Mayas Stimme klang leise, angestrengt. Sara bemerkte gleich, dass es ihr wegen irgendetwas nicht gut ging. „Hast du eine Minute Zeit?”
„Äh, ein paar. Ich bin auf dem Weg zur Arbeit.” Sara blickte um sich. Sie lebte in keinem schlechten Viertel, doch es wurde ein wenig rauer, als sie sich dem Secondhandladen annäherte. Sie hatte niemals selbst ein Problem gehabt, doch sie achtete immer aufmerksam auf ihr Umfeld und hielt den Kopf beim Gehen erhoben. Ein Mädchen, das durch ihr Telefon abgelenkt war, konnte ein mögliches Ziel sein. „Was gibt’s?”
„Ich, äh...” Maya zögerte. Es war sehr ungewöhnlich, dass sie verdrossen war und sich zögerlich verhielt. „Ich habe gestern Abend Papa gesehen.”
Sara hielt an, aber sagte nichts. Ihr Magen zog sich instinktiv zusammen, als ob sie sich auf einen Schlag vorbereitete.
„Es... lief nicht gut.” Maya seufzte. „Ich habe ihn zum Schluss angeschrien und bin rausgerannt -”
„Warum erzählst du mir das?” wollte Sara wissen.
„Was?”
„Du weißt, dass ich ihn nicht sehen will. Dass ich nichts von ihm hören will. Ich will nicht mal an ihn denken. Also warum erzählst du mir das?”
„Ich dachte, du wolltest es vielleicht wissen.”
„Nein”, sagte Sara nachdrücklich. „Du hattest eine schlechte Erfahrung und du willst mit jemandem darüber sprechen, von dem du annimmst, dass er dich versteht. Es interessiert mich nicht. Ich bin mit dem durch. OK?”
„Ja”, seufzte Maya. „Ich glaube, ich auch.”
Sara zögerte einen Moment. Sie hatte ihre Schwester nie so geschlagen gehört. Doch sie beharrte auf ihrer Position. „Gut. Mach mit deinem Leben weiter. Wie läuft es in der Akademie?”
„Da läuft’s super”, antwortete Maya, „ich bin die Klassenbeste.”
„Natürlich bist du das. Du bist brillant.” Sara lächelte, als sie weiterging. Doch gleichzeitig bemerkte sie Bewegung auf dem Bürgersteig in der Nähe ihrer Füße. Ein Schatten, der sich lang in der Morgensonne hinzog, hielt mit ihr Schritt. Jemand lief nicht weit hinter ihr.
Du bist paranoid. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie einen Fußgänger für einen Verfolger hielt. Es war eine bedauerliche Nachfolge ihrer Erlebnisse. Trotzdem ging sie langsamer, als sie sich der nächsten Kreuzung annäherte, um die Straße zu überqueren.
„Aber ernsthaft”, sagte Maya durch das Telefon. „Geht es dir gut?”
„Oh, ja.” Sara hielt inne und wartete auf die Ampel. Der Schatten tat das gleiche. „Mir geht’s gut.” Sie hätte sich umdrehen können, um ihn anzusehen, ihn wissen lassen, dass sie es bemerkt hatte, doch sie hielt ihre Augen nach vorn gerichtet und wartete, bis die Ampel auf grün schaltete, um herauszufinden, ob er folgen würde.
„Gut. Das freut mich. Ich versuche, dir in den nächsten Wochen was zu schicken.”
„Das musst du nicht tun”, sagte ihr Sara. Dann schaltete die Ampel um. Sie ging schnell über die Straße.
„Ich weiß, dass ich das nicht muss. Ich will es. Also, ich lasse dich jetzt zur Arbeit gehen.”
Ich habe morgen frei.” Sara erreichte die andere Straßenseite und ging weiter. Der Schatten hielt mit ihr mit. „Sprechen wir dann?”
„Unbedingt. Hab dich lieb.”
„Ich dich auch.” Sara legte auf und steckte das Handy wieder in ihre Tasche. Dann bog sie ohne Vorwarnung abrupt nach links ab und joggte ein paar Schritte, nur um aus seinem Blickfeld zu gelangen. Sie drehte sich um, verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust und legte einen ernsthaften Gesichtsausdruck auf, als ihr Verfolger hinter ihr um die Ecke kam.
Er rutschte fast zum Halt, als er sah, wie sie da stand und auf ihn wartete.
„Für einen angeblichen Geheimagenten machst du das wirklich beschissen”, sagte sie ihm. „Ich rieche dein Aftershave.”
Agent Todd Strickland grinste. „Schön dich zu sehen, Sara.”
Sie erwiderte nicht sein Lächeln. „Kontrollierst mich immer noch, wie ich bemerke.”
„Was? Nein. Ich war nur in der Gegend, auf einem Einsatz.” Er zuckte mit den Schultern. „Ich sah dich auf der Straße, da wollte ich Hallo sagen.”
„Aha”, entgegnete sie ausdruckslos. „Wenn das so ist, dann Hallo. Jetzt muss ich zur Arbeit. Tschüss.” Sie wandte sich um und ging hastig weiter.
„Ich laufe mit dir.” Er joggte, um mit ihr Schritt zu halten.
Sie schnaubte verächtlich. Strickland war für einen CIA Agenten jung, noch nicht einmal dreißig - doch er erinnerte sie auch zu sehr an ihren Vater. Die beiden waren Freunde, schon seit fast zwei Jahren, als Sara und ihre Schwester von den slowakischen Menschenhändlern entführt worden waren. Strickland hatte geholfen, sie zu retten und seitdem hatte er versprochen, dass, egal was geschah, er alles täte, damit die beiden Mädchen in Sicherheit wären.
Anscheinend bedeutete das, CIA Taktiken anzuwenden, um sich über Saras Aufenthaltsort zu informieren.
„Dir geht’s also gut?” fragte er sie.
„Ja. Super. Jetzt geh weg.”
Doch er ging weiter neben ihr her. „Nervt der Typ in deinem Haus dich weiter?”
„Oh Gott”, stöhnte sie. „Was, hast du das Haus verwanzt?”
„Ich will doch nur sicherstellen, dass es dir gut geht -”
Sie wandte sich zu ihm um. „Du bist nicht mein Vater. Wir sind nicht mal befreundet. Vor langer Zeit, da warst du vielleicht ein... ich weiß nicht. Ein glorifizierter Babysitter. Aber jetzt erscheinst du mehr wie ein verdammter Stalker.” Sie hatte gewusst, dass er sie schon seit einiger Zeit verfolgte. Dies war nicht das erste Mal, dass er plötzlich in Florida auftauchte. „Ich will dich nicht hier. Ich will nicht an dieses Leben erinnert werden. Wie wär’s, wenn du mir einfach sagst, was du von mir willst, und dann können wir wieder getrennte Wege gehen?”
Strickland reagierte kaum auf den Ausbruch. „Ich will, dass du in Sicherheit bist”, sagte er ruhig. „Und wenn ich ehrlich bin, dann will ich, dass du mit den Drogen aufhörst.”
Saras Augen verengten sich und ihr Mund fiel ihr ein wenig auf. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?”
„Jemand, der sich kümmert. Wenn dein Vater das wüsste, bräche es ihm das Herz.”
Wenn er es wüsste? „Oh, du meinst, du überbringst ihm keine wöchentlichen Berichte?”
Strickland schüttelte seinen Kopf. „Habe ihn seit Monaten nicht mehr gesehen.”
„Du verfolgst mich also nur aus einem unangebrachten Pflichtgefühl?”
Der junge Agent lächelte traurig und schüttelte seinen Kopf. „Ob es dir gefällt oder nicht, es gibt immer noch eine Menge Leute, die sich an Agent Null erinnern. Ich hoffe, dass es niemals dazu kommt, dass du mir dankst, dass ich auf dich aufpasse. Doch bis dahin werde ich es weiter tun.”
„Ja, das kann ich mir vorstellen.” Sie blickte direkt nach oben, blinzelte in den hellen Himmel. „Was ist es, ein Satellit? Überwachst du mich so?” Sara streckte eine Hand über ihren Kopf und zeigte den Wolken ihren Mittelfinger. „Hier ist ein Foto für dich. Schick es meinem Vater als Weihnachtskarte.” Dann drehte sie sich um und begann, zu gehen.
„Sara”, rief er hinter ihr her. „Die Drogen?”
Verdammt,