zusammen. Eine Klärung müsse unbedingt kommen, aber aussenpolitischer oder militärischer Schaden sei unter allen Umständen zu vermeiden. Insbesondere dürfe «die Stellung des Generals nicht in eine Krise hineingeraten, die ihn vielleicht zu weittragenden Entschlüssen veranlassen könnte». Feldmann versteht Pilets Bemerkung so, dass General Guisan auf eine Misstrauenskundgebung des Parlaments mit Rücktritt reagieren könnte. Pilet sichert Feldmann und Meierhans zu, dass der Bundesrat vor dem Parlament eine beruhigende Erklärung abgeben werde.
Tags darauf, Mittwoch, 21. Februar, die Debatte im Rat. Sie ist lang und viele der an Pressefragen interessierten Nationalräte melden sich zu Wort. Der Ton bleibt meist sachlich. Natürlich gibt es Kritik an der Praxis der militärischen Zensoren. Beispiele von absurden Entscheiden werden aufgetischt. Sozialistischen Nationalräten geht es vor allem darum, dass die Armee sich nicht in politische Dinge einmische. Bundesrat Baumann gibt die gewünschte und von Pilet versprochene Erklärung, «wonach wir die Gesinnungsneutralität ablehnen». Er weist aber auch darauf hin, dass «in schweren Zeiten, wie wir sie erleben, freundliche Beziehungen zu allen Nachbarn «doppelt wertvoll» seien.
Johannes Huber erklärt sich befriedigt, dass der Bundesrat die Forderungen auf eine Sicherstellung der Suprematie der zivilen über die militärischen Behörden und auf einen verstärkten Einfluss der Presse angenommen hat, und fügt hinzu:
Wir haben soeben erfahren, dass auch der General selber diese Grundsätze anerkennt. Wir nehmen von dieser Erklärung mit Genugtuung Notiz. Damit ist der Zweck unserer Aussprache erreicht.
Huber zieht seinen Antrag zurück. Es gibt keine Abstimmung.
20. Erste Tage als Aussenminister
Am 1. März teilt der Bundesrat die Departemente für die laufende Amtsdauer neu zu. Wie erwartet übernimmt Pilet das Politische Departement, und Celio ersetzt ihn bei Post und Eisenbahnen. Als Stellvertreter des Aussenministers löst Etter Baumann ab. Auf Antrag Pilets wird noch eine bedeutsame Änderung vorgenommen. Die «Weisungen über die Gestaltung der Radioprogramme», die bisher durch das Post- und Eisenbahndepartement erteilt worden sind, gehen ans Innere über. Man traut dem Neuling und Tessiner Celio die politisch heikle Überwachung vor allem der deutschschweizerischen Radiosendungen offenbar nicht zu. Der ehemalige Journalist Etter ist die gegebene Person.
Die Telefondirektion unter ihrem Chef Muri behält die Zuständigkeit für technische Anlagen, Organisation, Finanzen und Personal des Schweizer Rundspruchs. Muri bleibt Pilets engster Vertrauter in der Bundesverwaltung, auch wenn er ihm nicht mehr unterstellt sein wird. Als eine seiner letzten Handlungen als Postminister empfiehlt Pilet General Guisan einen von Muri abgefassten Bericht zur Lektüre. Er handelt von der Vorbereitung des Telefonnetzes und der Radioinstallationen für den Kriegsfall. Im persönlichen Brief an mon cher Général lobt Pilet Muri als seinen «besten Mitarbeiter»:
Ich sage ohne zu zögern mein bester Mitarbeiter, weil er aussergewöhnlich fähig ist. Man würde in der Bundesverwaltung wenige hohe Beamte finden, die ihm ebenbürtig sind. Er ist sehr offen, sehr franc, von absoluter Loyalität und hat nicht die Gewohnheit zu verheimlichen, was er denkt.
Der 61-jährige Muri hat von seinem scheidenden Chef eine ebenso hohe Meinung wie dieser von ihm. Er schreibt ihm – von Hand und in gewähltem Französisch – einen sentimentalen Abschiedsbrief:
Ich habe, Sie wissen es, das Alter der leichten Emotionen überschritten. Damit Ihr alter Mitarbeiter sich mehr als gewöhnlich belebt und fiebert, müssen schon die tiefen Gefühle ins Spiel kommen, die jeder Mann von Herz im Geheimen in seinem Innern kultiviert. Jetzt, wo Sie im Begriff sind, uns zu verlassen, erlauben Sie mir, Monsieur le Président, die ganze respektvolle Zuneigung, die ich Ihnen entgegenbringe, zu äussern, denn so wird es mir leichter fallen, die tiefe Traurigkeit auszudrücken, die ich beim Gedanken empfinde, nicht mehr Ihren Anordnungen folgen zu dürfen.
Pilet kann sein Departement dem Nachfolger Celio in befriedigendem Zustand übergeben. Die Betriebe des EPED werden von fähigen Leuten geführt und funktionieren gut. Erstmals seit Ausbruch der Wirtschaftskrise schreiben die SBB wieder schwarze Zahlen. Als Eisenbahnminister musste Pilet mit teils horrenden Defiziten kämpfen. Für 1939 war immer noch eines von 37,7 Millionen veranschlagt, doch stattdessen verzeichnet die Bahn dank der «Landi» und dem wegen des Kriegsausbruchs angestiegenen Güterverkehrs einen kleinen Gewinn von 3,5 Millionen. Zum Abschied bedankt sich der scheidende Chef bei Beamten und Angestellten der PTT und der SBB. Durch seine Tätigkeit habe er nicht nur gelernt, die Beamten und Angestellten zu schätzen, «langsam, aber sicher» ist er dazu gekommen, sie zu «lieben».
Wird Pilet im Politischen Departement auf ähnlich fähige und loyale Mitarbeiter wie Dr. honoris causa Muri zählen können? Der mit ihm befreundete Journalist Léon Savary hat seine Zweifel. Er meint, Pilet müsse, um seine wichtige Aufgabe erfüllen zu können, gut sekundiert sein. Dies könne nicht geschehen, ohne dass er neue Mitarbeiter hole:
Bezüglich des Politischen Departements hat man von einem nötigen coup de balai [Reinemachen] gesprochen. Gewisse Persönlichkeiten, deren Unfähigkeit notorisch, erwiesen und offensichtlich ist und die eine Stellung einnehmen, die in keinem Verhältnis zu ihren Eignungen steht, müssen verschwinden.
Savary steht mit dem Chef der Abteilung für Auswärtiges, Pierre Bonna, auf Kriegsfuss. Er hält Bonna für einen übervorsichtigen, folgsamen, pedantischen Beamten, der auf seinem «enormen Hintern» sitzt und wenig Ideen entwickelt.
Bevor er sein neues Amt antritt, stattet Pilet zusammen mit Minger dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz in Genf einen offiziellen Besuch ab. Dabei wird ein vom IKRK verfasster Aufruf besprochen, der die kriegführenden Staaten auffordert, keine Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung auszuführen. Dann gönnt sich der Bundespräsidenten zusammen mit seiner Frau eine Erholungswoche im «Verenahof» in Baden. Am Samstagabend, 15. März, nimmt das Ehepaar Pilet an einem Unterhaltungsabend der 8. Division teil. Zum Andenken schickt ihm der protestantische Feldprediger Hptm. Pfaff ein selbst verfasstes Gedicht:
Wer schafft am meischte für mys Land? / Wer ischt in Härze wohlbekannt? / Wer will sich heregäh ohni End? / Doch Sie, Herr Bundespresident!
Auch mir im glyche Sinn und Trab / Lönd nüd vo eusem Ländli ab. / S’ischt euseri Liebi, wo nüd laht / Und immer wider uferstaht.
Und jede Ma und jede Sohn / In üisere 8. Division / Staht da mit Lyb und Bluet und Muet / und duckt si vor kem Gesslerhuet.
So simmer, meini, alli glych / Herr Bundespresident, Sie und ich / Und de Herr Oberschtdivisionär / Und all die Herre chrüz und quer.
Gwüss, Eine muss de Oberscht sy / So ischs i de Demokratie. / Doch au der Underscht seigi glych / I Heimetliebi starch und rych.
Und chlöpfts emal, so simmer da, / Alli Söhn vo der Helvetia./ Für eusri Muetter treu und guet / Z’bizahle mit em rote Bluet.
Bhüet s’Hergotts Allmacht ohni End / Sie, euse Bundespresident. / Und Bundesrat und Volch un Heer / Und euseri uralt Schwyzerehr!
Haben Monsieur und Madame Pilet die gut gemeinten Verse in Luzerner Dialekt verstanden?
Am Montag, 18. März, nimmt Pilet seine Arbeit im Politischen Departement auf. Bestrebt, sich über alles Wichtige auf dem Laufenden zu halten, liest er einen 20-seitigen (französisch geschriebenen) Bericht des «Politischen Informationsdiensts», der beginnt:
Seit dem 30. November, Datum der russischen Aggression gegen Finnland, hat sich keine Ausweitung der Feindseligkeiten ereignet. Drei Kriege bleiben im Gange: der erste zwischen Deutschland einerseits, dem britischen Reich und Frankreich andererseits, der zweite zwischen der UdSSR und Finnland, der dritte zwischen China und Japan.
Wie die Bleistiftstriche am Rand belegen, hat der neue Aussenminister den Text genau gelesen. In der Schlusszusammenfassung «am Ende des sechsten Kriegsmonats» streicht sich Pilet einige Punkte speziell an:
1.Zwischen den Alliierten und dem Reich Belagerungskrieg, immer engerer wirtschaftlicher Kampf, manchmal heftige