freude gar nichts mehr sagen. Erst war die Großmutter so überrascht, dass auch sie kein Wort hervorbringen konnte; dann fuhr sie mit der Hand streichelnd über Heidis Kraushaare hin, und nun sagte sie ein Mal über das andere: "Ja, ja, das sind seine Haare und es ist ja seine Stimme, ach du lieber Gott, dass du mich das noch erleben lässt!" Und aus den blinden Augen fielen ein paar große Freudentränen auf Heidis Hand nieder. "Bist du's auch, Heidi, bist du auch sicher wieder da?"
"Ja, ja, sicher, Großmutter", rief Heidi nun mit aller Zuversicht, "weine nur nicht, ich bin ganz gewiss wieder da und komme alle Tage zu dir und gehe nie wieder fort, und du musst auch manchen Tag kein hartes Brot mehr essen, siehst du, Großmutter, siehst du?"
Und Heidi packte nun aus seinem Korb ein Brötchen nach dem andern aus, bis es alle zwölf auf dem Schoß der Großmutter aufgehäuft hatte.
"Ach Kind! Ach Kind! Was bringst du denn für einen Segen mit!", rief die Großmutter aus, als es nicht enden wollte mit den Brötchen und immer noch eines folgte. "Aber der größte Segen bist du mir doch selber, Kind!" Dann griff sie wieder in Heidis krause Haare und strich über seine heißen Wangen und sagte wieder: "Sag noch ein Wort, Kind, sag noch etwas, dass ich dich hören kann."
Heidi erzählte nun der Großmutter, welche große Angst es habe ausstehen müssen, sie sei vielleicht gestorben unterdessen und habe nun gar nie die weißen Brötchen bekommen, und es könne nie, nie mehr zu ihr gehen.
Jetzt trat Peters Mutter herein und blieb einen Augenblick unbeweglich stehen vor Erstaunen. Dann rief sie: "Sicher, es ist das Heidi, wie kann auch das sein!"
Heidi stand auf und gab ihr die Hand, und die Brigitte konnte sich gar nicht genug verwundern darüber, wie Heidi aussehe, und ging um das Kind herum und sagte: "Großmutter, wenn du doch nur sehen könntest, was für ein schönes Röcklein das Heidi hat und wie es aussieht; man kennt es fast nicht mehr. Und das Federnhütlein auf dem Tisch gehört dir auch noch? Setz es doch einmal auf, so kann ich sehen, wie du drin aussiehst."
"Nein, ich will nicht", erklärte Heidi, "du kannst es haben, ich brauche es nicht mehr, ich habe schon noch mein eigenes." Damit machte Heidi sein rotes Bündelchen auf und nahm sein altes Hütchen daraus hervor, das auf der Reise zu den Knicken, die es schon vorher gehabt, noch einige bekommen hatte. Aber das kümmerte das Heidi wenig; es hatte ja nicht vergessen, wie der Großvater beim Abschied nachgerufen hatte, in einem Federnhut wolle er es niemals sehen; darum hatte Heidi sein Hütchen so sorgfältig aufgehoben, denn es dachte ja immer ans Heimgehen zum Großvater. Aber die Brigitte sagte, so einfältig müsse es nicht sein, es sei ja ein prächtiges Hütchen, das nehme sie nicht; man könnte es ja etwa dem Töchterlein vom Lehrer im Dörfli verkaufen und noch viel Geld bekommen, wenn es das Hütlein nicht tragen wolle. Aber Heidi blieb bei seinem Vorhaben und legte das Hütchen leise hinter die Großmutter in den Winkel, wo es ganz verborgen war. Dann zog Heidi auf einmal sein schönes Röcklein aus, und über das Unterröckchen, in dem es nun mit bloßen Armen dastand, band es das rote Halstuch, und nun fasste es die Hand der Großmutter und sagte: "Jetzt muss ich heim zum Großvater, aber morgen komm ich wieder zu dir; gute Nacht, Großmutter."
"Ja, komm auch wieder, Heidi, komm auch morgen wieder", bat die Großmutter und drückte seine Hand zwischen den ihrigen und konnte das Kind fast nicht loslassen.
"Warum hast du denn dein schönes Röcklein ausgezogen?", fragte die
Brigitte.
"Weil ich lieber so zum Großvater will, sonst kennt er mich vielleicht nicht mehr, du hast mich ja auch fast nicht gekannt darin."
Die Brigitte ging noch mit Heidi vor die Tür hinaus, und hier sagte sie ein wenig geheimnisvoll zu ihm: "Den Rock hättest du schon anbehalten können, er hätte dich doch gekannt; aber sonst musst du dich in Acht nehmen; der Peterli sagt, der Alm-Öhi sei jetzt immer bös und rede kein Wort mehr."
Heidi sagte 'gute Nacht' und stieg die Alm hinan mit seinem Korb am Arm. Die Abendsonne leuchtete ringsum auf die grüne Alm, und jetzt war auch drüben das große Schneefeld an der Schesaplana sichtbar geworden und strahlte herüber. Heidi musste alle paar Schritte wieder stille stehen und sich umkehren, denn die hohen Berge hatte es im Rücken beim Hinaufsteigen. Jetzt fiel ein roter Schimmer vor seinen Füßen auf das Gras, es kehrte sich um, da —so hatte es die Herrlichkeit nicht mehr im Sinn gehabt und auch nie so im Traum gesehen—die Felshörner am Falknis flammten zum Himmel auf, das weite Schneefeld glühte und rosenrote Wolken zogen darüber hin; das Gras rings auf der Alm war golden, von allen Felsen flimmerte und leuchtete es nieder und unten schwamm weithin das ganze Tal in Duft und Gold. Heidi stand mitten in der Herrlichkeit, und vor Freude und Wonne liefen ihm die hellen Tränen die Wangen herunter, und es musste die Hände falten und in den Himmel hinaufschauen und ganz laut dem lieben Gott danken, dass er es wieder heimgebracht hatte und dass alles, alles noch so schön sei und noch viel schöner, als es gewusst hatte, und dass alles wieder ihm gehöre; und Heidi war so glücklich und so reich in all der großen Herrlichkeit, dass es gar nicht Worte fand, dem lieben Gott genug zu danken. Erst als das Licht ringsum verglühte, konnte Heidi wieder von der Stelle weg; nun rannte es aber so den Berg hinan, dass es gar nicht lange dauerte, so erblickte es oben die Tannenwipfel über dem Dache und jetzt das Dach und die ganze Hütte, und auf der Bank an der Hütte saß der Großvater und rauchte sein Pfeifchen, und über die Hütte her wogten die alten Tannenwipfel und raschelten im Abendwind. Jetzt rannte das Heidi noch mehr, und bevor der Alm-Öhi nur recht sehen konnte, was da herankam, stürzte das Kind schon auf ihn hin, warf seinen Korb auf den Boden und umklammerte den Alten, und vor Aufregung des Wiedersehens konnte es nichts sagen, als nur immer ausrufen: "Großvater! Großvater! Großvater!"
Der Großvater sagte auch nichts. Seit vielen Jahren waren ihm zum erstenmal wieder die Augen nass geworden, und er musste mit der Hand darüber fahren. Dann löste er Heidis Arme von seinem Hals, setzte das Kind auf seine Knie und betrachtete es einen Augenblick. "So, bist du wieder heimgekommen, Heidi", sagte er dann; "wie ist das? Besonders hoffärtig siehst du nicht aus, haben sie dich fortgeschickt?"
"O nein, Großvater",