Johannes Huber

Baupläne der Schöpfung


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      Die Werkzeugkästen der Evolution sind voll mit genialen Instrumenten, um sich der Umwelt anpassen zu können.

      Feuerbachs Religionskritik hatte noch eine Theologie vor sich, in der man davon ausging, dass der Weltenbaumeister in die Naturvorgänge eingreift. Dass dem nicht so ist, haben in der Zwischenzeit manche Theologen gelernt. Lernen musste aber auch die Naturwissenschaft, dass der Mensch zum großen Teil ein Spiegel von außen ist. Auch seine Gedanken und »Erfindungen«. Was bedeutet, dass jeder von uns, Sie und ich, möglicherweise geprimt, also beeinflusst wurde, bevor er einen Gedanken hervorbringt.

      Die zündende Idee wäre dann nur das Ergebnis eines Wisperns aus der Unendlichkeit. Als würde jemand ganz leise flüsternd einsagen.

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      Der epigenetische Code

      Dolly hat alles über den Haufen geworfen.

      Lange waren sich die Philosophen einig gewesen: Objekt und Subjekt sind getrennte Wirklichkeiten. Die Entdeckung der Epigenetik, die zur philosophischen Hilfswissenschaft aufstieg, zeigte das Gegenteil.

      In Form eines Experiments, das Määäh sagen konnte und die Medien auf der ganzen Welt abgraste: Schaf Dolly, das erste geklonte Säugetier. 1996 gelang der Durchbruch. Die Forschungen hatten ein pharmazeutisches Ziel: Man wollte mit Schaf-DNA eine Zellkultur anlegen. So manipulierte Euterzellen gewinnen, in denen sich über Milch Gerinnungsfaktoren bilden, um Medikamente herzustellen. Deshalb transplantierte man den Zellkern, das Genom einer Euterzelle, in das Zytoplasma einer Eizelle ohne Zellkern. In der Hoffnung, dass dadurch lang lebende Zellkulturen entstehen. Allerdings kam etwas völlig anderes heraus. Ein neues Schaf. Die Wissenschaftler stutzten: Wie konnten die Gene einer Milch produzierenden Zelle einen neuen Embryo erschaffen, anstatt, wie erwartet, eine weitere Euterzelle?

      Antwort gab die Epigenetik: Die Gene der milchherstellenden Zelle wurden sozusagen von außen durch das Zytoplasma der Eizelle unerwartet so neu geordnet, dass nicht mehr Brustdrüsenzellen, sondern ein richtiger Embryo daraus wurde.

      Das ist das Fantastische an der Wissenschaft. Forschung geht so weit, dass sie irgendwann Regeln, die bislang als unumstößlich galten, von der Platte fegt. Forschen heißt Thesen aufstellen und Bestätigungen suchen. Über den Tellerrand schauen und das Unmögliche nicht ausschließen. Dann passieren Wunder. Denkschulen ändern sich, neues Wissen erweitert den Horizont und macht die Sicht klar.

      So hatte mit Dolly das Ende der rein genetisch-mechanistischen Betrachtungsweise des Lebens begonnen. Unter der Wucht dieser und anderer Erkenntnisse zerstob die bisherige Meinung, das Genom wäre ein erratischer Block, an dem im Normalfall nicht gerüttelt werden kann und in dem sich bis zum Lebensende nichts mehr verändert. Falsch. DNA ist nicht stur.

      In unserem Erbgut ist viel in Bewegung: Gene lösen sich aus einer Position, um sich an einem anderen Ort hineinzuzwängen. Andere DNA-Abschnitte verschwinden in einem schwarzen Loch von Basen, die nicht in Proteine umgesetzt werden konnten. Die Biologie studiert das derzeit sehr genau. Was man heute mit ziemlicher Sicherheit weiß, betrifft die Verpackung der Gene: Sie ändert sich sowohl bei der Befruchtung wie auch in der Schwangerschaft. Dadurch wird vorherbestimmt, ob und welche Gene tatsächlich arbeiten dürfen und ihre Botschaft in Proteine umschreiben können.

      Jede Zelle trägt die komplette Erbinformation in sich. Und zwar im DNA-Faden, auf dem die Buchstaben der Erbinformation wie auf einer Perlenkette hintereinander eingewoben sind. Der Faden ist lang, etwa zwei Meter beträgt er pro Zelle, würde man ihn vollkommen entfalten.

      Dass diese Informationskette klug verpackt werden muss, versteht sich, sonst hätten die zwei Meter in dem mit freiem Auge gar nicht sichtbaren Zellkern unmöglich Platz. Deshalb ist der DNA-Faden zusammengerollt. Wie ein Seil, das man in einen kleinen Sack zwängen muss.

      Obwohl es beim Hinsehen chaotisch aussehen könnte, geschieht das nicht zufällig. Das Faltungsmuster der DNA gehorcht physikalischen Regeln, die auf chemischen Verbindungen beruhen: Methylreste, Acetylreste und Phosphatgruppen, drei häufige Moleküle, die an unterschiedlichen Stellen an die DNA angehängt werden, beziehungsweise an den Kristallisationskern, den Histonen, einem Teil des Verpackungsmaterials der DNA. Das verleiht der DNA-Perlenkette eine elektrische Ladung, die, physikalischen Anziehungs – und Abstoßungskräften folgend, ein Faltungsmuster ergibt. Das Wunder Leben, ein elektrisches Zittern.

      Unser Erbgut ist ein Schatz, der aus unzähligen kleinen Magneten besteht, sich ununterbrochen bewegt und oszilliert. Das biochemische Origami dient nicht nur der Verpackung. Wird ein Gen, bildlich gesprochen, nach unten oder in das Innere des Knäuels geschoben, kann es bei Weitem nicht so aktiv bleiben und Proteine bilden, wie wenn es an der Oberfläche bleibt. Damit entscheiden besagte Methylphosphate und Acetylreste auch darüber, ob Gene arbeiten oder in einen Ruheschlaf versenkt werden.

      Im Unterschied zur Basensequenz des DNA-Fadens, der im Großen und Ganzen konstant bleibt, ändert sich die Verpackung und steht offensichtlich mit der Außenwelt in permanentem Dialog. Was dem Überleben und der Erhaltung der Art dient. Dadurch gelingt es der Zelle rasch und ohne Gene verändern zu müssen, sich einer rastlosen Umwelt anzupassen – körperlich und auch charakterlich.

      Was also die Biologie tut, könnte man ebenso von der Interpretation der Offenbarung erwarten.

      Damit wird auch eine Denksportaufgabe gelöst, für die es in der Medizin lange Zeit keine Antwort gab: Wenn in unserem Körper jede Zelle die gleiche Erbinformation in sich trägt, warum bilden dann manche Zellverbände Haare, andere Knochen und wieder andere den Herzmuskel? Wie weiß die Zelle, welche Befehle sie an welchem Ort ausführen soll? Schließlich trägt sie das Genom für alle Organe unseres Körpers in sich. Die Antwort darauf ist: die Verpackung.

      In Leberzellen sind Gene für die Netzhaut, für Nerven und Knorpeln durch die Verpackung versteckt und inaktiviert. Das Erbgut wird so gefaltet, dass es nur jene Proteine herstellt, die gerade für die Leber notwendig sind.

      Während der Embryonalzeit sind zahlreiche Gene aktiv, die dem Heranreifen und der Neubildung unserer Organe dienen. Nach der Geburt, mitunter auch schon früher, werden diese Gene abgeschaltet, indem sie umgepackt und dadurch ruhiggestellt werden.

      Manchmal verlieren diese Gene im Alter den Karton, in dem sie eingesperrt waren, und werden aktiv, so wie in der Embryonalzeit. In seltenen Fällen kann dadurch Krebs entstehen. Wird dieser Verpackungsmechanismus während der Schwangerschaft gestört, können schwere Missbildungen entstehen. Denn die veränderte Verpackung verhindert mitunter eine Genaktivität, bevor das Organ noch fertig ist.

      Nach der Geburt werden Gene weiter umgepackt. Ihre Aktivität hängt letztlich davon ab, ob sie aufgeschnürt werden, was epigenetisch passiert. Manche Änderungen in der Genarchitektur sind durch äußere Reize ausgelöst und so nachhaltig, dass sie noch Jahrzehnte später ihre biologische Wirkung behalten. Das jahrelange Leiden an psychischen Traumen, auch physisch, lässt sich so erklären.

      Die Schwangerschaft ist für das Kind, teils aber auch für die Mutter eine epigenetische Großleistung. Während dieser Phase prägt die Mutter das Kind. Manche epigenetische Veränderungen reichen bis zur Verpackung der Keimzellen-DNA. Dann werden erworbene Eigenschaften auch weitervererbt. Und das Spiel des Lebens geht in der Verlängerung.

      Die tragende Rolle der Schwangerschaft

      Junge Stare flüchten flinker, wenn sie schon im Ei dem Cortisol ähnlichen Stresshormon Corticosteron ausgesetzt waren. Das haben Forscher der kanadischen University of British Columbia bei Vögeln beobachtet, die sie in Kästen auf einer Farm eingenistet hatten. Zur Vortäuschung mütterlichen Stresses wurde der Corticosteron-Gehalt frisch gelegter Eier künstlich erhöht. Daraus geschlüpfte Nestlinge wuchsen zwar ebenso schnell heran wie Stare aus unbehandelten Eiern und wurden wie sie im Alter von drei Wochen flügge. Bei ihren ersten Flugversuchen schnitten sie aber merklich besser ab. Sie besaßen nicht nur größere Flügel, sie konnten auch kräftiger damit schlagen. Deutlich weiterentwickelt, enthielten ihre Flugmuskeln so viel Eiweiß und so wenig Wasser, wie es sonst für