Andrea Fehringer

Falco


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über seine Brust bahnen.

      Was für eine Gegend, denkt Hans, doch unwillkürlich heben sich seine Mundwinkel wieder ein Stück. Für Ironie hat er immer schon was übriggehabt. Eine wunderbare Villa zu Hause in Gars am Kamp, eine feine Wohnung in Wien und jetzt – diese Existenz im Ferienparadies der Dominikanischen Republik. Was für eine Karriere. Und was für ein Leben.

      Die Mundwinkel rasten wieder unten ein. Erneut greift er zur Flasche neben sich, wie im Reflex, bis ihm klar wird, daß von Jack Daniels heute kein Trost zu erwarten ist. Die Einsamkeit kommt wie ein kalter Platzregen. Wie zum Schutz geht ein schwarzer Vorhang über seinem Gesichtsfeld herunter. Er schließt die Augen, reißt sie aber gleich wieder auf, denn auf der Leinwand seiner Innenlider explodiert gerade die Welt in Abertausende grelle Lichtpunkte.

      Na also, is’ wieder einmal soweit, meldet sich eine innere Stimme, die sich immer dann einmischt, wenn es auf der ganzen Welt keinen einzigen Menschen mehr zu geben scheint, dem er irgendwas erklären könnte. Die immer dann da ist, wenn er sich selbst nichts, aber schon gar nichts mehr vormachen kann.

      Du weißt, was jetzt kommt, Alter, fährt die Stimme fort, du hast es schon so oft erlebt. Die Widerwärtigkeit von dem Gefühl, daß d’ wieder a Schlacht verloren hast. Booze fucks you. Wiss’ ma eh. Und Lady C is auch net mehr als a Schlampen, die dir vorgaukelt, wie gut du bist, und daß du eh alles schaffst. Geht das alles jetzt wieder von vorn los? Wie oft denn noch?

      Instinktiv schüttelt Hans den Kopf. Eine kleine Bewegung nur, aber sie macht ihn schwindlig. Es wär’ an der Zeit, daß ich mir endlich was Neues überleg’, was ganz anderes. Was, was wirklich Sinn macht in Zukunft.

      Die Vergangenheit is in jedem Fall uninteressant. Die hat mich dahin ’bracht, wo i jetzt steh. Und schau mi an, i steh auf nix mehr.

      Die Oide is weg. Abgerauscht. Vor einer Woche schon. Aufgegeben. Bei der ersten kleinen Gelegenheit, wo’s drauf angekommen wär’, einen Funken Verständnis zu haben für an Typen, auch wenn man ihn net versteht.

      Net, daß es so schad wär’ ausgerechnet um sie, aber es is ja ane wie die andere. Und alle sind s’ weg. Aber bitte, was macht’s für einen Unterschied? Einen einzigen: Wenn s’ dableiben, schau ich ihnen in die Augen und seh dort auch noch, daß sie nix verstanden haben. Gar nix. Und genau das bleibt von ihnen über: a Loch in mein’ Leben, voll mit nix.

       Voll mit nix is mein Leben von selber. Wer bin i denn, was hab’i denn, was mach’ i denn, was red’ i denn, wer glaub’ i, wer i bin?

      Falco sagen die Leut’ zu mir. Aber das bin net i. Das ist der, der mit mir in mein’ Kopf wohnt. Aber der hört beim Hals auf. Und dort hängt er mir schon seit Jahren raus.

      Ja, damals, als wir gemeinsam noch was auf d’ Fiaß g’stellt haben, da hamma noch was g’habt miteinander. Er war Nummer eins in Amerika mit sein’ ‚Amadeus‘. Schon damals war er mir suspekt. Aber dann hat er mich ganz hängen lassen, das G’frast. Hat ’glaubt, er kann den Erfolg genießen, der Depp. Und is über mich drüberg’stiegen wie über a Stück Scheiße.

      I hätt’ mich nie einlassen sollen mit ihm. Aber am Anfang hamma so gut z’ammpaßt, wir zwei. Er, der Herr Übernatürlich, mein Missing link zu denen da oben. Ich, sein Alter ego aus der Hacklerpartie.

      Eh a gutes Team. Bis es uns a bißl ausg’hoben hat nach dem ‚Kommissar‘. Da sind wir ins Trudeln gekommen. Auf einmal war das alles ka Spiel mehr. Schneller, besser, höher hat alles gehn müssen. Nur net wieder z’ruck am Boden. Weil wir san wer. Und wir werden’s schon allen zeigen.

      Er hat’s ihnen eh ’zeigt. Wie ma das Maul aufreißt, auch wenn’s kan Grund mehr dafür gibt. Aber wie’s ihm auf’prackt hat, war i dann schuld. Er, die Nummer eins. Ich, der Versager.

       Und später? Da is er überhaupt nur mehr auf’taucht, wenn’s was zum Vergeigen ’geben hat. Leut’ zum Beleidigen, Chancen zum Vertuan. Das hat er ja immer gut können. Wann hab’ i denn was g’hört von ihm zum letzten Mal? Wann?

      Geistesabwesend greift Hans zu der Kassette, die immer in der Mittelkonsole seines Jeeps liegt, und schiebt sie ins Autoradio. „Hörst du die Stimme, die dir sagt“, plärrt er sich selbst aus den Lautsprechern entgegen. Was willst du mir noch sagen, Alter? „Ich bin zerrissen, wann kommst du meine Wunden küssen?“

      Zerrissen. Das Wort hallt in ihm nach wie der Refrain seines Songs „Out of the Dark“ aus den Lautsprechern. „… into the light …“ Die Worte umarmen sich, verschmelzen miteinander wie bei einem grandiosen Liebesakt, werden eins. „Muß ich denn sterben, um zu leben?“ hört er Falco fragen. Und plötzlich ist ihm, als wäre damit alles gesagt.

       Out of the dark. Das weiße Licht kommt näher, Stück für Stück. Ja, und warum denn net?

      Dann wär’ endlich Ruhe. Auf das wart’ i doch jetzt schon fast zwanzig Jahr’. Was hätt’ i denn zum Verlieren? A Oide? Die hat sich grad vertschüßt. A Karriere? Die is eh schon seit Jahren im Arsch.

       A Leben? Was für ein Leben?

      Auch schon was. Was is des Leben gegen an starken Abgang? 10.000 Fans am Zentralfriedhof. Der Zilk halt’ a Rede. Alle rotzen. Und am offenen Grab spielen s’ ‚It’s all over now, Baby Blue‘. Na, wunderbar. Des is a G’schicht. Halb acht, Zeit im Bild. Showtime zur Primetime. Das is Showbiz.

      Das Band im Autoradio ist bei der Nummer „Egoist“ angelangt. „… damit mein Spiegelbild mir meinen Schlaf bewacht“, singt Falco. Hans lächelt.

      Mein’ Schlaf bewach’ ich mir selber, lieber Freund. Von hoch oben. Hoch wie nie. Und zwar ohne dich.

      Weil du mußt dann dableiben, dich werden s’ wiederentdecken und sagen, was für a leiwander Alter du eh immer warst. A Genie. Und vor allem: der einzige wirkliche Popstar in dem Land. Was für a guter Musiker. Und was für a genialer Texter. Bitte, das is ja das einzige, was net dir zusteht. G’schrieben hab’ immer no alles ich. Aber sollst sie haben, die Lorbeeren. Immerhin hast du sie ja net so schlecht über die Bühne ’bracht.

      Und jetzt wird’s wieder so sein wie in unsern allerbesten Zeiten. Jetzt, bei deinem letzten Auftritt. Laß dich feiern. Und dann wirst mich nie wieder so angrinsen, so von da oben runter, wannst auf einer Bühne stehst, arrogant, präpotent, höhnisch, weil du’s g’schafft hast und i auf der Strecke ’blieben bin.

      Fast bewegungslos sitzt Hans in seinem Pajero. Fasziniert von dem Szenario in seinem Hirn. Den Kopf leicht schief gelegt. Als würde er in ihn hineinhorchen. Und das weiße Licht kommt näher. Stück für Stück.

      Die Kassette ist fertiggespielt. Der letzte Ton verklungen. Die Stille undurchdringlich wie eine unsichtbare Wand. Vielleicht ist auch gar nichts dahinter. Aber dieses Nichts ist so friedlich. Ein sicherer Ort. Scheinbar.

      Hans startet das Auto. Er hat die Augen offen, aber er schaut nicht auf die Straße. Sieht nicht den Bus, der mit Höchstgeschwindigkeit näherkommt. Er blickt in die Zukunft. Und fährt los.

      Mitten hinein. In dieses weiße Licht.

      DIE ANFÄNGE

      1977–1981

      1. KAPITEL

      ICH WILL POPSTAR WERDEN

      Das Licht traf ihn wie ein Blitz.

      Wie ein Geschoß fuhr er in die Senkrechte und knallte mit der Stirn gegen ein Hindernis, daß es nur so durch sein Hirn prasselte. Er hatte das Gefühl, sein Schädel habe einen Sprung.

      „Mutti!“ rief er entsetzt und schüttelte sich, um die Benommenheit des Aufpralls loszuwerden. „Mutti, geht’s dir gut?“

      Maria Hölzel rieb sich den linken Schläfenknochen und stöhnte. „Mei, Hansi, bald wär’ die Brille hin g’wesen. Du hast vielleicht einen harten Schädel.