ihren Geist noch ihren Charakter fügsamer. Sie blieb aufrecht und stark wie ein Baum, der vom Blitz getroffen wurde und stehen geblieben ist. Ihre Würde wurde geschraubt, ihre königliche Haltung machte sie preziös und klügelnd. Wie alle, die sich von beliebigen Hofmachern anbeten lassen, saß sie mitsamt ihren Fehlern auf dem Thron. Das war die Vergangenheit der Frau von Bargeton, kurz und kalt erzählt, wie es notwendig war, um ihre Verbindung mit Lucien verständlich zu machen, der seltsam genug bei ihr eingeführt wurde. Während des letzten Winters war eine Persönlichkeit in die Stadt gekommen, die das eintönige Dasein, das Frau von Bargeton führte, belebt hatte. Die Stelle des Direktors der indirekten Steuern war erledigt gewesen, und Herr von Barante besetzte sie mit einem Manne, dessen abenteuerliches Schicksal genügend für ihn einnahm, dass weibliche Neugier ihm den Zutritt zur Königin des Landes verschaffte.
Herr du Châtelet, der als einfacher Sixtus Châtelet zur Welt gekommen war, aber im Jahre l806 den guten Einfall gehabt hatte, sich adeln zu lassen, war einer der angenehmen jungen Leute, die unter Napoleon dadurch allen Aushebungen entgingen, dass sie in der Nähe der kaiserlichen Sonne weilten. Er hatte seine Karriere als Geheimsekretär einer kaiserlichen Prinzessin begonnen. Herr du Châtelet war im Besitz aller Unfähigkeiten, die seine Stellung erforderte. Er war ein wohlgebauter, hübscher Mann, ein guter Tänzer, geschickter Billardspieler, gewandt in allen Leibesübungen, ein mäßiger Schauspieler bei Liebhaberaufführungen, ein Romanzensänger, gab ein gutes Publikum für Witze ab, war zu allem bereit, schmiegsam, missgünstig, und wusste alles und nichts. Er verstand nichts von Musik und konnte eine Dame schlecht und recht am Klavier begleiten, wenn sie aus Gefälligkeit eine Romanze singen wollte, die sie einen Monat lang mit unsäglicher Mühe geübt hatte. Er hatte keinerlei Sinn für Poesie und pflegte in Gesellschaft keck um die Erlaubnis zu bitten, zehn Minuten auf und ab gehen zu dürfen, um etwas zu improvisieren, irgendeinen Vierzeiler, der platt wie ein Pfannkuchen war und in dem der Reim den Gedanken ersetzen musste. Herr du Châtelet besaß auch das Talent, die Stickerei auszufüllen, deren Blumen von der Prinzessin angefangen worden waren; er hielt mit unbeschreiblicher Grazie die Seidensträhnen, die sie aufspulte, und sagte ihr dabei Nichtigkeiten, in denen die Zote unter einem mehr oder weniger durchlöcherten Schleier versteckt war. Er verstand nichts von Malerei und konnte eine Landschaft kopieren, ein Profil zeichnen oder ein Kostüm entwerfen und kolorieren. Kurz, er hatte all die kleinen Talente, die in einer Zeit, in der die Frauen mehr Einfluss auf die Geschäfte gehabt haben, als man glaubt, von so großem Wert für die Karriere waren. Er spielte sich als stark in der Diplomatie auf, in der Wissenschaft derer, die keine haben und die tief sind infolge ihrer Leere, einer Wissenschaft, die überdies sehr bequem ist, indem sie sich nämlich durch die Ausübung so hoher Verrichtungen wie folgende betätigt: da sie diskrete Menschen braucht, erlaubt sie denen, die nichts wissen, nichts zu sagen, sich auf geheimnisvolles Wiegen des Kopfes zu beschränken; und schließlich ist der Mann der stärkste in dieser Wissenschaft, der seinen Kopf über dem Fluss der Ereignisse hält, wenn er schwimmt, und ihn so zu lenken scheint, was zu einer Frage des möglichst geringen spezifischen Gewichts wird. Hier wie in den Künsten kommen tausend Mittelmäßigkeiten auf einen Mann von Genie. Trotz seinem ordentlichen und außerordentlichen Dienst bei der kaiserlichen Hoheit hatte ihn der Einfluss seiner Gönner nicht in den Staatsrat bringen können, er hätte zwar einen ausgezeichneten vortragenden Rat abgegeben, so gut wie viele andere, aber die Prinzessin fand ihn bei sich selbst besser untergebracht als irgendwo anders. Jedoch wurde er zum Baron ernannt, ging nach Kassel als außerordentlicher Gesandter und machte dort in der Tat eine sehr außerordentliche Erscheinung. Mit andern Worten: Napoleon benutzte ihn in kritischer Zeit als diplomatischen Kurier. In dem Augenblick, wo das Kaiserreich zusammenbrach, war dem Baron du Châtelet bereits zugesagt, er solle Gesandter in Westfalen bei Jérôme werden. Nachdem ihm also fehlgeschlagen war, was er einen Botschafterposten in der Familie genannt hatte, ergriff ihn die Verzweiflung; er machte mit dem General Armand de Montriveau eine Reise nach Ägypten. Er war durch höchst absonderliche Ereignisse von seinem Gefährten getrennt worden und zwei Jahre lang von Wüste zu Wüste, von Stamm zu Stamm geirrt, war Gefangener der Araber geworden, die ihn sich einander abkauften, ohne den geringsten Nutzen von seinen Talenten zu haben. Endlich erreichte er das Gebiet des Imam von Maskat, während Montriveau sich nach Tanger gewandt hatte; aber er hatte das Glück, in Maskat ein englisches Schiff zu treffen, das unter Segel ging, und konnte ein Jahr vor seinem Reisegefährten in Paris eintreffen. Sein jüngstes Missgeschick, einige Verbindungen älteren Datums, Dienste, die er Leuten erwies, die gerade in Gunst waren, empfahlen ihn dem Ministerpräsidenten, der ihn für die nächste Direktorstelle, die frei wurde, bei Herrn von Barante unterbrachte. Die Rolle, die Herr du Châtelet bei der kaiserlichen Hoheit gespielt hatte, sein Ruf als Mann, der sein Glück zu machen verstand, die seltsamen Ereignisse seiner Reise, die Leiden, die er ausgestanden hatte, alles erregte die Neugierde der Frauen von Angoulême. Der Baron Sixtus du Châtelet erkundigte sich nach Brauch und Gepflogenheiten der Oberstadt und richtete sein Benehmen danach ein. Er spielte den Kranken, Blasierten, der an nichts mehr Vergnügen findet. Bei jeder Gelegenheit griff er sich nach dem Kopf, wie wenn seine Leiden ihn nicht einen Augenblick verließen. Dieses kleine Manöver brachte seine Reise in Erinnerung und machte ihn interessant. Er besuchte die höhern Beamten, den General, den Präfekten, den Hauptsteuereinnehmer und den Bischof; aber er zeigte sich überall gemessen, kalt, fast herablassend, wie ein Mann, der nicht an seinem Platz ist und die Freundlichkeit der Mächtigen abwartet. Er ließ seine geselligen Talente erraten, die dadurch gewannen, dass man sie nicht kennen lernte; dann, nachdem er auf sich gespannt gemacht hatte, ohne die Neugier zu ermüden, nachdem er die Nichtigkeit der Männer durchschaut und die Frauen mehrere Sonntage hintereinander im Dom weise geprüft hatte, erkannte er in Frau von Bargeton die Person, deren Intimität ihm zusagte. Er zählte auf die Musik, um sich die Tore dieses Hauses zu öffnen, das gegen Fremde hermetisch verschlossen war. Er verschaffte sich heimlich eine Messe von Miroir und studierte sie sich am Klavier ein; dann bezauberte er an einem schönen Sonntag, wo die ganze gute Gesellschaft von Angoulême in der Messe war, diese Verständnislosen mit seinem Orgelspiel und erweckte das Interesse, das sich an seine Person geknüpft hatte, indem er von den Angehörigen des niedern Klerus überall in der Kirche seinen Namen nennen ließ. Beim Verlassen der Kirche beglückwünschte ihn Frau von Bargeton und bedauerte, keine Gelegenheit zu haben, mit ihm zu musizieren; während dieses Zusammentreffens, das er gesucht hatte, ließ er sich in ganz natürlicher Weise den Zutritt zu ihrem Hause gewähren, den er nicht erlangt hätte, wenn er darum gebeten hätte. Der geschickte Baron kam zu der Königin von Angoulême, der er kompromittierende Aufmerksamkeiten erwies. Dieser alte Geck, denn er war fünfündvierzig Jahre alt, gewahrte in dieser Frau eine ganze, noch ungelebte Jugend, Schätze, die darauf warteten, gehoben zu werden, vielleicht eine reiche Witwe, die zu heiraten man hoffen konnte, schließlich eine Verbindung mit der Familie der Nègrepelisse, die es ihm ermöglichte, in Paris bei der Marquise d'Espard Zutritt zu erlangen, deren Einfluss ihm die politische Laufbahn wiedereröffnen konnte. Trotz der düstern und üppig ins Kraut schießenden Mistel, die diesen schönen Baum beschädigte, beschloss er, ihm seine Sorgfalt zu widmen, ihn zu verschneiden, zu pflegen und schöne Früchte von ihm zu ernten. Das adlige Angoulême entsetzte sich über die Einführung eines Glaurs in die Kaaba, denn der Salon der Frau von Bargeton war das Allerheiligste einer Gesellschaft, die von jeder unedlen Mischung frei war. Nur der Bischof verkehrte da regelmäßig, der Präfekt wurde zwei- oder dreimal im Jahr empfangen; der Generaldirektor der Steuern hatte keinen Zutritt; Frau von Bargeton besuchte seine Abende, seine Konzerte, aber sie speiste nie bei ihm. Den Generaldirektor nicht empfangen und einen einfachen Direktor der indirekten Steuern annehmen, dieser Umsturz der Hierarchie schien den missachteten Autoritäten unfassbar.
Wer sich solche Kleinigkeiten, die man übrigens in jeder Schicht der Gesellschaft findet, vorstellen kann, muss verstehen, wie das Haus Bargeton der Bürgerschaft Angoulêmes imponierte. Und gar für Houmeau glänzte die Großartigkeit dieses kleinen Louvre, die Glorie dieses Hotel de Rambouillet des Angoumois, wie eine fernstrahlende Sonne. Die sich dort versammelten, waren ohne Ausnahme die kläglichsten Köpfe, die armseligsten Geister, die erbärmlichsten Tröpfe in einer Runde von zwanzig Meilen. Die Politik ergoss sich in wortreichen und leidenschaftlichen Trivialitäten; die »Quotidienne« schien ihnen lau, Ludwig XVIII. behandelten sie als Jakobiner. Die Frauen waren fast alle dumm, reizlos, zogen sich schlecht an, alle hatten sie irgendeine Unvollkommenheit, die ihnen Abbruch tat, nichts an ihnen war fertig, die Unterhaltung so wenig wie die