war lobenswert.« Der springende Punkt ist, dass diese Dokumentationen versuchen, eine Geschichte zu erzählen, statt nur eine per Zufallsmodus generierte Anordnung kollektiver Erinnerung zu präsentieren: Sie bieten keine enzyklopädische Sammlung, sondern eine Gegenerzählung.
Die Britannia-Reihe und viele andere von Cooper initiierte BBC-Dokumentationen, haben in den Nullern zu einem wahren Boom von Rockdokus geführt, angefangen mit Julien Temples Punk-Trilogie (über die Pistols, Joe Strummer und Dr Feelgood) bis zu der erfolgreichen und preisgekrönten Geschichte über eine völlig untalentierte Metal-Band, Anvil! The Story of Anvil. Ein Grund für diesen Boom ist die Wirtschaftlichkeit. Mit kleinen Crews und einem geringen Budget (keine Drehbücher, keine Schauspieler, Kostüme, Requisiten und Effekte) lassen sich diese Filme billig produzieren. Bei vielen Rockdokus kostet das Archivmaterial am meisten. Cooper erzählt, dass sich sein Budget pro Sendung zwischen 120.000 und 140.000 Pfund bewege – und davon ginge meist ein Viertel für Archivmaterial drauf. »Wir haben hier zwei Leute, die mit dem Beschaffen des Archivmaterials beschäftigt sind«, sagt er und erklärt, dies erfordere oft die Zusammenarbeit mit kommerziellen Archiven und Agenturen, die Filmmaterial erwerben und lizensieren. Laut Cooper »realisiert die Industrie inzwischen die Bedeutung der Archivare. Es gibt erst seit Kurzem eine Auszeichnung für Archivare, die beim Fernsehen arbeiten, den Focal Award.« Er führt aus, dass die BBC selbst mit der Lizenzierung ihres Archivs eine Menge Geld verdient und gerade die Möglichkeit auslotet, ihr ganzes Archiv ins Netz zu stellen. Intern wird darüber diskutiert, ob das Archiv kommerziell oder frei zugänglich sein soll. Die BBC könnte von »Leuten Geld verlangen, weil sie Sachen runterladen« oder sie könnte die Sachen frei zur Verfügung stellen wie das Britsh Library Sound Archive, das kürzlich große Teile seiner Sammlung ins Netz gestellt hat.
Ein weiterer Grund für die Zunahme an Dokus sind die stetig wachsenden Möglichkeiten, sie zu zeigen und zu sehen. Dabei ist das nicht so oft in Kinos der Fall – wenn auch die hochkarätigsten Rockdokus wie Anvil! oder die Metallica-Dokumentation Some Kind of Monster auf der Leinwand mit großem Erfolg liefen –, sondern es liegt vor allem am Boom von Kabel- und digitalen Fernsehkanälen. Auch wenn die Dokus manchmal nur als Programmfüller gesendet werden, sorgen sie dafür, dass Sender wie BBC4 und Channel 4 in Großbritannien und Sundance sowie VH1 Classic in den USA sowohl die Babyboomer-Generation als auch ein junges Publikum ansprechen. Erstere genießen es, die klassische Rock-Ära, die sie selbst erlebt haben, immer und immer wieder durchgekaut zu bekommen; letztere genießen es, die klassische Rock-Ära, die sie nicht selbst erlebt haben, immer und immer wieder durchgekaut zu bekommen.
Das Ergrauen der Babyboomer-Generation – und damit auch das der Punk-Generation – ist eine weitere Erklärung für diesen Boom. Der Großteil der Rockdokus dreht sich um die 60er und 70er, eine Zeit, die scheinbar ein unerschöpfliches Potential birgt, wieder und wieder aufgewärmt zu werden. »Ich denke, das liegt daran, dass wir nicht genug Kriege erlebt haben«, scherzt Mark Cooper. Er schätzt, dass die goldene Zeit des Rock – von Dylan und den Beatles bis hin zu Glam und Punk – ein kollektives Bedürfnis nach Sinn befriedigt. Diese Idee wird von dem Nostalgie-Forscher Fred Davis gestützt, der über die »Gegenwärtigkeit« von Epochen voller Dramatik, in denen die Menschen mit drastischen Veränderungen zu kämpfen hatten, geschrieben hat. Diejenigen, die die Depression oder den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, schauen mit paradoxer Wehmut auf »die besten Jahre ihres Lebens« zurück, die Gefahren, die Entbehrungen und ignorieren dabei den Verlust von Angehörigen und andere Schicksalsschläge. »Die Leute sagen immer, dass ihre Eltern nie vom Krieg erzählt hätten«, sinniert Cooper. »Wir dagegen erzählen immer und immer wieder von unseren ›Kriegs‹-Erlebnissen. Vor allem die Sixties-Generation, die 60er waren so eine turbulente Zeit, in der es so viele Veränderungen gab. Es ist ein sehr lebendiges Jahrzehnt, politisch, sozial und kulturell. Ich denke, dass Popkultur einfach eine Variante der Frage ›Was hast du im Krieg gemacht, Papa?‹ ist.«
REUNIONS ZAHLEN SICH AUS
Während die 60er und 70er unsere Fantasie fest im Griff haben, scheint die Musealisierung der Musik von selbst fortzuschreiten, wenn jedes vergangene Jahrzehnt in die Popgeschichte eingemeindet wird. Es mag sein, dass das British Music Experience die 90er und 2000er sehr stiefmütterlich behandelt und bei Auktionen von Memorabilia nur Punk und der frühe Hip Hop Geld bringen, Dokumentationen wie Live Forever (über Britpop) oder Ausstellungen wie ArtCore beweisen aber, dass jede Generation, wenn sie älter wird, ihre musikalische Jugend mythologisiert und sich selbst würdig erinnert sehen will.
Die 90er-Nostalgie macht sich auch in einem anderen Bereich bemerkbar: den Reunions und Nostalgie-Touren. Die Wiedervereinigung von Rage Against the Machine nach einer siebenjährigen Pause, um beim Coachella-Festival in Südkalifornien als Headliner aufzutreten, ermöglichte es den Veranstaltern, ihre teuren Tickets (249 Dollar für drei Tage) in Rekordzeit abzusetzen. Blur, The Pixies, Dinosaur Jr., My Bloody Valentine, Pavement und Smashing Pumpkins sind nur einige der größeren Alternative-Rock- und Shoegaze-Bands, die auf die Bühne zurückkehrten (obwohl man den Smashing Pumpkins und Dinosaur Jr. zugestehen muss, komplett neue Alben aufgenommen zu haben und dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten, statt nur die College-Rock-/Grunge-Nostalgie auszubeuten).
Wenn Alternative-Bands sich wiedervereinigen und auf Tour gehen, gibt es ein gegenseitiges Einverständnis zwischen den Musikern und dem Publikum, von dem beide profitieren. Das alternde Publikum bekommt Stabilität geboten – sie wissen, wie die Musik klingen wird – und die Chance, ihre Jugend wieder aufleben zu lassen. Die Band kann sich an ihrem Status als Legende freuen und wieder mit den Fans in Kontakt treten. Sie verdienen besser als zu der Zeit, als ihre Mitglieder zu Legenden wurden, die Tickets sind viel teurer, ohne dass die Gefahr bestünde, das Publikum zu vergraulen, das ja nicht mehr aus College-Studenten und Slackern besteht, sondern aus Berufstätigen mittleren Alters, und sie können viel komfortabler touren als zu der Zeit, in der sie mit einem Van umherfuhren.
Reformierte Alternative-Bands aus den späten 80ern und den 90ern gehören so sehr zum Inventar von Rock-Festivals, dass der Kritiker Anwyn Crawford die Wiederkehr als den Indie-Rock-Kulturkreislauf tituliert hat. Aber die Sache geht mit dem Boom des 90er-Techno-Rave-Zirkus, also der Rückkehr dieser semi-rockigen Dance-Acts (man denke an Orbital, Leftfield, Underworld, The Orb oder The Chemical Brothers), die ihr Set live spielen und eine gute Show abliefern, weit über Indie hinaus.
Pioniere der Bewahrung des Indie-Rock-Erbes sind ATP, die Veranstalter der erfolgreichen All-Tomorrow’s-Parties-Festivals, die in Großbritannien losgingen und sich schnell auf die USA und darüber hinaus ausgebreitet haben. Von Anfang an wurden sie von renommierten Musikern (Portishead, Stephen Malkmus, Sonic Youth) und gelegentlich auch von berühmten Nicht-Musikern (Simpsons-Schöpfer Matt Groening, Jim Jarmusch) kuratiert. Und von Anfang an fanden sich im Line-up alte Bands, die wieder aus dem Ruhestand zurückkehrten. Als Nick Cave die Auswahl für das erste ATP in Australien traf, trieb er eine Menge Bands auf, die, wie Crawford betont, »aus seiner anrüchigen Jugendzeit stammten: Laughing Clowns, The Saints, Robert Forster, Primitive Calculators sowie der verstorbene und verehrte Roland S. Howard [der mit Cave zusammen bei The Birthday Party gespielt hatte, Anm. d. Autors].«
Ich traf den ATP-Gründer Barry Hogan, als er in Monticello im Bundesstaat New York die Fortsetzung ihres 2008er-Spektakels im Kutcher’s Country Club organisierte, an einem familienfreundlichen Urlaubsort in den Catskills, ähnlich den Ferienorten, an denen ATP einige ihrer Festivals in Großbritannien veranstaltet hatten. Diese erste Veranstaltung in Upstate New York war von My Bloody Valentine kuratiert worden, die auch selbst dort auftraten und eine extrem erfolgreiche Reunion-Tour in Amerika ablieferten, bei der sie im Wesentlichen ihre letzte US-Tour von 1992 wiederholten – die gleichen Songs und das gleiche ohrenbetäubende und schwindelerregende Lärmgewitter bei »You Made Me Realise« zum Abschluss ihres Sets. Hogan verriet mir, dass »es für alle Beteiligten ein lukratives Geschäft war, MBV mit ins Boot zu holen«. Als ich ihn fragte, ob Reunion-Touren ein wesentlicher Bestandteil des Veranstaltungsgeschäfts geworden seien, antwortete Hogan, dass er sich zwar nicht auf Zahlen stützen könne, aber dieses Reunion-Ding für signifikant halte: »Mir kommt es so vor, als habe jeder Veranstalter in seinem Jahresprogramm immer ein paar Comeback-Touren.«
Weil