Andrea Fehringer

Falco


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Spiegel. Der Coiffeur betrachtete Hans.

      „Was kostet das?“ fragte der schließlich. Augenblicklich fuhr ihm eine Hand mit drei ausgestreckten Fingern entgegen. „Drei Mark?“ erkundigte sich Hans, „das geht.“

      „Dreißig Mark“, stellte der andere richtig, „das is net nur neu, das is a Luxusartikel.“

      „Vor allem is es fast eine Abendgage“, korrigierte ihn Hans und überlegte, ob er sich den teuren Spaß leisten sollte. „Okay, pack’s ein.“

      So ein Schwachsinn, ärgerte sich Hans ein paar Gassen weiter und gab stellvertretend für den geschäftstüchtigen Friseur einem zusammengeknüllten Papiersack auf dem Gehsteig einen Fußtritt.

      Aber gut schaut’s schon aus, pulste ihm allerdings bald darauf seine Ader für gute Effekte durch das Geschmackszentrum seines Gehirns. Kein Vergleich jedenfalls zu dem weißen Papp von früher. Na, die werden schaun, freute er sich schon im Hinblick auf die Verblüffung bei den durchwegs langhaarigen Kollegen der Company. Die waren ja schon ganz weg, wie ich mir vor ein paar Monaten die Haar’ samt mein’ Zopf hab’ schneiden lassen.

       Is irgendwie a blöde Zeit momentan für einen, der anders sein will. Bis jetzt hat man sich einfach zum Protest gegen alles die Haare wachsen lassen können, und die G’schicht hat sich g’habt. Heut’ hat man damit überhaupt keine Chance mehr zum Protestieren, man kann sich eigentlich nur als Parodie aufs Establishment behaupten. So auf überdrüber. Die Typen mit ihrem eigenen Schmäh richtig verarschen halt. Ich sollt’ mir vielleicht noch so einen von diese echt g’fäulten Anzüg’ …

      G’fäulter als das Modell, das er eben in einem Schaufenster entdeckt hatte, konnte ein Anzug nicht sein. Umgehend betrat er das Geschäft. Die Jacke paßte wie über ihn gegossen. Dem herbeigetänzelten Angestellten entfuhr ein schmachtender Seufzer. „Exquisit, süperb, perfekt“, zwitscherte er und küßte mit spitzen Lippen seinen zu einem Kreis geformten Zeigefinger und Daumen.

      „Tatsächlich, ganz akzeptabel“, bestätigte Hans, von dem Gesäusel angeregt, in seinem übertriebensten Schönbrunnerdeutsch und der alten höfischen Anrede: „Was nimmt Er für den Fummel?“

      Nachdem er nach der Abendgage auch noch einen halben Monatslohn angebracht hatte, kehrte Hans mit seiner Beute ohne weiteren Umweg ins Hotel zurück. Unverzüglich warf er sich in die neue Schale und pappte sich die Pomade in die Haare. Wie damals beim Pauli Asenbaum in der Galerie, erinnerte er sich plötzlich nach dem ersten Blick in den Spiegel, nur ohne braunen Anstrich und diesmal net mit Spucke.

      Nur um die Beine herum, in seinen Jeans, war er noch Hans Hölzel. Gleich darauf fiel ihm der Tannenbaum ein. Bei dem winzigen Herrenausstatter in der Wiener Judengasse hatte er vor kurzem eine Hose erstanden, die nun mit diesem neuen Sakko ihre Vollendung finden würde. Mit einem Griff in seine penibel in dem bescheidenen Schrank drapierte Garderobe hatte er sich das bislang wenig verwendete Stück geangelt, sprang hinein und mit Gene Kellys berühmter Pose aus „Singin’ in the Rain“ wieder vor den Spiegel. Der Anblick war kaum weniger effektvoll.

      Hans legte gleich noch ein paar Tanzschritte hin. „Mimi, Lulu, Chouchou“, versuchte er sich als Yuppie-Heesters-Verschnitt, mit dem er Thomas Rabitsch immer so erheitern konnte. Aber das war leider schon einmal da, stoppte er sich selbst, bevor er sich auch noch einen weißen Schal umgehängt hätte. Ich muß mit meinem eigenen Schmäh einefahr’n, die Parodie aufs Establishment, Oida, das war die Idee. Kumm, laß dir was einfallen. Du bist a Anarchist im Tarnanzug, der optisch angepaßte Widerstand gegen den Kommerz. In Wahrheit brauchst nix anders, als so auf die Bühne geh’n. Immer weiter nahm Hans seine Bewegungen zurück, immer mehr arbeitete er nur noch mit den Unterarmen, Händen, abgespreizten Fingern, bis seine Gesten kaum mehr als angedeutet kamen und nur noch einen Ruck durch den Rest des Körpers schickten.

      Fast wäre er zu spät zum Gig gekommen. Das Ensemble war bereits vollzählig versammelt, in der winzigen Garderobe war kaum noch Platz für einen Rülpser. Doch nicht nur deshalb blieb Hans in der Tür stehen.

      „Na, daß d’ aa scho da …“ Der Rest des Satzes blieb Wickerl im Hals stecken. „Na, servas, Oida, hast g’heirat’?“ Neugierig drehten sich jetzt auch die anderen um. Die Stille im Raum hätte man in Scheiben schneiden können. Dann brach die Hölle los.

      „Oida, was is’n das? Spiel’ ma heut auf an Begräbnis?“

      „A Engagement als Eintänzer im Hofbräuhaus?“

      „Wannst dich in der Panier auf die Bühne traust, besorg’ ich dir eine Tapferkeitsmedaille!“

      „Bumm, schaust du guat aus!“

      Stumm bahnte sich Hans seinen Weg durch die Lästerer. Obwohl er im Unterbewußtsein mit einer ähnlichen Reaktion gerechnet hatte, war er nun doch etwas angerührt. Wenn ihn nicht einmal die eigenen Leute verstanden …? Abrupt drehte er sich um: „Love it or leave it, guys, you better leave it, and: fuck yourself“, schnauzte er in die Runde.

      „Und Wickerl“, gab er gleich darauf noch einer Eingebung nach, „was ich noch sagen wollt’: Sag mich heut nimmer als Hansi Hölzel an, das is vorbei. Nenn mich ab heute FALCO.“

      6. KAPITEL

      KEIN DOUBLE SEINER SELBST

      In der „Kanne“ in Seefeld kehrte langsam sowas wie Ruhe ein. Was dort in der Hochsaison bedeutete: Man stand nicht mehr über-, sondern nebeneinander und erhaschte ab und zu einen Mundvoll Sauerstoff, wenn wieder ein paar Leute das Lokal verließen. Die Gäste waren geschlichtet wie Sardinen im Öl. Und ließ man den Fisch weg, war der Vergleich in den meisten Fällen auch durchaus stimmig.

      Hans, der gleich nach dem Auftritt ins Hotel geflohen war, um sich schnell umzuziehen, schaffte den Weg vom Eingang zum Stammtisch, wo ein Teil der Spinning-Wheel-Besetzung bereits die ersten Bourbon-Colas vernichtet hatte, heute in nicht einmal zehn Minuten.

      „Da“, streckte ihm Bernhard Rabitsch, der Trompeter der Band und Thomas’ Bruder, sein Glas mit der sanftbraunen Flüssigkeit entgegen, „wir sind schon eins vorn. Prost, Oida!“ Hans nahm einen kräftigen Schluck, zwängte sich zwischen Bernhard und den Gitarristen Peter Vieweger und atmete erst einmal durch. Dann sah er sich prüfend im Lokal um. „Irgendein g’scheits Material da, heut?“ fragte er in die Runde.

      „Die Rothaarige da drüben find’ i net uneben.“ Peter deutete mit dem Kinn zum Ende der Bar auf eine blaßgesichtige Schönheit, deren Haupthaar aussah, als hätte es eben Feuer gefangen.

      „Uneben auf kan Fall bei dem Vorbau“, kommentierte Hans, „aber mit den Bleichhäutigen hab’ ich’s net so. Außerdem tun mir die Füße weh, und so viele Gigs haben wir nimmer, Burschen. Hau ma uns lieber ein paar G’mischte rein und vergeß’ ma die Weiber.“

      „Na, hast leicht zölibatär reden, Oida, wie i di heut um eins vom Hotel abholen wollt’, is mir grad das Wundertuttl von gestern entgegen’kommen. Nur du bist nimmer im Zimmer g’wesen. Wo warst’ denn? Um die Zeit bist doch sonst grad in der Tiefschlafphase?“ Bernhard, der auch nach den bald zwei Jahren, die sie nun schon gemeinsam mit der Kommerzband Spinning Wheel von einem Touristenort zum nächsten tingelten, den Gedanken nicht aufgeben wollte, Hans doch einmal zum Schifahren überreden zu können, hatte extra bis Mittag gewartet, bevor er sich in die Höhle des schlafenden Löwen traute. „Dann hab’ ich auch noch ins Stammbeisl rüberg’schaut, aber da is nur der Typ von der ‚Münchner Abendzeitung‘ g’sessen.“

      „Na, der is beinand’. Mit dem hab’ ich schon um zehn a Interview g’habt, weil er unbedingt zu Mittag wieder in der Redaktion hätt’ sein müssen. Und dann sitzt er um halb zwei immer no da. Wappler.“ „Hast’ g’hört?“ Peter tippte Bernhard über Hans hinweg auf die Schulter. „Er hat wieder a Interview geben müssen, der Herr Kommissar. Für die ‚Münchner Abendzeitung‘.“ Seit sich Falcos „Kommissar“ auch in Deutschland zum absoluten Hit entwickelt hatte, stand Hans in der Band wegen der häufigen Anfragen für Interviews ständig