Andrea Fehringer

Falco


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ist. Hansi grinste. Mittlerweile wußte er noch ganz andere Sachen. K’siberln wollt’ ma ausseschmuggeln, wir Trotteln!

      „Was grinst’ so g’feanzt, Blunzenstricker?“ wollte der Wächter wissen.

      „Ich heiß’ Hansi“, berichtigte der Häftling zum wiederholten Mal.

      „Vornamen gibt’s nicht“, informierte der Beamte wie immer.

      Die Häßlichkeit des Besuchsraumes verlieh dem Anwalt etwas ungewohnt Edles. Ein Anblick, der Hansi zu Beginn seines Aufenthaltes hier noch mehr deprimiert hatte. Jetzt amüsierte ihn der Kontrast. Im Häfen lernt man, die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen.

      „Ich hab’ nicht viel Zeit“, verbreitete der Jurist die Hektik der Außenwelt, „ich bin überhaupt nur da, weil mich der Hans schickt, wegen eurem G’sangl.“ Sein Tonfall verriet unmißverständlich, wie unnötig die zeitraubende Aktion seiner Meinung nach war. Im Grunde seines Paragraphengemüts hielt er Musik an und für sich für ein Strafdelikt. Und in die heimische Popszene war er bloß hineingerutscht, weil er sich gesetzestechnisch mit Drogen auskannte.

      „Ja?“ fragte Hansi erwartungsvoll. Beim letzten Besuch hatte ihm der Rechtsanwalt die Nachricht übermittelt, daß Hans den Studiobesitzer René Reiz überredet hatte, den ersten seiner in der Zelle komponierten Songs aufzunehmen. „Be my love“ hatte er ihn genannt – nach den ersten paar Wochen im Abseits der Gesellschaft etwas zu sehnsüchtig. Jetzt hieß er „No modern love“ und sollte vorige Woche Peter Vieweger, einem gemeinsamen Freund aus der Underground-Band Drahdiwaberl, vorgelegt werden. „Und? Was hat er g’sagt?“ drängte Hansi den Anwalt.

      „Leiwande Nummer, hat er g’sagt“, erwiderte der, als hätte er Hansi das Ableben seiner Mutter mitzuteilen.

      „Na bitte, i hab’s ja g’wußt“, freute sich Hansi umso mehr, „und was g’schieht jetzt damit?“

      „Ab ins Archiv zu den Akten“, gestand der Rechtsbeistand plötzlich nicht unfröhlich.

      „Ab in die Zelle“, bellte der Wachebeamte wie ein Echo nach.

      „Herst, Oida, du hast keine Ahnung, wie oft ich in den letzten Monaten da g’sessen bin.“

      Hansi sah sich in Hans’ winziger Zimmer-Küche-Wohnung um, als befinde er sich in den Prunkgemächern der Hofburg. Sein eigenes Domizil, eine düstere Angelegenheit in Wien-Währing, deprimierte ihn mehr als seine Zelle. Zu allem Überfluß hatte er gestern entdecken müssen, daß seine Freundin hinterrücks zu einem anderen übergelaufen war. Die ersten Tage nach seiner Enthaftung waren durchaus geeignet, ihn heftig an der Institution Freiheit zweifeln zu lassen. Umgehend hatte er sich auf den Weg ins „Voom Voom“ gemacht.

      Es war alles beim alten dort. Dieselben Typen, dieselben Gespräche, derselbe Sound, dieselben Drogen. Hansi bestellte ein Bier und konnte sich kaum entscheiden, ob er es trinken oder ob er hineinweinen sollte. Da klopfte ihm Chouchou auf die Schulter.

      Hans’ putzige Freundin kam ihm vor wie eine Erscheinung, und plötzlich war es viel heller im „Voom“. Chou versprühte dezente Begeisterung darüber, daß er wieder da war. Sie trug die hochhackigen roten Lackpumps, die Hans ihr geschenkt hatte, und sah aus, als hätte sie gleich noch einen Termin beim Steuerberater. Sogar ihre Art zuzuhören war irgendwie gestylt. Sie nippte an ihrem pinkfarbenen Drink, er redete.

      Irgendwann an diesem fortgeschrittenen Abend tänzelte eine andere Erscheinung in Hansis nun schon etwas gemilderte Depression. Sie nippte an einem türkisfarbenen Drink und redete selber. Als er ihr in einer ihrer raren Atempausen von der Bruchbude erzählte, die ihn in sein altes Stammlokal getrieben hatte, stand sie auf und sagte: „Na gut, dann geh’n wir halt zu mir.“ Im Hinausgehen nickte er Chouchou kurz zu. Ihr Blick folgte ihm wie ein Laserstrahl.

      „Willst einen Kaffee?“ riß ihn Hans, der schon mit seinem Wasserküberl in der Hand im Türrahmen stand, aus seinen Gedanken. Hansi nickte. Fast ergriffen beobachtete er die Zeremonie, lauschte verträumt dem Rauschen des Wassers an der Bassena, verfolgte stumm jeden Handgriff, mit dem Hans den Kocher anwarf und den Kaffee aufbrühte. Nur der groteske Morgenmantel fehlte. Hans reichte ihm die Tasse. Das ist Freundschaft, dachte Hansi, heute besonders anfällig für rührselige Stimmungen. In diesem Fall aber hatte er durchaus recht. Hans hatte ihm eine halbe Garderobe geschenkt, ihm Geld gegeben und das Gefühl, daß alles wieder gut werden würde.

      Mitten in diese männliche Eintracht hinein stand Chouchou plötzlich im Raum, als wäre sie lautlos aus dem Parkettboden gewachsen. „Servas, Schatzl“, sagte Hans, drückte ihr einen Kuß auf die Wange und eine Tasse Kaffee in die Hand. Offenbar hatte er sie erwartet.

      „Hallo, Hansi“, sagte Chou. „Na, ausgeschlafen?“

      „Danke“, murmelte der reichlich verlegen.

      Was red’ ich denn da? fragte er sich gleich darauf verwundert. Abrupt richtete er sich im Fauteuil auf und fand seine Haltung wieder. Bin ich schon völlig deppert seit dem Häfen? Ich tu ja, wie wenn ich ihr Rechenschaft schuldig wär’, das ist doch die Freundin vom Hans, was soll das eigentlich alles?

      Hans schien von der Spannung zwischen den beiden nichts zu merken. Der unüblich seichte Smalltalk tröpfelte vor sich hin wie der Wasserhahn über der Bassena. Irgendwas stimmte heute nicht.

      Irgendwas stimmt heute nicht, dachte Hans, während er weiterhin Banalitäten absonderte, irgendwas hat sie vor, die Chou, das kenn’ ich am Blick, das flatterhafte G’schau haben’s immer alle, wenn’s nix sagen und alles schon wissen. Sie is’ gestern schon so komisch g’wesen. Zwei Jahr’ bin ich jetzt mit ihr z’amm … lang eigentlich, aber fad is’ mir net ’worden mit ihr. Bitte! Ich will jetzt kein Kopfweh, tu mir das net an, Chou, ich kann mich noch erinnern an die G’schicht mit’n Kolbert … war net mehr als schöne Augen, aber ich weiß noch, die Angst, die mir da eing’fahren is, daß ich sie verlieren könnt’. Ich will sie net verlieren! Ich will überhaupt net verlieren. Und was, um Gottes willen, hat der Hansi damit zu tun?

      Hansi, der des Umgangs mit anderen Menschen derzeit entwöhnt war und sich eigentlich auf einen Nachmittag unter Männern gefreut hatte, entwickelte Fluchtgedanken. Wir wollten doch über unsere Songs reden, dachte er, vielleicht a bißl spiel’n, wozu hab’ ich denn meine Klampfen mit’bracht, was mach’ ich überhaupt da? Unvermittelt wuchtete er sich aus dem Sessel und verkündete: „I geh jetzt.“

      Als hätte sie nur aufs Stichwort gewartet, sprang auch Chou auf. „Ich geh mit’n Hansi“, erklärte sie mit einer unheilvollen Schärfe in der Stimme. Die paar Worte hingen wie ein Todesurteil im Raum. Und Hans war der Delinquent. Fassungslos starrten die beiden Freunde das Mädchen an. Kampflustig starrte sie zurück. Doch es fiel kein einziges Wort. Sogar der Wasserhahn war verstummt.

      Hans reagierte als erster. Und zwar so, als wär’ nichts passiert. „Na gut, dann pfüat euch“, sagte er freundlich. Wäre da nicht ein leicht belegter Unterton in seiner Stimme mitgeschwungen, hätte man glauben können, es sei nichts passiert. Langsam bekam auch Hansi mit, was sich hier abspielte. Chouchou hatte offenbar beschlossen, die Beziehung zu Hans zu beenden. Und ihn benutzte sie als Schlüsselfigur. Hansi spürte das Ausmaß der Verletzung, das Hans hier niederkämpfte, fast körperlich. Er wollte was sagen, erklären, daß das nicht seine Schuld sei, hierbleiben. Aber für Erklärungen war es zu spät. Das Knistern zwischen ihm und Chou war zu laut gewesen. Und ihr letztes Wort an Hans zu leise. Etwas, das gar nicht ausgesprochen worden war, war auch nicht richtigzustellen.

      Hansi machte einen Schritt auf den Freund zu. Hans wich zurück, wie ein Magnet, der vom gleichen Pol eines anderen Magneten zurückgeschoben wird. Plus und Plus ergab plötzlich Minus.

      Schweigend gingen Chou und Hansi die Ziegelofengasse entlang. „Es ging nicht mehr“, sagte sie, „ich weiß es schon länger.“

      „Leiwand, daß d’ auf mich g’wartet hast, bis du’s ihm sagst“, gab Hansi zurück. „Was kommt als nächstes?“

      „Ich komm’ mit zu dir“, sagte sie, irritiert über die Frage. Genausogut hätte sie sagen können: Mein Fingernagel ist