des Zitats« mag uns zwar immer noch beeindrucken, aber wir wissen dabei immer weniger, ob dieses Zitat (oder Sample) nun aus ästhetischen oder rein ökonomischen Gründen zu hören ist.
Retro-Ökonomisierung bedeutet eben auch, dass sich die subversiven Taktiken der Retrogarden nicht mehr so einfach von den hegemonialen Strategien der Retromaniacs unterscheiden lassen.
Das »Problem von Retro«, schrieb Frank Apunkt Schneider in skug, »liegt darin begründet, dass sich subkulturelle Retrostrategien strukturell nicht oder immer zu wenig von den hegemonialen unterscheiden«.
Daran ist nicht nur der Mainstream »schuld«, sondern vielmehr jene subkulturellen Nischen, die so tun, als wäre alles noch so wie vorgestern, als würde allein die Erwähnung eines Bandnamens für »cooles Wissen« bürgen.
Dementsprechend haben wir es auch immer mehr mit Pop-Phänomenen zu tun, die im Stil von Bachelorabschlussarbeiten daherkommen. Gewohnt, nur noch das Nötigste abzurufen, wird die Pop-Pflichtliteratur nach einer Marktanalyse schön auf einer CD zusammengefasst und im Promotext als »Indie«, »Alternative« oder »Post-Punk« beworben. Dekonstruktion, Remix und Mashup (drei Angelegenheiten, denen Reynolds sowieso kritisch gegenübersteht) reduzieren sich dann darauf, einen schwarz-weißen Karopullover aufzutrennen, um daraus einen weiß-schwarzen Karopullover zu machen.
Statt um die Referenzhöllen der »Recreativity« (Reynolds zählt dazu Persiflage, Remake, Parodie, Reenactment, Pastiche) geht es ihm um eine Rehabilitierung »innovativer Musik«, die sich gleichsam durch eine creatio ex nihilo (dem Phantasma der Moderne par excellence) von allem, was zuvor gewesen ist, unterscheidet.
Jedoch bastelt auch Reynolds ebenso leidenschaftlich wie manisch an jener »Verweishölle« weiter, die er schon bei Rip It Up And Start Again angelegt hat. Die Fakten, Fußnoten, Referenzen von Retromania erschlagen einen beinahe in ihrer Akribie.
Genau hier entspinnen sich auch die Kontroversen rund um das Buch (auf die Reynolds im Postskript eingeht). Sein bedingungsloses Eintreten für die Ehrenrettung von Begriffen wie »Originalität«, »Innovation«, »Authentizität« und der damit verbundenen künstlerisch-kreativen Praxis, lässt Retromania auch als bockige Kampfschrift gegen den von ihm diagnostizierten »altmodischen Postmodernismus« erscheinen.
Für Reynolds stellt die Fortschrittlichkeit von Pop Ende der 60er/Anfang der 70er einen Teil des Projekts der Moderne dar, die zu diesem Zeitpunkt jedoch von der Kunst und der Architektur schon in Richtung Postmoderne verlassen wurde. Reynolds lobt die 60er wegen dem »Nichtvorhandensein von Revivals und Nostalgie« in den Pop-Olymp. »Bei Pop ging es doch um die Verheißung der Gegenwart, oder?« Pop sagt: »Be here now.« Nur, war Popkultur nicht schon immer postmodern? Ein hybrides, kosmopolitisches Mischmasch unterschiedlichster Zitate und Referenzen?
Schon 1958 gab es in den USA die ersten Rock’n’Roll-Oldie-Radio-Stationen (in George Lucas 1962 spielendem Film American Graffiti hören wir außer den Beach Boys nur »Oldie«-Musik aus den 50ern) und selbst die 60er sind durch eine eigentümliche Dialektik von Future- und Retromania gekennzeichnet. Angefangen beim Folk- und Blues-Revival bis hin zum »New Hollywood« und den ebenso auf »Old Hollywood« zurückblickenden »Midnight Movies« und Vintage Stores des campen Undergrounds. Selbiges finden wir auch bei den Ideen von Brian Wilson und Van Dyke Parks, die sich aus Bestandteilen des »Amercian Songsbooks«, der »American Operetta« und des Musicals eine neue Musik zusammenbasteln. Ähnliches gilt für die Beatles, für die, wie McCartney unlängst in den Liner Notes zu Kisses On The Bottom erklärte, vor allem die Swing-Ära prägend war. Auch in der Pop Art haben wir es überall mit Blicken in diverse Rückspiegel zu tun, finden wir doch bei Warhol, Rauschenberg, Lichtenstein immer wieder Rückgriffe auf Ikonografien, Images und Zeichen aus den 30ern/40ern.
Da Reynolds auf einen Theorientwurf verzichtet und beizeiten geschmäcklerisch argumentiert, fällt seine Kritik an den Nullerjahren entsprechend aus: »Anstatt sich mit sich selbst zu beschäftigen, drehten sich die 2000er um alle vorangegangenen Jahrzehnte auf einmal.« Dabei verkennt er den ideologischen Kern der großen Erzählungen des »Pop-Selbst«. Die konnten sich ja nur durchsetzen, indem sie Anderes radikal ausklammerten. Dass in diesem Zusammenhang bei Reynolds auch »Dekadenz« als Beschreibung des von ihm nicht geschätzten Ist-Zustands dient, macht die Angelegenheit nicht gerade leichter. Zu sagen, alles sei nur »Ersatz« (dekadente Second-Order-Hipness ohne »wahren Kern«) und frühere Revivals hätten sich noch »echt angefühlt«, ignoriert, dass, wer sich mit dem »Pop-Selbst« ins Bett legt, am Morgen danach mit dem Gegenteil von Pop aufwachen kann.
Verlaufen sich nicht auch die Futuremaniacs bei ihrer permanenten Jagd nach dem ganz Neuen und landen so selber in einem endlosen Loop? Mehr noch: Die Fixierung auf den neuesten Schrei verhindert geradezu das längere Eintauchen in eine Musik, einen Act, ein Genre. Was bleibt, sind die ewigen Altvorderen – wohingegen eine Musik, die im November 2012 nach Juli 2012 klingt, schon total out sein kann.
Hier zeigt sich auch der grundsätzliche Zwiespalt, mit dem jeder »enttäuschte Emphatiker« zu kämpfen hat, wenn die Enttäuschung einen kulturpessimistischen Doppelgänger generiert: Es kommt zu einer Verstrickung in zig Widersprüche (von denen wiederum jeder einzelne eine Menge produktiver Denkprozesse in Gang setzen kann).
Kann, aber nicht muss. Denn am Phänomen »Retromania« hat auch jener Popjournalismus der Nullerjahre mitgearbeitet, der gleichzeitig durch das zynisch-fadisierte Mantra »Kenn ich schon, mag ich nicht« wie durch ein banales »Alt aber immer noch besser als …« gekennzeichnet ist.
Zudem gibt es kaum mehr subversive Lesarten von Pop jenseits der reinen Musikbesprechung (das Schreiben über Pop selbst ist in die Retro-Falle getappt, als die Theorie zum unnützen Orchideenfach erklärt und entsorgt wurde). Gerade die blöde, sagen wir ruhig un-campe, Anwendung von »Remake/Remodel« bietet die Möglichkeit, auch gleich mit dem »ganzen Scheiß der Postmoderne« (Poststrukturalismus, Dekonstruktivismus, Gender/Queer Studies etc.) abrechnen zu können: Alles falsch, alles Mist. Das »Echte« setzt sich am Ende doch durch. Da es sowieso nichts Neues mehr gibt und weil deshalb nun belegbar am Anfang von Früher alles felsenfest besser (weil neuer) war, braucht es gar keine Artikel mehr über Neuerscheinungen und es kann stattdessen das Reissue, das Box-Set, die Reunion, das Comeback oder die neue CD alter Lieblinge in den Feuilleton-Himmel gelobt werden.
Im schlimmsten Fall kann Reynolds’ Retromania dann auch als Bestätigung all jener Box-Set- und Sixties-Fans gelesen werden, von denen Reynolds sich ja absetzen will.
Judith Butler hält in Haß spricht fest: »Es gibt keine Möglichkeit, nicht zu wiederholen.« Und aus diesem Loop ergeben sich bekanntlich immer wieder Möglichkeiten von »Fehlaneignungen« (aka »produktive Missverständnisse«). Butler ist jedoch nicht so naiv, die Skills (nachstellen, resignifizieren, überschreiben) uneingeschränkt als subversiv zu betrachten. In Körper von Gewicht behandelt sie Forman von Wiederholungen, »die nicht subversiv genannt werden« können, da sie zur »Festigung hegemonialer Normen«, der »Reidealisierung« statt »Destabilisierung« dienen. The-Bands und Neo Soul verschieben nicht das Zitierte, sondern etablieren es (handgespielter, verschwitzter Soul versus Cyber-R&B) erneut als hegemoniale Norm.
Erinnern wir uns nur an das Joy-Division-Revival im Zusammenhang mit dem Film Control. Joy Division wurden ins klassische Rocknarrativ eingeschrieben. Als New-Wave-Version der Doors konnten sie nun problemlos integriert und das subversive (politische) Programm von Post-Punk (gegen den Punkrock-Machismo, für bastardisierte, queere, multiethnische Bündnisse) entsorgt werden.
Solche Revivals ohne Nebenwirkungen exekutieren ein revisionistisches wie restauratives »Ende der Geschichte«, um es sich in einem idealtypischen Gestern gemütlich zu machen. »Legalize History« wird hier nur noch als weiteres Box-Set verstanden.
Deshalb kann die Ideologie der Revivals nicht von den Revivals der Ideologien getrennt werden. Was macht ausgerechnet die 80er als »Me-Age« so faszinierend für das von Reynolds diagnostizierte »Re-Age« der Nullerjahre? Welche Funktion hat das NDW- und Schlager-Pop-Revival der Berliner Republik vor dem Hintergrund einer Re-Nationalisierung durch Pop?
Nicht zuletzt brachte diese ideologische Retromanie im Schlepptau von The-Bands,