Лев Толстой

Krieg und Frieden


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      Jetzt war es neun Uhr. In der Tiefe lag der Nebel ausgebreitet wie ein zusammenhängender Meeresarm; aber bei dem Dorf Schlapanitz, auf der Anhöhe, auf welcher Napoleon, von seinen Marschällen umgeben, stand, war es völlig hell. Über ihm war klarer, blauer Himmel, und der gewaltige Sonnenball schien wie ein großer, hohler, dunkelroter Angelkorken auf der Oberfläche des milchweißen Nebelmeeres zu schaukeln. Die gesamten französischen Truppen und auch Napoleon selbst mit seinem Stab befanden sich nicht jenseits der Bäche und Täler der Dörfer Sokolnitz und Schlapanitz, d.h. der Dörfer, die wir erst hinter uns zu bringen beabsichtigten, um dort eine Position einzunehmen und den Kampf zu beginnen, sondern diesseits, und zwar so nahe an unseren Truppen, daß Napoleon mit bloßem Auge Reiter und Fußsoldaten voneinander unterscheiden konnte. Napoleon hielt, ein wenig vor seinen Marschällen, auf einem kleinen, grauen, arabischen Pferd, in einem blauen Mantel, demselben, in dem er den italienischen Feldzug durchgemacht hatte. Schweigend schaute er nach den Hügeln hin, welche inselartig aus dem Nebelmeer herausragten, und auf denen in der Ferne die russischen Truppen einherzogen, und horchte auf die Töne des Gewehrfeuers im Tal. In seinem damals noch mageren Gesicht bewegte sich kein Muskel; die blitzenden Augen waren starr nach einer Stelle hin gerichtet. Seine Voraussetzungen erwiesen sich als richtig. Die russischen Truppen waren teils schon in das Tal zu den Teichen und Seen hinabgezogen, teils hatten sie wenigstens schon die Pratzener Anhöhen verlassen, die er anzugreifen beabsichtigte, da er sie für die Schlüsselposition hielt. Er sah durch den Nebel, wie in einer Senkung, die bei dem Dorf Pratzen von zwei Bergen gebildet wird, die russischen Kolonnen mit ihren blitzenden Bajonetten sich immer in derselben Richtung nach dem Tal zu bewegten und eine nach der andern in dem Nebelmeer verschwand. Aus den Nachrichten, die ihm am Abend zugegangen waren, aus dem Geräusch von Rädern und Schritten, das die Vorposten in der Nacht gehört hatten, aus der unordentlichen Art, in der die russischen Kolonnen marschierten, aus alledem ersah er klar, daß die Verbündeten ihn weit vor sich glaubten, daß die Kolonnen, die sich in der Nähe von Pratzen bewegten, das Zentrum der russischen Armee bildeten, und daß das Zentrum bereits hinreichend geschwächt war, um es mit Erfolg angreifen zu können. Aber dennoch begann er den Kampf immer noch nicht.

      Es war für ihn heute ein festlicher Tag: der Jahrestag seiner Krönung. Vor Tagesanbruch hatte er einige Stunden geschlafen und war dann, gesund, heiter, frisch und in jener glücklichen Gemütsverfassung, in der einem alles möglich scheint und alles gelingt, zu Pferd gestiegen und ins Feld hinausgeritten. Jetzt hielt er nun, ohne sich zu regen, und blickte nach den Anhöhen, die aus dem Nebel herausragten; und auf seinem kalten Gesicht lag jener besondere Ausdruck des Selbstgefühls und des Bewußtseins, sein Glück zu verdienen, wie er auf dem Gesicht eines verliebten, glücklichen, sehr jungen Menschen nicht selten anzutreffen ist. Die Marschälle hielten hinter ihm und wagten nicht, seine Aufmerksamkeit abzulenken. Er blickte bald nach den Anhöhen von Pratzen, bald nach der aus dem Nebel auftauchenden Sonne.

      Als die Sonne sich völlig aus dem Nebel herausgehoben hatte und ihren blendenden Glanz über die Felder und über den Nebel ergoß, da zog er, wie wenn er nur auf diesen Moment gewartet hätte, um den Kampf zu beginnen, den Handschuh von seiner schönen weißen Rechten, gab den Marschällen einen Wink und erteilte den Befehl zur Eröffnung der Schlacht. Die Marschälle jagten, von ihren Adjutanten begleitet, nach verschiedenen Seiten davon, und einige Minuten darauf rückten die Hauptstreitkräfte der französischen Armee nach jenen Anhöhen von Pratzen vor, welche stetig von den russischen Truppen geräumt wurden, die nach links in das Tal hinunterzogen.

      XV

      Um acht Uhr ritt Kutusow nach Pratzen, an der Spitze des vierten, von Miloradowitsch kommandierten Kolonne, die an die Stelle der Przebyszewskischen und Langeronschen Kolonnen treten sollte, die schon bergab marschiert waren. Er begrüßte die Mannschaften des vordersten Regiments, erteilte das Kommando: »Marsch!« und gab damit zu verstehen, daß er diese Kolonne selbst zu führen beabsichtige. Als er zum Dorf Pratzen gelangt war, machte er halt. Zu der außerordentlich großen Zahl derjenigen, die die Suite des Oberkommandierenden bildeten, gehörte auch Fürst Andrei, welcher hinter ihm hielt. Fürst Andrei fühlte sich erregt und nervös, zeigte aber dabei doch die Ruhe und Selbstbeherrschung, wie sie beim Herannahen eines längst ersehnten Augenblicks nicht selten ist. Er war fest überzeugt, daß der heutige Tag ihm sein Toulon oder seine Brücke von Arcole bringen werde. Wie sich das zutragen werde, das wußte er nicht; aber daß es geschehen werde, davon war er fest überzeugt. Die Örtlichkeit und die Stellung unserer Truppen waren ihm soweit bekannt, wie sie überhaupt jemandem in unserer Armee bekannt sein konnten. An seinen eigenen strategischen Plan dachte er nicht mehr: von dessen Ausführung konnte offenbar unter den jetzigen Umständen gar nicht die Rede sein. Jetzt hatte sich Fürst Andrei in den Weyrotherschen Plan hineingedacht, überlegte die Eventualitäten, die sich ergeben konnten, und ersann neue Kombinationen, bei denen dann sein schneller Blick und seine Entschlossenheit zum guten Gelingen erforderlich sein würden.

      Links unten, im Nebel, hörte man das Gewehrfeuer, das zwischen unsichtbaren Truppen stattfand. »Dort«, dachte Fürst Andrei, »wird sich der Kampf konzentrieren; dort wird es zu einer kritischen Situation kommen, und dorthin werde ich mit einer Brigade oder einer Division geschickt werden, und dort werde ich, eine Fahne in der Hand, meinen Leuten vorangehen und alles niederschmettern, was mir entgegensteht.«

      Fürst Andrei war nicht imstande, die Fahnen der vorbeiziehenden Bataillone mit Gleichmut anzusehen. Sobald er eine Fahne erblickte, kam ihm jedesmal der Gedanke: »Vielleicht ist gerade dies die Fahne, mit der ich unseren Truppen vorangehen werde.«

      Der nächtliche Nebel hatte am Morgen auf den Höhen nur Reif zurückgelassen, der dann in Tau übergegangen war; aber in den Tälern breitete sich der Nebel noch wie ein milchweißes Meer aus. Nichts war in jenem Tal zur Linken sichtbar, in welches unsere Truppen hinabstiegen, und von wo das Schießen herauftönte. Über den Höhen war tiefer, klarer Himmel, und zur Rechten stand der gewaltige Sonnenball. Vorn, in der Ferne, auf dem jenseitigen Ufer des Nebelmeeres, waren herausragende, bewaldete Hügel sichtbar, auf denen die feindliche Armee sich befinden mußte und auch wirklich irgend etwas Undeutliches zu erblicken war. Zur Rechten rückte gerade die Garde in den Bereich des Nebels ein: man hörte das Trappeln der Pferde und das Rollen von Rädern und sah ab und zu Bajonette blitzen; zur Linken, jenseits des Dorfes, rückte ebenfalls eine Kavalleriemasse heran und verschwand in dem Nebelmeer. Vorn und hinten marschierte Infanterie. Der Oberkommandierende hielt am Ausgang des Dorfes und ließ die Truppen an sich vorbeipassieren. Kutusow schien an diesem Morgen müde und reizbar zu sein. Die an ihm vorbeiziehende Infanterie blieb ohne Befehl stehen, offenbar weil sie vorn durch irgend etwas aufgehalten wurde.

      »So ordnen Sie doch endlich an, daß sie sich in Bataillonskolonnen formieren und um das Dorf herumgehen«, sagte Kutusow zornig zu einem herbeireitenden General. »Begreifen Euer Exzellenz denn nicht, daß beim Anmarsch gegen den Feind die Truppen sich nicht in langer Linie durch dieses Defilee der Dorfstraße hindurchziehen dürfen!«

      »Ich beabsichtigte, die Aufstellung vorzunehmen, sowie wir das Dorf hinter uns hätten, Euer hohe Exzellenz«, antwortete der General.

      Kutusow lachte bitter auf.

      »Das wird eine nette Geschichte werden, wenn Sie Ihre Front angesichts des Feindes entwickeln, eine sehr nette Geschichte!«

      »Der Feind ist noch fern, Euer hohe Exzellenz. Nach der Disposition ...«

      »Was kümmert Sie die Disposition!« schrie Kutusow grimmig. »Wer hat Ihnen davon etwas gesagt? Tun Sie gefälligst, was ich Ihnen befehle!«

      »Zu Befehl.«

      »Mein Lieber«, flüsterte Neswizki dem Fürsten Andrei zu, »der Alte ist ja aber hundsschlechter Laune!«

      Ein österreichischer Offizier, in weißer Uniform, mit grünem Federbusch, kam zu Kutusow herangejagt und fragte im Auftrag des Kaisers, ob sich die vierte Kolonne in den Kampf begeben habe.

      Ohne ihm zu antworten, wandte sich Kutusow von ihm weg, und sein Blick fiel zufällig auf den hinter ihm haltenden Fürsten Andrei. Als er diesen sah, wurde der zornige, ingrimmige Ausdruck seines Blickes milder; Kutusow schien sich zu sagen, daß sein Adjutant ja doch an dem, was da vorging, keine Schuld habe. Und ohne dem österreichischen Adjutanten