mich doch a bißl stänkern“, lenkte deshalb auch Peter gleich wieder ein, „wie lang haben uns denn wir bei Drahdiwaberl seine Geburtswehen anschauen müssen, bis der Falco endlich Hand und Fuß g’habt hat? Alle paar Tag’ a anderer Haarschnitt: Zopf, Minipli, Seitenscheitel, Abteilung Pomade … Wochenlang hab’ i di nur an deiner Klampfen erkannt, weil man nie wissen hat können, in was für an Look du heut wieder daherkommst. Nur wenn einer die rote Gibson umg’hängt g’habt hat, hab’ i g’wußt: Ah, der Falco.“
Damals in München zu beschließen, fortan als Falco durchs Showbiz zu gehen und auch aus Hölzel das internationalere Hoelzel zu machen, war tatsächlich bloß der Anfang der Rätselrallye Imagesuche gewesen. In den ersten paar Tagen, die er in der neuen Identität auf der Bühne stand, sonnte sich Hans sogar noch in dem monumentalen Beinamen „Gottära“, den er sich zusätzlich über die Anleihe bei Herrn Weißpflog gestülpt hatte. Angehaucht von der Neuen Deutschen Welle, die damals gerade von Deutschland nach Österreich schwappte und deren Protagonisten in der Dezenz ihrer Bandnamen wie Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Ideal oder Extrabreit ja auch nicht gerade zimperlich waren. Nach drei Tagen flüchtete Hans allerdings in die „Gott“-Losigkeit und bat Wickerl, ihn nur noch als Falco anzusagen.
Als solcher trat er auch nach einem letzten Zerwürfnis mit Schlagzeuger Peter Kolbert, der ihm einmal zu oft einen Hasen ausgespannt hatte, bei der Company aus und Stefan Webers Underground-Band Drahdiwaberl ein. Wo er bei den noch unverbrauchten Kollegen auf mehr Verständnis für sein Identitätsproblem hoffte als zuvor bei den bereits abgebrühten Chaoten der Hallucination Company.
Unermüdlich hielt Hans nun auch hier Vorträge über die Rollenspiele prominenter Vorbilder aus der internationalen Popszene. Am liebsten über David Bowie, der sich mit seinen ständig wechselnden Kunstfiguren in der Branche längst den Ruf eines Chamäleons verdient hatte. Oder über den Sänger der Sparks, der „den Schnauzbart-Kieberer ja auch nicht gleich draufg’habt haben wird“.
Zum Glück wurde Hans bald abgelenkt. Was vermutlich der pädagogischen Schulung Stefan Webers zu danken war. Der Drahdiwaberl-Chef, der untertags das ehrenhafte Gewerbe eines Gymnasialprofessors im Lehrfach Zeichnen ausübte, während er die andere Hälfte seiner Zeit im inszenierten Blutrausch Equipments, Bühnen und ganze Säle in Kleinholz verwandelte, konnte sich offenbar bestens in Hans’ Zwiespalt einfühlen, den so ein Doppelleben nun einmal mit sich bringt.
Seit Hans zu Falco mutiert war, kam er sich mit dem reinen Bassistendasein nicht nur unausgelastet, sondern auch in seinen Fähigkeiten verkannt vor. Unverzagt lag er Weber deshalb ständig wegen eigener Songs in den Ohren. Dessen Anregung: „Wannst singen willst, schreib’ dir was“, wäre auf dem Plattenmarkt Gold wert gewesen, hätte die Zensur des staatlichen österreichischen Rundfunks Falcos erste eigene Nummer „Ganz Wien“ nicht mit einem Sendeverbot belegt. Hans hatte auf Webers Ermunterung hin nicht nur die Komposition, die er seinerzeit in der nächtlichen Session mit Hansi Lang in der Ziegelofengasse geboren hatte, wieder ausgegraben. Er hatte sie in Erinnerung an das damalige Gespräch über die exzessiven Genüsse, denen sich ganz Wien hingab, auch mit Giften aller Art vollgetextet. Und zwar so, daß das Lied trotz der Ächtung durchs Radio ein Volltreffer wurde. Wofür Weber und seine Truppe anfangs nicht einmal eine Fingerspitze ins Feuer gelegt hätten. Als Hans die ersten Takte vorgespielt hatte, bestand die ganze Spannung aus einer immer quälenderen Erwartungshaltung.
Das Aha-Erlebnis und damit die Gewißheit, etwas ganz Neuem, etwas Eigenem, etwas fraglos Hitverdächtigem zu lauschen, setzte mit der ersten Zeile ein: „Er geht auf der Straß’n …“ Hans hatte die Worte irgendwo zwischen Kehlkopf und Rachen zu kleinen Portionen gepreßt, die er dann im Stakkato aus dem Mund stieß. Und plötzlich war nicht nur die Nummer ein Hammer. Sondern auch Hans vom belächelten Spinner zum kleinen Genie gewachsen.
Falco hatte erreicht, was er wollte. Er stand ganz vorn auf der Bühne, im eigenen Rampenlicht, mit eigenem Song und eigenem Applaus. Seine rote Livrée mit goldenem Besatz trug er wie eine zweite Haut. So sah ihn zum ersten Mal Markus Spiegel, der Boß der kleinen Wiener Plattenfirma Gig-Records. Und entdeckte ihn.
„Was kummt jetzt?“ erkundigte sich Spinning-Wheel-Keyboarder Wolfgang Staribacher bei seinem Bühnennachbarn in einem Flüsterton, den man bis in den letzten Winkel des Lokals hören konnte. „Hamma den Michael Jackson schon g’spielt oder den Stevie Wonder? I kann mir das nie merken.“ Nahe der Bühne stießen ein paar Teenies, entweder zu alt für die Kicherphase oder zu jung für das Lokal, einander die Ellbogen in die Rippen und tuschelten hinter vorgehaltener Hand. Wolfgang zog überall die Kinder an.
Hans warf dem Organisten einen halb amüsierten, halb strafenden Blick zu und sagte ins Mikro: „Und nun ganz speziell für unseren Wolfgang Staribacher an der Orgel: ein Song von Michael Jackson.“ Und zu Wolfgang: „Hoffentlich weißt’ wenigstens, welchen.“
Aus der Ecke der Holländer war ein Pfeifkonzert zu hören, offenbar wären sie mehr für Stevie Wonder gewesen. Ansonsten war die „Tenne“ in Innsbruck voll mit schwäbischen, sächsischen, rheinischen oder was es noch an preußischen Sprachausprägungen gab. Die Lokale, in denen Spinning Wheel aufspielte, waren besonders von den Jüngeren unter den Touristen stets besser besucht als die Konkurrenz. Denn dort machten sich die vorwiegend mit älteren Semestern besetzten Saison-Combos über Schlager und Schnulzen her, als bekämen sie nicht fürs Spielen, sondern fürs Zerlegen der Arrangements bezahlt. Trat man vor die Tür der „Tenne“, konnte man unschwer verfolgen, wie die Band in der benachbarten Lokalität gerade wieder lautstark „Yesterday“ zerfleischte.
Michael Jacksons Song dagegen ging unter dem Gejohle der Holländer eben seinem wohlverdienten Ende zu. Ebenso wie der Arbeitstag der Spinning Wheels. Was noch fehlte, war Falcos Mitternachtseinlage mit dem „Kommissar“.
„Das waren Zeiten, wie der Hans noch das ‚Püppchen‘ g’sungen hat“, seufzte Bernhard nostalgisch während der kleinen Pause, in der Hans sich für seinen Auftritt umzog. „Püppchen, du bist mein Augenstern. Püppchen, ich hab’ dich ach so gern …“ trällerte er, „könnt’s euch noch an die aufblasbare Puppe erinnern, mit der er da immer auf die Bühne ’gangen is?“ Die anderen nickten. Es war ein Anblick gewesen, den man nicht so leicht vergaß.
„Gemma, Burschen“, unterbrach Hans, der eben wieder aufs Podest sprang, die Trauerminute, „und eins, zwei, drei …“ Sogar die Holländer rappten den Text mit. Donnernder Applaus begleitete die letzten Töne des „Kommissars“.
Völlig verschwitzt drängten sich die Musiker nach dem Auftritt zur Bar durch. Von allen Seiten klopfte man ihnen auf die Schultern, ein strohblonder Koloß, den Hans schon gestern hier gesehen hatte, reichte ihm ein Krügel Bier. „Haste dir verdient“, meinte er leicht gönnerhaft und wollte mit seinem Humpen anstoßen. Der Versuch ging in die Hosen seines Nachbarn an der Theke. Bevor ein Streit zwischen den beiden losbrach, war Hans schon in der Menge abgetaucht. Differenzen an der Bar mit Tötungsabsichten waren nicht sein Fall. Außerdem brauchte er frische Luft.
Es war eine sternenklare, eiskalte Nacht. Hans atmete ein, so tief es die Marlbororeste in seiner Lunge zuließen. Immer wenn er den „Kommissar“ hinter sich hatte, stahl er sich ein paar Minuten ganz für sich allein. Ein paar Gigs in München noch, dachte er, dann is auch mit Spinning Wheel vorbei. Dann mußt du zeigen, was du drauf hast. A Hit heißt no gar nix in dem G’schäft. Jetzt mußt denen eine LP hinknallen, daß’ nur so staubt. Und mit der bist ganz allein. Da hilft dir keiner. Da bin ich allein, ich und der Falco. Er zog das Sakko enger um sich. Ein paar Schritte weiter unterhielt sich der strohblonde Koloß von vorhin mit ein paar Mädels. „… nee, det glaubste wohl selber nich“, entrüstete er sich gerade. Er konnte nicht viel älter als zwanzig sein, da hatte man immer recht. Die Mädels redeten empört auf ihn ein. Hans lehnte sich mit der Hüfte an einen Mauervorsprung.
Irgendwie wird mir das alles abgehen, hing er weiter seinen Gedanken nach und ließ seinen Blick über die Bergsilhouetten streifen. Und wir haben ja nicht schlecht verdient dabei, jeder an feschen Dreiß’ger im Monat. Drei Monate steuerfrei für Studenten in Deutschland. Ich weiß noch, von meiner ersten Gage hab’ ich mir den größten Fernseher ’kauft, den’s beim Köck