Hanspeter Born

Staatsmann im Sturm


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etwas an Selbstüberschätzung zu leiden, und ferner hat er um sich herum einen förmlichen ‹Hof›, was auch nicht von Gutem ist.»

      Feldmann ist gleicher Meinung. Über eine Besprechung, die er mit Generalstabsoffizier Oberst Michel Plancherel [Mathematikprofessor an der ETH, 1942 wird er Chef der APF] führt, schreibt der Berner Pressemann und Nationalrat:

      Ich hielt auch nicht gerade zurück mit kritischen Äusserungen gegenüber der Einstellung des Generals, der für alle möglichen Dinge Zeit habe, nicht aber für die eigene sachliche Orientierung in Dingen, in denen er kraft seiner Befehlsgewalt regieren wolle. Ich brauchte in diesem Zusammenhang die Wendung, vielleicht müsse sich die Presse zuerst als Hockey- oder Fussballmannschaft konstituieren, um beim General Interesse zu finden.

      Oberst Plancherel, ein Freiburger, ist ebenfalls kritisch:

      Als ich z.B. bemerkte, General Guisan verwechsle offenbar infolge des ihm schwadenweise gestreuten Weihrauchs das «Publikum mit dem Volk» und man habe im Gespräch über ihn heute morgen auch schon den Namen des «Generals Boulanger» genannt, warf Plancherel ein: In Genf habe man auch schon von «Mister Hollywood» gesprochen.

      Boulanger, ein vom Volk bejubelter schneidiger französischer General, hatte 1889 mit einem bonapartistischen Staatsstreich geliebäugelt, sich dann aber aus dem Staube gemacht, als die Justiz hinter ihm her war.

      Im höheren Offizierskorps ist der bei Volk und Soldaten beliebte General umstritten. Unmittelbar nach seiner Wahl durch die Bundesversammlung diskutierte der General im Bundeshaus mit seinem Freund Militärminister Minger die Besetzung des Generalstabschefs, des zweitwichtigsten Postens im Armeekommando. Der «Generalstabschef» im Kriegsfall braucht nicht die gleiche Person zu sein wie der «Chef des Generalstabs» zu Friedenszeiten. Gleichwohl schlug Minger den bisherigen Chef, Oberstkorpskommandant Labhart, vor. Gemäss Hptm. Hans Bracher, damals Sekretär der Landesverteidigungskommission, der bei der Besprechung dabei war, antwortete Guisan, dass «er sich mit Labhart nicht sehr gut verstehe» und ihn nicht als «nächsten Mitarbeiter sehen könne». Mingers Gegenargument: Da man doch bald mit einer Generalmobilmachung rechnen müsse, sei es besser, wenn der amtierende Generalstabschef «das Heft in der Hand behalte», weil ein Neuer «weniger wüsste» als Labhart. Bracher (im nach dem Krieg redigierten Tagebuch):

      Diesem Argument konnte sich der General nicht verschliessen, nicht ohne, dass ihm Minger die Zusicherung gab, wenn es nicht gehen sollte, so können wir immer noch einen Wechsel vornehmen.

      Es ging nicht. Von Beginn an prallten die beiden regelmässig aufeinander.

      Als das Verhältnis des Generals zu seinem Generalstabschef sich weiter verschlechterte, fand Guisan zusammen mit Minger eine Lösung, um Guisan «von der Anwesenheit Labharts zu befreien», ohne diesen «allzu sehr zu kränken». Labhart wurde zum Kommandanten eines neu zu schaffenden 4. Armeekorps ernannt. Gleichzeitig wurde er ad interim als Generalstabschef durch Oberstdivisionär Jakob Huber ersetzt. Guisan, der bei aller Offenherzigkeit über beträchtliche machiavellistische Fähigkeiten verfügte, liess Labhart glauben, Huber sei bloss sein Stellvertreter und seine Versetzung ins 4. Armeekorps geschehe nur vorübergehend. Guisan täuschte auch Oberstkorpskommandant Ulrich Wille, dem er «versprochen» hatte, dass er ihn dem Bundesrat als neuen Generalstabschef vorschlagen werde – was er nicht tat. Beide, Labhart und Wille, fühlen sich von Guisan hintergangen und werden künftig versuchen, es ihm heimzuzahlen.

      Verschiedene hohe Offiziere, allen voran Ulrich Wille, Sohn des Weltkriegs-Generals, hatten keine hohe Meinung von Guisan als Heerführer und Strategen. Der Gegensatz rührte auch daher, dass der deutschfreundliche Wille auf die in der Wehrmacht herrschende Doktrin des modernen Bewegungskriegs schwor, die sich im Polenkrieg offensichtlich bewährt hatte. Guisan hingegen vertraute den seit dem Weltkrieg von den französischen Militärschulen dozierten Lehren über den Verteidigungskrieg.

      Auch Rudolf Miescher, Kommandant des für die Verteidigung des wichtigsten Abschnitts der Limmatlinie zuständigen 3. Armeekorps, bekundete Mühe mit Guisans Vorstellungen über die Kriegsführung. Für Guisan war die Limmat ein panzersicheres Hindernis. Er wollte deshalb die Abwehrfront mit ihren Befestigungen direkt an das Flussufer legen:

      Die Stellung hinter der Limmat ist so zu organisieren und auszubauen, dass dem Feind verwehrt werden kann, auf dem Südufer der Limmat Fuss zu fassen.

      Miescher hingegen glaubte, dem Feind könne das Überschreiten der Limmat nicht verwehrt werden. Seiner Meinung nach müsste die Abwehrfront «durch die bewaldeten südlichen Höhen» hinter dem Fluss gezogen werden. Guisan und Miescher hielten an ihrer Auffassung fest. (Erfahrungen aus dem Polen- und später dem Frankreichfeldzug zeigen, dass Miescher richtiglag und Guisans Auffassung überholt war.)

      Nachdem keine Kredite für den Bau der ständigen Befestigungen gesprochen worden sind, ist Anfang April 1940 noch nicht entschieden, wie die Verteidigungslinie genau gestaltet werden soll. Und was soll mit der Zürcher Bevölkerung geschehen, wenn im Falle eines deutschen Angriffs an der mitten durch die Stadt laufenden Front ein erbitterter Häuserkampf entbrennen würde?

      Im Westen nichts Neues. Man erwartete, dass Hitler im März zuschlagen werde – so wie er es im März 1936 mit der Besetzung des Rheinlands, im März 1938 mit dem Einmarsch in Österreich, im März 1939 mit der Einnahme Prags getan hatte. Doch die Grossaktion gegen Frankreich bleibt weiter aus.

      In Frankreich ist ein Kriegskabinett gebildet worden. Der als entscheidungsfreudig geltende Paul Reynaud hat den abwägenden Daladier als Ministerpräsident abgelöst. Winston Churchill, als First Lord of the Admiralty verantwortlich für den Seekrieg, freut sich über Frankreichs Neuorientierung und gratuliert Reynaud:

      Ich zähle auf die engste und tatkräftigste Zusammenarbeit unserer Regierungen. Ich teile, Sie wissen es, alle die Sorgen über die allgemeine Führung des Kriegs und die Notwendigkeit energischer und drastischer Massnahmen, die Sie mir letzthin mitgeteilt haben.

      In seiner von der Schweizer Presse ausführlich zitierten Antrittsrede verspricht Reynaud dem französischen Volk den Sieg:

      Die vereinigten Mittel der beiden grössten Reiche der Welt garantieren ihnen den Sieg, vorausgesetzt sie wollen und können diese Mittel total einsetzen.

      23. Weckruf

      Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise 1932 sind die Ausgaben des Bundes ständig gestiegen. Subventionen für notleidende Branchen, Arbeitslosenunterstützung, Arbeitsbeschaffungsprogramme und die Aufrüstung der Armee können nicht mehr mit den Zolleinnahmen gedeckt werden. Neue Bundessteuern sind unvermeidlich geworden. Bisher hat sich der Bundesrat mit notrechtlichen Übergangsfinanzprogrammen beholfen. Jetzt will die Regierung eine dauerhafte Finanzordnung gesetzlich verankern. Der Chef des Finanz- und Zolldepartements Ernst Wetter hat im Herbst 1939 eine ausgeglichene Vorlage zusammengestellt und ins Vernehmlassungsverfahren gegeben. Der Ständerat billigt das Projekt am 28. Februar mit 22 zu 4 Stimmen.

      In der dreiwöchigen Frühjahrssession will der Bundesrat das Finanzloch in der Bundeskasse mit dem Abwertungsgewinn der Nationalbank, einem Wehropfer, einer Wehrsteuer, einer Kriegsgewinnsteuer und einer Warenumsatzsteuer stopfen. Das Wehropfer ist eine einmalige Abgabe auf hohe Vermögen, und die Wehrsteuer schöpft die Erträge von Wertpapieren an der Quelle ab.

      Die Sozialdemokraten halten das Projekt für asozial und warnen vor seiner inflationären Wirkung. Der Beitrag des Kapitals zur Sanierung des Bundeshaushalts sei «lächerlich» gering. Die Warenumsatzsteuer treffe die grosse Masse der kleinen Steuerzahler, die Konsumenten und die Arbeiter viel härter als die direkten Steuern die Reichen. Auch den welschen Liberalen gefällt das Projekt nicht. Sie sehen in direkten Bundessteuern eine Gefahr für die Haushalte der Kantone und damit für den Föderalismus.

      Der Gründer und mächtige Chef des Landesrings der Unabhängigen, der dynamische Unternehmer Gottlieb Duttweiler wirft dem Bundesrat vor, nicht an die Zukunft zu denken. Wie die Sozialisten will Duttweiler das Wehropfer von maximal 4½ auf 6 Prozent des Vermögens erhöhen. Er möchte das Geld zweckgebunden für den Bau einer Maginot- oder Siegfried-Linie an der Rheingrenze einsetzen. Der Migros-Chef bestürmt den «phantasielosen»