Menschen verwehrt, sein großes Verhalten zur Schau zu stellen, so sehr wünscht er, dass seine Seele in ihrem Inkognito gewürdigt wird. Er schilderte den Druck eines Elends, das mit Stolz ertragen wurde, seine Arbeiten bei David, seine dem Studium geweihten Nächte. Diese junge Glut erinnerte Frau von Bargeton, deren Blick traurig wurde, an den sechsundzwanzigjährigen Oberst. Als Lucien sah, wie seine stolze Herrin von ihrer Schwäche übermannt wurde, ergriff er eine Hand, die sie ihm überließ, und küsste sie mit dem Feuer des Dichters, des Jünglings, des Liebenden. Louise ging so weit, dem Apothekerssohn zu erlauben, ihre Stirn in die Hände zu nehmen und seine zitternden Lippen darauf zu drücken.
»Kind! Kind! wenn man uns sähe, machte ich mich sehr lächerlich«, sagte sie und befreite sich gewaltsam aus ihrer Hingenommenheit und Erstarrung.
An diesem Abend richtete der Geist der Frau von Bargeton in dem, was sie die Vorurteile Luciens nannte, große Verheerungen an. Wenn man sie hörte, hatten geniale Menschen keine Geschwister und keine Eltern, die großen Werke, die sie errichten müssten, legten ihnen einen scheinbaren Egoismus auf und zwängen sie, alles ihrer Größe zu opfern. Wenn die Familie im Anfang unter schweren Kontributionen litte, die ein gigantisches Hirn von ihnen eintriebe, sie erhielte später hundertfach den Preis der Opfer aller Art wieder, die für die ersten Kämpfe eines königlichen Menschen gegen Feinde aller Art erfordert würden, und teilten die Früchte des Sieges. Das Genie sei nur sich selbst unterworfen, es sei der alleinige Richter seiner Mittel, denn es allein kenne das Ende: es müsse sich also über die Gesetze stellen, da es dazu berufen sei, sie zu erneuern; wer sich überdies seines Jahrhunderts bemächtigte, konnte alles nehmen und alles wagen, denn alles gehörte ihm. Sie erinnerte ihn an die Lebensanfänge von Bernhard Palissy, Ludwig XI., Fox, Napoleon, Kolumbus, Cäsar, an alle berühmten, wagemutigen Spieler, die zuerst von Schulden aufgefressen wurden, oder unglücklich, unverstanden waren, für Narren, schlechte Söhne, schlechte Väter, schlechte Brüder gehalten wurden, aber die später der Stolz der Familie, des Landes, der Welt wurden. Diese Erwägungen stimmten gut zu der geheimen Lasterhaftigkeit Luciens und förderten das Verderben seines Herzens, denn in der Hitze seiner Wünsche bewilligte er sich die Mittel a priori. Aber nicht zum Ziele kommen, war ein soziales Majestätsverbrechen. Hatte nicht ein Besiegter alle Bürgertugenden ermordet, auf denen die Gesellschaft beruht, die mit Entrüstung jeden Marius verjagt, der auf ihren Ruinen sitzt? Lucien, der nicht wusste, dass er zwischen dem schmählichen Bagno und den Palmen des Genies schwebte, stand hoch oben auf dem Sinai der Propheten, ohne zu seinen Füßen das Tote Meer, das grauenhafte Leichentuch Gomorras, zu sehen.
Louise befreite Herz und Geist ihres Dichters so gut von den Gängelbändern, an denen ihn das Provinzleben bisher festgehalten hatte, dass Lucien es unternahm, Frau von Bargeton auf die Probe zu stellen, um zu erfahren, ob er, ohne sich der Schande einer Zurückweisung auszusetzen, diese stolze Beute erobern könnte. Die Abendunterhaltung, die angekündigt war, gab ihm Gelegenheit, diese Probe anzustellen. Der Ehrgeiz mischte sich in seine Liebe. Er liebte und wollte hochkommen, ein Doppelwunsch, der bei jungen Leuten sehr natürlich ist, die ein Herz haben, das nach Befriedigung lechzt, und die Not, der sie entrinnen wollen. Die Gesellschaft, die heutzutage alle ihre Kinder an denselben Tisch ladet, erweckt ihren Ehrgeiz schon im Morgen des Lebens. Sie nimmt der Jugend ihre Anmut und verdirbt die meisten ihrer edelmütigen Gefühle, da sie sie mit Berechnung vermengt. Die Poesie möchte, dass es anders wäre; aber die Tatsachen strafen zu oft die Dichtung, an die man glauben möchte, Lügen, als dass man sich erlauben könnte, den jungen Mann anders darzustellen, als er im neunzehnten Jahrhundert ist. Die Berechnung, die Lucien machte, schien ihm einem edlen Gefühl zu dienen, seiner Freundschaft für David.
Lucien schrieb seiner Louise einen langen Brief, denn er war mit der Feder kühner als mit dem gesprochenen Wort. Auf zwölf Blättern, die er dreimal abschrieb, erzählte er von dem Genie seines Vaters, seinen gescheiterten Hoffnungen und dem schrecklichen Elend, dem er preisgegeben war. Er schilderte seine liebe Schwester als einen Engel, David als einen Cuvier der Zukunft, der, ehe er ein großer Mann wurde, ihm Vater, Bruder und Freund war; er schrieb, dass er sich unwürdig glaubte, von Louise, auf die er so stolz war, geliebt zu werden, wenn er sie nicht bäte, für David dasselbe zu tun, was sie für ihn täte. Er verzichtete lieber auf alles, als dass er David Sèchard verriete, er wollte, dass David bei seinem Erfolg zugegen wäre. Er schrieb einen der tollen Briefe, in denen die jungen Menschen jeder Weigerung die Pistole entgegenhalten, in denen die Willkür des Kindes und die unsinnige Logik der schönen Seelen in der kostbarsten Wortfülle sich ausspricht, die mit den naiven Erklärungen geschmückt wird, wie sie dem Herzen entschlüpfen, ohne dass es der Schreiber weiß, und wie sie die Frauen so sehr lieben. Lucien hatte diesen Brief der Kammerfrau übergeben und war dann in die Druckerei gegangen, um den Tag damit zu verbringen, Korrekturen zu lesen, diese und jene Arbeiten zu überwachen und allerlei Kleinigkeiten zu ordnen, und hatte zu David nichts gesagt. In den Tagen, wo das Herz noch jung ist, haben die jungen Leute diese göttliche Verschwiegenheit, überdies fing Lucien vielleicht an, das Beil des Phokion zu fürchten, das David handhabte, vielleicht fürchtete er die Klarheit eines Blicks, der bis in den Grund der Seele drang. Nachdem sie Chénier zusammen gelesen hatten, war sein Geheimnis ihm aus dem Herzen über die Lippen gesprungen. Ein Vorwurf hatte es herausgebracht, den er empfand wie den Finger, den ein Chirurg auf eine Wunde bringt.
Nun stelle man sich die Gedanken vor, die Lucien bestürmen mussten, während er von Angoulême nach Houmeau hinabging. Ob sich die große Dame geärgert hatte? Ob sie David empfangen würde? Ob der Ehrgeizige nicht wieder in sein Loch in Houmeau geworfen würde? Obwohl Lucien, bevor er Louise auf die Stirn geküsst hatte, den Abstand, der eine Königin von ihrem Günstling trennt, zur Genüge hatte ermessen können, sagte er sich nicht, dass David den Raum, zu dem er fünf Monate gebraucht hatte, nicht in einem Augenblick durchschreiten konnte. Er wusste nicht, wie absolut der gegen die kleinen Leute ausgesprochene Ostrazismus war; und es war ihm daher unbekannt, dass ein zweiter Versuch dieser Art Frau von Bargetons Verderben sein musste. Des Verbrechens angeklagt und überführt, sich mit dem Pöbel eingelassen zu haben, wäre Louise gezwungen gewesen, die Stadt zu verlassen, wo ihre Kaste sie geflohen hätte, wie man im Mittelalter einen Aussätzigen floh. Die Horde der hohen Aristokratie und sogar die Geistlichkeit würden Naïs gegen jeden verteidigt haben, wenn sie einen Fehltritt begangen hätte, aber das Verbrechen, schlechte Gesellschaft bei sich zu sehen, wäre ihr nie verziehen worden; denn wenn man die Fehler der Machthaber entschuldigt, so verdammt man sie nach ihrer Abdankung. Und David zu empfangen, wäre dasselbe gewesen wie abdanken. Wenn Lucien diese Seite der Frage nicht gesehen hatte, so ließ ihn doch sein aristokratischer Instinkt viele andere Schwierigkeiten ahnen, die ihn schreckten. Der Adel der Gefühle verleiht nicht notwendigerweise auch den Adel der Manieren. Racine wirkte wie der adligste Höfling, Corneille aber sah aus wie ein Viehhändler. Descartes hatte das Benehmen eines wohlhabenden holländischen Kaufmanns. Die Besucher von la Brede hielten oft Montesquieu, wenn sie ihn trafen, mit seinem Rechen über der Schulter und der Nachtmütze auf dem Kopf, für einen gewöhnlichen Gärtner. Wenn der feine Weltton nicht eine Gabe hoher Geburt ist, ein Wissen, das mit der Muttermilch eingesogen oder im Blute vererbt ist, stellt er eine Zucht vor, die der Zufall durch eine gewisse Eleganz der Formen, durch eine feine Besonderheit in den Zügen, durch einen gewissen Ton in der Stimme unterstützen muss. All diese wichtigen kleinen Dinge fehlten David, während die Natur seinen Freund damit begabt hatte, Lucien, der von Mutterseite her adliger Abstammung war. Lucien hatte sogar den hochgewölbten Fuß des Franken, während David Séchard die Plattfüße des Kelten und den gebeugten Nacken seines Vaters, des Buchdruckers, hatte. Lucien hörte in den Ohren schon die Spottreden, die auf David niederprasselten, es schien ihm, er sähe das Lächeln, das Frau von Bargeton unterdrückte. Kurz, ohne sich geradezu seines Bruders zu schämen, nahm er sich doch vor, in Zukunft nicht mehr so auf seine erste Regung zu hören und sie erst zu prüfen. Nach der Stunde der Poesie und der Opferwilligkeit, nach einer Lektüre, die den beiden Freunden eben den literarischen Himmel, von einer neuen Sonne beleuchtet, gezeigt hatte, schlug jetzt für Lucien die Stunde der Politik und der Berechnung. Als er in Houmeau angelangt war, bereute er seinen Brief, er wünschte, ihn wieder zurücknehmen zu können, denn ihm kam eine Ahnung von den unerbittlichen Gesetzen der Welt. Er wusste, wie sehr das Glück, das er erlangt hatte, den Ehrgeiz begünstigte, und es kam ihn schwer an, seinen Fuß von der ersten Sprosse der Leiter zurückzuziehen, auf der er zur Größe emporsteigen sollte. Dann erwachten wieder in seiner