machen und Wellen schlagen) sind die Auslöser der Nostalgie die zahlreichen Aspekte der grellen 80er-Modernität: Die unbeholfenen Gehversuche von Video als Kunstform, damals auf MTV ausgestrahlt, die damals futuristischen, heute lachhaft primitiven Computer- und Arcade-Spiele dieser Zeit und deren roboterhafte, fröhlichen Melodien und Day-Glo-Synthietöne.
Nostalgie ist durch und durch mit dem Komplex Konsumenten-Unterhaltungsindustrie verbunden: Wir empfinden Schmerzen beim Anblick der Produkte aus der Vergangenheit, den Neuheiten und Ablenkungen, die unsere Jugend bevölkerten. Indem sie individuelle Beschäftigungen (wie Hobbys) oder partizipatorische lokale Aktivitäten (wie Freizeitsport) in den Hintergrund drängen, übernehmen die Massenmedien und die Popkultur einen immer größer werdenden Teil unseres geistigen Lebens. Das ist der Grund, warum Sendungen wie I Love the ’70s/’80s etc. so effektiv sind: der Verlauf unserer Zeit ist ein Index für die schnell alternden Trends, Moden, Promi-Karrieren etc. geworden.
Aus der Schnittmenge von Massenkultur und persönlicher Erinnerung geht Retro hervor. Vielleicht ist es hier an der Zeit für eine provisorische Definition von Retro, um es von anderen Formen, die sich auf die Vergangenheit beziehen, zu unterscheiden:
(1) Bei Retro geht es immer um die relativ unmittelbare Vergangenheit, um Dinge, die noch lebendig in Erinnerung sind.
(2) Retro enthält ein Element der exakten Wiederholung: Archivierte Dokumente (Fotografie, Video, Musikaufnahmen, Internet) sind griffbereit verfügbar und erlauben eine präzise Nachbildung eines alten Stils, egal, ob es sich dabei um vergangene Musikgenres, Bilder oder Mode handelt. Das Ergebnis davon ist, dass das Ausmaß an einfallsreichen Umgestaltungen der Vergangenheit – die Verfälschungen und Veränderungen, die frühere Kulte um zurückliegende Zeiten ausgemacht haben – zurückgeht.
(3) Retro beinhaltet gemeinhin auch die Artefakte der Popkultur. Das unterscheidet Retro von früheren Revivals, die sich, wie der Historiker Raphael Samuel betont, um die Hochkultur gedreht haben und von den höheren Rängen der Gesellschaft ausgingen – aristokratische Ästheten und Antiquare, die über einen ungewöhnlichen Geschmack für ausgefallene Sammlerstücke verfügten. Der Tummelplatz für Retro sind nicht die Auktionshäuser oder die Antiquitätenhandlungen, sondern Flohmärkte, Wohltätigkeitsbasare und Ramschläden.
(4) Ein letztes Charakteristikum des Retro-Bewusstseins ist, dass es die Vergangenheit weder idealisiert noch romantisiert, sondern versucht, von ihr unterhalten und fasziniert zu sein. Im Großen und Ganzen ist die Annäherung nicht wissenschaftlich und puristisch, sondern ironisch und eklektisch. Samuel spricht davon, dass »der Retrochic die Vergangenheit wie ein Spielzeug behandelt.« Diese Verspieltheit hängt damit zusammen, dass es bei Retro tatsächlich mehr um die Gegenwart als um die Vergangenheit geht, die verehrt und wiederbelebt wird. Die Vergangenheit wird als ein Material-Archiv behandelt, aus dem durch Recycling und Neukombination subkulturelles Kapital (Hipness also) gewonnen werden soll: die Bricolage von kulturellem Nippes.
Woher kommt das Wort »Retro«? Laut der Design-Historikerin Elisabeth Guffey wurde der Begriff in den frühen 60ern als linguistisches Spin-Off des Raumfahrtzeitalters in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommen. Retroraketen sorgten für einen Bremsschub und verlangsamten den Antrieb der Raumkapseln. Die Verbindung von »Retro« mit der Epoche nach Sputnik, dem Wettlauf ins All, führt zu einer reizvollen Analogie: Retro bildet das kulturelle Gegenstück zum »Rückwärtstrieb«, Nostalgie und Revials entstehen in den 70ern als Reaktion auf den mit Volldampf betrieben Ausflug ins All.
So verführerisch diese Vorstellung ist, so ist es doch wahrscheinlicher, dass »Retro« ein Präfix ist, das von »Retrospektive, »retrograd« und ähnlichen Begriffen losgelöst wurde. Begriffe, die mit »Retro« beginnen, haben eine eher negative Bedeutung, wohingegen »Pro«-Wörter eher in Richtung »progressiv« zeigen. Retro selbst ist also eine Art schmutziges Wort und nur wenige Leute wollen damit in Verbindung gebracht werden. Das absurdeste Beispiel dafür ist die tragische Story von Donald Cameron, einem Wirt in Birmingham, der sich 1998 umbrachte, als der Eigentümer des Pubs, eine Brauerei, entschied, seinen Laden in einen Retro-Schuppen namens Flares umzugestalten. Bei der Untersuchung des Todes erzählte Camerons Witwe, dass die erniedrigende Aussicht, »Kleidung aus den 70ern und Perücken zu tragen«, Cameron in die Verzweiflung getrieben habe. »Er dachte, er könne nicht damit umgehen, wenn es im Pub Schwierigkeiten gäbe. Die Leute würden über ihn lachen, weil er lächerlich aussieht.« Ein paar Tage, nachdem er von den Brauerei-Typen dafür gemaßregelt worden war, dass er während seiner Arbeit einen typischen 90er-Jahre Anzug und Krawatte trug, erstickte sich der 39-jährige Vater zweier Kinder mit den Abgasen seines Autos.
Das ist eine extreme Reaktion, doch ich habe beobachtet, dass Leute, mit denen ich Interviews geführt habe, betonten, dass sie rein gar nichts mit Retro zu tun hätten. Das waren häufig Leute, die ihr ganzes Leben einer bestimmten vergangenen musikalischen oder subkulturellen Epoche verschrieben hatten. Aber Retro? Auf keinen Fall … Es geht gar nicht darum, dass den Leuten das Image nicht gefällt, mit muffigem, vermoderndem alten Zeug in Verbindung gebracht oder als Eigenbrötler betrachtet zu werden, der denkt, dass die Gegenwart es nicht mit der Vergangenheit aufnehmen könne. Tatsächlich lehnen viele die gesamte moderne Popkultur voller Emphase ab. Was sie vor dem Begriff Retro zurückschrecken lässt, sind die Assoziationen mit Camp, Ironie und bloßem Modebewusstsein. Retro repräsentiert, soweit es meine Interviewpartner betrifft, ein geistloses, auf Oberflächlichkeiten gerichtetes Bedachtsein auf Stil, das im Widerspruch zu einer tiefen, leidenschaftlichen Liebe zum Wesen der Musik steht.
In den Köpfen vieler Leute ist Retro mit Hipstern verbunden, eine weitere Identität, die fast niemand freiwillig annimmt, auch wenn er rein äußerlich perfekt ins Profil passt. Die letzten paar Jahre der 2000er waren geprägt von einem krampfhaften Hipsterhass, mit einer Flut von Magazinen, die das Hipstertum als Pseudo-Boheme kritisierten. Auf diese Artikel folgten Meta-Kritiken, die das Phänomen der Hipsterphobie untersuchten, die ausnahmslos alle herausstellten, dass niemand sich freiwillig als Hipster bezeichnen würde, und dass die Hipster-Hasser selbst für gewöhnlich sehr gut in das Bild vom Hipster passten. Diese Orgie einer von Hipstern inspirierten Debatte verlief parallel – ohne sich ganz damit zu überschneiden – zu dem journalistischen Subgenre, das fragt: »Was ist bloß aus der Innovation geworden?« Hier wurde Retro in einem vagen, alles umfassenden Sinne gebraucht und auf alles Altmodische und alle Weiterentwicklungen angewandt, wobei einige futuristische Fanatiker (ich selbst teilweise auch) so weit gingen, Retro als Totschlagargument gegen jeden Künstler zu gebrauchen, dessen Einflüsse und Vorläufer allzu offenkundig waren.
Offensichtlich ist es nicht per se Retro, wenn man Einflüsse hat. Ich stimme nicht völlig mit Norman Blake von Teenage Fanclub überein, der mir gegenüber mal meinte, dass »Rockmusik, die nicht wie etwas anderes klingt, immer schrecklich klingt.« Aber wie macht man denn ohne einen Ausgangspunkt Musik? Die meisten Musiker, Künstler und Schriftsteller lernen das, was sie machen, durch Nachahmung – zumindest anfangs. Gleichermaßen ist es nicht gleich Retro, wenn man sich musikalischer Traditionen bewusst ist. Ein gutes Beispiel ist die britische Folk-Szene. Die Bewegung setzte Ende des 19. Jahrhunderts als eine Art antiquarische und ethnologische Musikwissenschaft ein: Leute wie Cecil Sharp tingelten die britischen Inseln auf und ab, um Songs zu sammeln und Wachszylinder-Aufnahmen von alten Männern und Frauen zu machen, die für gewöhnlich die letzten lebenden Zeugen waren, die sich an die alten Balladen erinnerten. Aber dieses konservierende Projekt, bei dem die traditionelle britische Musik dokumentiert und später so originalgetreu wie möglich nachgespielt wurde, hat nichts mit Retro im modernen Sinne zu tun. Es handelte sich dabei um ein vollkommen ernsthaftes, politisch idealistisches Projekt. Folk wurde als die Musik des Volkes und damit automatisch als links betrachtet. Als die Szene der Liebhaber traditioneller Musik im Königreich wuchs, entstand nach und nach eine Kluft zwischen den Puristen und denen, die die Musik lebendig halten wollten, indem sie zeitgemäße Elemente aufnahmen. Letztere erlaubten sich Freiheiten im Umgang mit den Formen der Folkmusik, änderten die Instrumentierung oder spielten sie mit elektrischen Instrumenten, mischten nicht-heimische Einflüsse dazu und schrieben zu den Originalsongs zunehmend unkonventionelle und gegenkulturelle Texte.
Eliza Carthy wird in der jüngeren Generation der gegenwärtigen Folksänger als eine Leitfigur angesehen. Oberflächlich betrachtet