Umfeld aufwachsen. Vermutlich verbessern gestresste Starenweibchen, die ihre Eier mit Corticosteron anreichern, die Überlebenschancen der Brut.
Das erklärt: Die Umwelt greift über die Prägekraft der Hormone schon während der Schwangerschaft in unser Leben ein.
Dass Mütter ihren Stress an die Kinder weitergeben, noch ehe der Nachwuchs das Licht der Welt erblickt, ist zwar schon lange bekannt, bisher wurden meist negative Effekte entdeckt: gebremstes Wachstum etwa oder ein geschwächtes Immunsystem. Anscheinend können Stresshormone sehr wohl die positive Auswirkung haben, dass die Sprösslinge bei Zeiten für ein gefahrvolles Leben vorbereitet werden. Man könnte sagen, sie werden epigenetisch abgehärtet.
In der Geburtshilfe nimmt die Epigenetik der Schwangerschaft einen immer größeren Raum ein: die Folsäure ist ein epigenetischer Buchstabe, deswegen ist sie in der Schwangerschaft wichtig. Ein Vitamin-D-Mangel der Mutter kann Jahrzehnte später beim Kind eine Osteoporose beschleunigen. Ja selbst die Nahrung des Vaters vor der Zeugung kann sich ungünstig – noch Jahrzehnte nach der Geburt – auswirken. Hat sich der Herr Papa zeit seines Lebens von Schnitzel, Stelzen und Schweinsbraten ernährt, wird das Kind später wahrscheinlich leichter zunehmen. Sogar Mobbing kann über die DNA wie eine Portion Gift in die nächste Generation einfließen. Ist die Mutter während der Schwangerschaft boshafter Kritik ausgesetzt, beeinflusst ihre Angst das Stressverhalten des späteren Erwachsenen.
Die Natur gibt weiter, was der Mensch begonnen hat.
Schreien, Stillen, Schmusen: das Säuglingsalter
Die Wissenschaft der Spiegelungen, mit deren Hilfe sich die äußere Welt nicht nur in unser Bewusstsein eingraviert, sondern sich auch in der DNA verewigt, geht bis in die 1990er-Jahre zurück. Zwei kanadische Forscher, beide kamen aus Montreal, kannten einander aber nicht, trafen sich zufällig in Madrid in einer Bar. Michael Meaney, Neurowissenschaftler am Douglas Mental Health Institute, und Moshe Szyf, Genetiker an der McGill University, der sich mit chemischen Veränderungen an der DNA befasst, die sich auf die Aktivität auswirken. Meaney nahm eine kräftigen Schluck von seinem Bier und erzählte von seinen Beobachtungen.
»Ich habe da etwas entdeckt. Junge Ratten sind viel stressresistenter, wenn sich ihre Mütter beim Stillen um sie kümmern.«
»Tatsächlich?«
»Ja, ich verrate dir die Details. Nehmen wir noch eine Runde, Moshe?«
»Sicher, Michael.«
Bei diesem Gespräch soll Moshe Szyf – so berichtet Craig Miller am 2. Juli 2010 im Fachmagazin Science – die Erleuchtung gekommen sein. Es lag nicht am Bier. Das muss etwas mit der Methylierung an der DNA zu tun haben, dachte er. Ein Mechanismus, den Szyf bislang nur an Stammzellen und an Krebsgeweben hatte beobachten können. Das stand im Widerspruch zur üblichen Meinung, dass sich Impressionen über Neuronen manifestieren. Diese Neuronen bilden bei entsprechenden Reizen mehr Synapsen, die dann umso leichter wieder bemüht und aktiviert werden können. 2004 publizierten beide in Nature Neuroscience einen Artikel, der zu den meistzitierten dieses wissenschaftlichen Journals zählt.
In ihm berichteten sie von einer Hormonuntersuchung, die sie an jungen Ratten vorgenommen hatten. An Nagern, die nach ihrer Geburt ausreichend gestillt wurden, und an einem zweiten Kollektiv, dem es nicht so gut ging. Wurden diese Tiere später mit Stresssituationen konfrontiert, schütteten die Ratten, denen in der Kindheit wenig Zuwendung zuteil geworden war, reichlich Cortisol, also Stresshormone, aus. Die Nebenniere, in der das Cortisol gebildet wurde, reagierte damit überschießend. Mit all den körperlichen Reaktionen, die ein hohes Maß an Stresshormonen mit sich bringt. Der Grund für diese massive Cortisolbildung bei den kindlich vernachlässigten Tieren: In bestimmten Bereichen des Hirns fehlten die Cortisolrezeptoren, die normalerweise die Stressreaktionen ausbalancieren. Durch die fehlende Zuwendung und das kümmerliche Stillen waren diese Rezeptoren methyliert – und damit außer Kraft gesetzt.
In der Folge erzielte eine zweite Publikation enormes Interesse: Studenten von Michael Meaney untersuchten das Östrogenrezeptorgen und seinen Methylierungszustand. Wurde den Labortieren nach ihrer Geburt der Zugang zum Stillen erschwert, dann besaßen sie auch im Erwachsenenalter einen methylierten Östrogenrezeptorgenabschnitt, der die Ablesung erschwerte. Und vor allem verhinderte, dass ein weiteres Hormon, Oxytocin, im Gehirn ausgeschüttet wird. Dieses Hormon regelt die Zuwendung und das Vertrauen – auch beim Menschen –, und es ist für das Stillen mitverantwortlich. Ratten, die kaum gestillt wurden, zeigten dadurch ein ähnliches Verhalten, wenn sie selbst Kinder zur Welt brachten.
Aber auch das Gen für den Brain Derived Nerve Growth Factor der Jungen wird hypermethyliert und inaktiv gesetzt, wenn Muttertiere während ihrer Schwangerschaft mit sozialem Stress konfrontiert sind. Das Methylierungsmuster bleibt später erhalten. Interessanterweise greifen bestimmte Psychopharmaka in den epigenetischen Code ein und acetylieren das Gen für den Brain Derived Nerve Growth Factor, wodurch sie es aus der Lethargie wieder herausholen und – schnipp! – aktivieren.
Während für die Verhaltensforscher die Epigenetik eine willkommene Erklärung für Phänomene darstellt, die sie beobachten, aber naturwissenschaftlich bis dato nicht zuordnen konnten, stehen Biochemiker und Molekularbiologen den epigenetischen Interpretationen noch abwartend bis skeptisch gegenüber. Timothy Bestor, ein Genetiker der Columbia University, meint, dass mehr naturwissenschaftliche Studien notwendig seien, um tatsächlich derartige verhaltensbiologische Schlüsse zu ziehen. Was man, so der Einwand, bei Einfachmechanismen wie der Hefe nachweisen kann, muss nicht zwangsläufig in der Komplexität des Gehirns stattfinden. Allerdings können selbst die kritischsten Molekularbiologen nicht leugnen, dass es Prägephänomene gibt, die den Menschen klinisch über Jahrzehnte begleiten. Die Suche nach dem Alphabet für diese Phänomene ist noch nicht abgeschlossen. Die Tendenz scheint in die Richtung zu gehen, dass epigenetische Mechanismen ihre Hand im Spiel haben.
Für den Geburtshelfer ist eines wichtig: Die Neugeborenen müssen von der Mutter liebkost und gestreichelt werden. Das prägt sie ein Leben lang und hilft, Stresssituationen mit Gelassenheit entgegenzutreten. Die ersten Lebensjahre sind das zweite epigenetische Fenster, währenddessen sich die Außenwelt im Kind niederschlägt, vor allem in der Zuneigung, die man dem Kind über taktile Reize entgegenbringt. Das Kind speichert sie und gibt sie später an die eigenen Kinder weiter.
Uns zeigt das etwas sehr Schönes. Liebe lässt sich vererben.
Die Pubertät und der Prägestempel
Schwierig, schwierig. Und doch so aufschlussreich. Die Zeit der inneren Irritationen. Sturm und Drang ohne Maß und Ziel. Wo geht die Reise hin, hm? Man weiß es nicht zu richtig zu deuten, woher auch, wozu auch. Der Geist der Rebellion erwacht.
Gesellschaftliches, soziales und weltanschauliches Verhalten entscheidet sich meist in der Kindheit und in der Pubertät. Es ist die Prägephase, in der die elektronischen Medien zunehmend die Funktion des Idols übernehmen. Dazu die sozialen Medien, die Wertungen, die Mahnstimmen der bloggenden Umwelt. Alles Weichen, wichtige Weichen. Da diese Kurseinstellung junger Menschen jahrzehntelang anhält und nicht den Genen selbst zugrunde liegt, darf man eine epigentische Wirkung der elektronischen Medien vermuten.
Eine internette Auswirkung.
Der epigenetische Einfluss der Medien ist gut untersucht. Daneben gibt es viele andere Varianten, die unsere Physiologie und unsere Lebenseinstellungen prägen.
Die härtesten Daten gibt es derzeit aus der TV-Welt. Seit 17 Jahren testet Peter Winterstein, Kinderarzt in Baden-Württemberg, fünf – bis sechsjährige Kinder und lässt sie dabei zeichnen. Dieser Blick in die Kinderseele hat eine Überraschung gezeigt: Während Vorschulkinder mit einem TV-Konsum von weniger als 16 Minuten pro Tag Männchen mit Haaren, Kleidern und Schuhen zeichnen, begnügen sich gleichaltrige Kinder, die täglich drei Stunden und mehr fernsehen, mit der Darstellung verkrüppelter Strichmännchen, denen Glieder aus der Hüfte wachsen oder Beine aus dem Kopf. Winterstein macht für solche Entwicklungsdefizite vor allem den Medienkonsum verantwortlich. Dabei besuchten aber alle Untersuchten eine Schule und ab dem Alter von drei Jahren mindestens