die Susi in Mayerhofen. Na, der dürft’ ich net amal kommen mit den Kronjuwelen, so haaß is die auf mi. Schad’, eigentlich. Naja, ein bißl später vielleicht, wenn ich auf einer Tour vom Falco vorbeikomm’ …
„… und ich sage euch, es stimmt nich’!“ Der Lautstärke nach zu schließen, war der Strohkopf nun schon empfindlich in seinem Stolz gekränkt. Die Mädels traten schon mehr gelangweilt als frierend von einem Fuß auf den anderen. Was der denen wieder für a G’schicht einedrucken will, wunderte sich Hans, stieß sich mit dem Fuß von der Wand ab und wollte eben wieder hineingehen, als der Blondschädel zu seinem letzten Angriff ausholte: „Er schaut aus wie Falco, er singt wie Falco, aber er is lange nich’ so gut wie Falco!“
Einen Moment hielt Hans völlig perplex inne, dann betrat er das Lokal. Gleich neben der Tür fand er Bernhard. „Weißt, was mir jetzt da draußen passiert is?“ fragte er den Trompeter, als wäre ihm an dessen Antwort was gelegen, „da pudelt si so a spätpubertärer Piefke auf, daß i net der Falco bin! So ein Trottel. Wer soll i denn sein?“ In der Aufregung strich er sich wie auf der Bühne mit der flachen Hand über die Haare.
„Herscht, du machscht den Falco aber wircklichch guat nach“, meinte der Tiroler neben ihm, „echcht bärig!“
AUFSTIEG UND FALL
1982–1988
7. KAPITEL
EINZELHAFT
„Geh, sei so gut, Hans, zieh dir die Schuh’ aus.“
Verblüfft blieb Hans auf der Schwelle des Studios stehen. Eben wollte er fragen, ob er richtig verstanden hatte, da fiel sein Blick auf Robert Pongers Socken. Gehorsam schlüpfte er aus seinen Turnschuhen. Hab’ ich auch schon lang nimmer erlebt, dachte er, und seine Mutter fiel ihm ein. Irgendwie fühlte er sich plötzlich zu Hause.
„Viel Platz zum Sitzen gibt’s nicht“, entschuldigte sich Ponger und präsentierte sein Studio mit einer ausladenden Armbewegung, die für den winzigen Raum schon fast zu groß war. „Setz dich einfach dort rüber.“ Er deutete auf eine Zweisitzer-Couch an der Wand.
Hans nahm umständlich Platz. Die Füße ließ er, züchtig wie eine Jungfrau, nebeneinander stehen, er hatte leichte Zweifel, ob er ein Bein über das andere gebracht hätte, ohne etwas zu beschädigen.
Das sollte also nun die ehrwürdige Stätte sein, in der seine erste LP entstehen würde. Pongers Kreativzelle im niederösterreichischen Mannhardtsbrunn. Den „Kommissar“ hatten die beiden noch im Austrophon-Studio im Wiener Konzerthaus aufgenommen. Dort hatte man auch die Schuhe noch anbehalten dürfen.
„Was schleppst du denn da alles mit?“ fragte der barfüßige Produzent und wies mit einer skeptischen Bewegung des bärtigen Kinns auf Hans’ Gepäck, das der vorsorglich im winzigen Vorzimmer stehengelassen hatte. Ponger war Minimalist. Selbst wenn er gewollt hätte, er hätte kein Gepäckstück wie dieses vollkriegen können.
„Na, was man halt so braucht zum Arbeiten“, meinte Hans, der die ganze Tragweite der Frage nicht verstanden hatte. „Ein paar Jogginganzüge, Jeans, Leiberln, das eine oder andere Sakko, Schuhe …“ Schuldbewußt hielt er inne. „Und einen Schlafsack“, beeilte er sich zu erwähnen, um nicht noch einmal auf dem heiklen Thema der Fußbekleidung herumzutrampeln.
„Einen Schlafsack?“, wiederholte Ponger bedächtig, als versuche er, hinter das Geheimnis eines solchen Utensils zu kommen.
„Ich hab’ mir ’dacht, ich schlaf’ bei dir“, erklärte Hans, „da brauch’ i net jeden Tag nach Wien z’rückfahren, weil, weißt, ich fühl’ mich nie ganz wohl mit mir allein in an Auto.“
Bob wußte. Während der Aufnahmen zum „Kommissar“ war er einmal irrtümlich auf Hans’ Beifahrersitz gelandet. Seither hatte er immer noch „ein paar Wege“, wenn Hans ihm anbot, ihn irgendwohin mitzunehmen. Überhaupt, außer einer fast gleichgeschalteten Wellenlänge, einer selten kongenialen Zusammenarbeit und dem Gefühl, demselben, wie sie es nannten, Indianerstamm anzugehören, hatten die beiden nur wenig gemeinsam. Hans rauchte Marlboro, Bob höchstens der Kopf. Hans schätzte die Wirkung von Alkohol, Bob schätzte Alkohol bloß in seiner Wirkung als Einreibschnaps. Und dann natürlich noch die Sache mit den Schuhen …
Ohne Markus Spiegel wären die zwei vermutlich auch nie zusammengekommen. Spiegel hatte sich für seine rotlivrierte Entdeckung den besten unter den österreichischen Produzenten ausgesucht. Ponger hatte eben das Wunder vollbracht, den Vorarlberger Reinhold Bilgeri mit „Videolife“ über die Grenzen des Landes bekannt zu machen, was könnte er erst mit einem begabten Typen wie Falco erreichen!
Das kreative Andocken zwischen den beiden funktionierte wie ferngesteuert. Sanft, leise, fast unbemerkt. Selbst von Hans. Denn gleich als Ponger auf den Anruf des quirligen Plattenchefs hin nach Ottakring in den Albert-Sever-Saal zu einem Auftritt von Drahdiwaberl gekommen war, wußte er bloß von einmal Hinschauen, daß Falco sein Mann war. Es war wie Liebe auf den ersten Blick, nur daß es eben nicht Liebe war. Pongers Bauch schlug Alarm. In seinem Kopf formte sich bereits die Groove zum „Kommissar“. Und dabei hatten sie sich noch nicht einmal die Hand gegeben. Tags darauf war der musikalische Part des „Kommissar“ fertig. Einen Tag später der Text. Die Aufnahmen waren bloß noch Handwerk. Und jetzt das Kinderlied …
In diesem Stil sollte es nun weitergehen. Die Herausforderung, dem Erfolg des „Kommissars“ nun das erste Album nachzuschießen, lag in der Luft. Wenn man genau hinhörte, konnte man jetzt schon das Flüstern der Neider vernehmen: Hast schon g’hört? … Die Platte vom Falco? … A bißl enttäuschend nach dem „Kommissar“ … War halt doch nur eine Eintagsfliege … Schad’ eigentlich …
Bob konnte es kaum erwarten, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Hans dagegen durfte gar nicht dran denken, welcher Druck da auf ihm lastete. Er spürte ihn, seit der „Kommissar“ auf dem Markt war. Manchmal mehr, manchmal weniger. Jetzt so stark wie noch nie. Er hatte das Gefühl, sumpfiges Neuland zu betreten. Früher hätte man darüber in Aufzeichnungen vermerkt: Hinter dieser Stelle werden Drachen sein. Die Angst vor ihnen trug immer wieder kleine Siege über Hans’ Freude ob des ersten Erfolges davon. Da konnte Bob reden, was er wollte. Hans packte seinen Schlafsack gar nicht erst aus. Bei seiner Ankunft in Pongers Refugium hatte er – als echter Indianer – noch die Idee gehätschelt, sein Lager auf der Terrasse aufzuschlagen. Inzwischen war es über den ersten kreativen Umarmungen Mitternacht geworden, und die Vorstellung von der weichen Kühle eines frisch gemachten Bettes hatte den harten Boden der Terrasse verdrängt. Hans mietete sich in einem Gasthof im nahen Großebersdorf ein.
Den Wirtsleuten entlockte das späte Erscheinen des Gastes nicht die Karikatur eines Lächelns. Hans, der schon von jeher auch nur den Ansatz von Zurückweisung registrierte wie ein Geigerzähler schädliche Strahlung, zog sich augenblicklich hinter seine Schutzmauer aus Blasiertheit zurück, mit der er seine Unsicherheit zu überspielen gelernt hatte. Wäre Bob nicht mitgekommen, die Pensionsbesitzer hätten dem Wiener Schnösel mit dem überheblichen Blick nicht einmal die Uhrzeit gesagt. Dank Pongers Vermittlung bekam er am nächsten Morgen ein ausgiebiges Frühstück und zum Kaffee sogar ein für die Wirtin geradezu überschwengliches Lächeln serviert. Dann fuhr er die paar Kilometer zum Studio.
Kurz vorher war Peter Vieweger, der Dritte im Bunde, im Studio eingetroffen. Bob machte sich abwechselnd am Keyboard und am „Linn“, seinem Rhythmuscomputer, zu schaffen. Peter spielte sich an der Gitarre warm. Hans zeigte seine besten Saiten am Baß. Und langsam ließ er sich vom Drive der anderen mitreißen. Die Arbeit war wie guter Sex, nur daß es eben nicht Sex war. Schnell, aggressiv, dann wieder tastend, vorsichtig, rücksichtsvoll. Bewußt gegeneinander, dann wieder völlig eins, verwachsen im selben Rhythmus. Nur auf sich selbst konzentriert, und doch genau im Pulsschlag der anderen.
Während Bob mit den Tönen spielte und Peter die Gitarrenphrasen zum Leben brachte, ließ Hans die Worte tanzen. Gemeinsam jonglierten sie mit den Titeln, dem Tempo, den Sounds; sie ließen die Melodien laufen, holten die Harmonien heraus, tauchten in den Sound hinein und kamen mit einer neuen Groove wieder zurück.