Andrea Fehringer

Falco


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      „Deine Sorgen möcht’ ich haben“, meinte Hansi, doch als er Hans’ konzentrierte Miene sah, hatte er nicht das Herz, so einfach über dessen Probleme hinwegzugehen, und erkundigte sich doch noch: „Was is mit deine Hüften?“

      „Die sind so unbeweglich wie a Stückl Holz.“

      „Na und? Für die Hapfen wird’s scho reichen.“ Hansi vollführte ein paar eindeutige Beckenbewegungen zum besseren Verständnis.

      „Nein, im Ernst. Ich stelz’ daher wie der Pinocchio. Schau her.“ Wie in einem Luftgitarren-Wettbewerb versuchte Hans, sein Becken zu einem imaginären Rhythmus zu schwingen. Es wirkte, als hätte man ihn um die Mitte herum eingemauert. „Na, bitte. Wann si a Frau so bewegt, stehst auf und gehst.“

      „Stimmt“, kicherte Hansi, der sich längst über den imposanten Ofen hergemacht hatte. „Jetzt erinner’ ich mich. Der Wickerl hat mir amal erzählt, daß du so steif bist …“, heftiges Gekicher, „… aber mit den Händen, hat er g’sagt, kannst die achtarmige Kali geben.“ Noch heftigeres Gekicher. „Scheiß aufs Becken, Oida, solang du zwei g’sunde Händ’ hast …“

      Unglaublich heftiges Gekicher. Da Hans wußte, daß die nächste halbe Stunde mit seinem Freund kaum was anzufangen sein würde, zog auch er an dem Joint. Levelunterschiede beim Kiffen haben schließlich wenig Unterhaltungswert. Dann holte er seinen Baß.

      „A Nummer, die dazupaßt, so in der Art, horch.“ Eher ziellos spielte er an den Saiten herum.

      „A Nummer übers Rauchen?“ fragte Hansi erstaunt.

      „Nicht übers Rauchen, wir sind ja harmlos unterwegs gegen die andern. Über das ganze Zeug. Kodein, Mozambin, Kokain, Heroin. Ganz Wien is auf irgendwas drauf. Der letzte, der’s net dapackt hat, war der Hannes. Und brauchst nicht glauben, daß die Musiker da die einzigen sind. I sag’ dir ja, ganz Wien …“

      „Das war gut, spiel’ das noch amal“, unterbrach ihn Hansi und griff selbst zur Gitarre. Hans, eigentlich kein Freund von Jam-Sessions, kippte sofort wieder in den eben gespielten Rhythmus, da da da dap – da da da dap – da da da dap … Hansi ihm nach.

      „Halt du die Einser-Groove, Oida“, meinte Hansi, „i probier was …“, und er probierte einen Backing-Chor in verschiedenen Harmonien. „Ganz Wien“, sang Hans nun improvisierend dazu, „is heute auf Heroin …“ … ja, paß auf, und jetzt … genau … und no amal … super …“

      Als die Welt um sie herum wieder zu existieren begann, war es bereits hell draußen. Ein häßlicher Moment. Plötzlich unsagbar müde, legte Hans den Baß beiseite und sagte: „Scheiße.“

      „Was is, Oida, das kann eine richtig gute Nummer werden.“

      „Ich mein’ was anderes“, erklärte Hans, während er hektisch das Zimmer durchkramte.

      „Was suchst denn?“ wollte Hansi wissen, den die Hektik völlig aus seiner Groove herausriß.

      „Meinen Hausmantel“, erwiderte Hans.

      „Geht des wieder los“, stöhnte Hansi, richtete sich aber in seinem Fauteuil auf, um das Morgenritual des Freundes in allen Details verfolgen zu können. Es war jedesmal wieder ein Erlebnis.

      „Du sitzt drauf“, sagte Hans und zog an dem Zipfel des gesuchten Kleidungsstücks. Lang hob den Hintern, bis das Ding in seiner ganzen Pracht zum Vorschein kam. Allein das Muster des Stoffes war sehenswert. Kleine verschnörkelte Karos in dunklem Blau und Weinrot. Darüber ein einfärbiger Kragen aus echter Seide und an der Taille eine in sich gedrehte Seidenkordel mit Fransen. Hansi hätte den Fetzen nicht für viel Geld angezogen.

      Hans schlüpfte in die antiquierte Kluft und band die endlos lange Kordel sorgfältig zu einer Masche. Er sah aus wie der jugendliche Liebhaber in einem billigen Boulevardstück, der sich nach der Ehefrau auch den Hausmantel des Gatten aneignete und jetzt auf Sir machte.

      Er ist ein Sir, dachte Hansi, jedesmal aufs neue überrascht von dieser Erscheinung. „Abgesehen von dein’ altvatterischen G’schmack beim G’wand sind wir echt a guates Team“, meinte er und war im Geist wieder mitten in der nächtlichen Session. „Wenn ich nicht in’ Häfen müßt, hätt’ ma wirklich a Zukunft.“

      „Jessas, der Häfen. Den hab’ i ja ganz verdrängt“, sagte Hans. „Ist das schon ganz sicher? So eine blöde G’schicht. Meier gehn wegen solche Deppen. Wieviel hast ausg’faßt?“

      „Herst bitte, i will gar net dran denken.“

      „Weilst auch so ein guter Trottel bist! Hätten sich die ihr Zeug net selber besorgen können, die Wappler?“

      „Kömma jetzt über was anderes reden, bitte?“

      „Nein, weil wenn du im Landl bist, können wir das mit’n Berühmtwerden eine Zeitlang vergessen. So kann ma ja net arbeiten. Außer …“ Der Rest des Satzes brauchte Zeit.

      Hansi konnte richtig sehen, wie sich hinter Hans’ Stirn eine Idee zusammenbraute. „Außer was?“ fragte er ungeduldig.

      „Außer, wir gehn’s g’schickt an.“

      „Von was redest denn da?“

      „Na, Oida, du hast doch im Bau mehr Zeit als jemals heraußen. Da kannst dich endlich einmal in Ruhe hinsetzen und Lieder schreiben.“ Hansi schaute ihn an, als hätte er ihm vorgeschlagen, sich in die Kapuzinergruft zu legen, um ihre Karriere vorzubereiten. Dann begann es ihm zu dämmern.

      „Herst, ja“, packte ihn plötzlich die Aussicht, aus der bisher schlimmsten Misere seines Lebens doch noch etwas Sinnvolles machen zu können. „I schreib’ die Nummern …“

      „… schmuggelst sie raus, ich mach’ den Text dazu und melde sie bei der AKM an.“

      Der Geruch der Verschwörung, der auf einmal im Raum lag, stieg den beiden ins Hirn wie das berauschende Aroma eines uralten sündteuren Cognacs, den sie verbotenerweise geöffnet hatten.

      „Ich hab’ da eh schon was im Sinn, kein Kommerz, weißt, aber trotzdem a Groove, die hundertprozentig einegeht“, ereiferte sich Hansi, „wie nennt ma die Dinger, in denen immer die Sachen g’schmuggelt werden?“ fiel er sich selbst ins Wort, „Kassierer? Irgendwas mit Kassa … Kassa …“

      „Kassiber!“

      „Genau. Sowas besorg’ ma uns, da drin versteck’ i das Lied und schick’ dir’s.“

      Die Idee hatte ihn sichtlich beeindruckt. Die beiden verstiegen sich in immer neue Pläne, wie man den kreativen Unterbau ihres sagenhaften Aufstiegs in der Popszene aus dem Gefängnis heraus und möglichst schnell an eine Plattenfirma bringen könnte.

      Besonders Hans, der fraglos den bequemeren Part der Operation erwischt hatte, erschien Hansis Mißgeschick mittlerweile wie ein echtes Omen. Während der sich immer deutlicher zwischen einer dürftigen Holzpritsche und dem sogenannten Rettich, wie das Klo in Wiens Landesstrafanstalt genannt wurde, sitzen sah, erging sich Hans bereits in der pressemäßigen Ausschlachtung des PR-Gags, mit dem er den Haftaufenthalt des Freundes nun schon verwechselte.

      „Wann geht’s denn los?“ fragte er schließlich ungeduldig.

      „Weiß noch nicht, in a paar Wochen, hat der Richter g’sagt“, sagte Hansi weit weniger enthusiastisch.

      Als sähe er die Schlagzeilen schon vor sich, rief Hans: „Songs im Kassiber geschmuggelt – Hits aus dem Gefängnis! Das klingt net schlecht.“

      3. KAPITEL

      SONGS IM KASSIBER

      „Laaaang! B’suach! Adfakat!“

      Vor ein paar Wochen hatte Hansi gerade seinen eigenen Namen verstanden. Nun, da er sich einigermaßen in der abgeschiedenen Welt hinter Gittern eingelebt hatte, wußte er, was ihm der ältliche Wachebeamte mit diesen Worten sagen wollte: Sein Anwalt war da.

      Kommt