fallen. Und Bob nickte, langsam, weil nichts mehr eilt, wenn man durchs Ziel ist.
Eine Woche verbrachte Hans in dem kleinen Gasthof. Die Wirtin hatte ihn mittlerweile als Junges adoptiert. Mitunter betrachtete sie diesen großstädtischen Kauz heimlich und nicht ohne Sorge. Wie er, der da immer am selben Tisch saß und Silben, Worte, Sätze kritzelte, sie wieder ausstrich, nur um neue Silben, Worte, Sätze zu kritzeln.
Nach einer Woche war die „Einzelhaft“ ausgesessen. Die Angst überwunden. Die Drachen besiegt. Das Album stand. Acht Titel plus „Ganz Wien“ und natürlich der „Kommissar“. Hans fühlte sich irgendwie leer. Zum letzten Mal stieg er ins Auto und fuhr hinüber zum Studio, wo Bob schon wieder an neuen Titeln herumtüftelte. Der is genau so ein Perfektionist wie ich, dachte Hans, deshalb kömma wahrscheinlich so gut miteinander. Ein letztes Mal vertiefte er sich in die Nummern, die sie in dieser Woche rausgeschwitzt hatten. Spielerisch schob er mit seinen Gedanken die Titel seiner LP hin und her und reihte sie wie Perlen auf einer Kette zu einem runden Ganzen: „Siebzehn Jahr’“ hab’ ich „Zuviel Hitze“ aufgestaut, dann hab’ ich „Auf der Flucht“ vor dem „Kommissar“ „Ganz Wien“ hinter mir gelassen, um mich in „Einzelhaft“ zurückzuziehen, und es war wie damals, als ich dachte, „Nie mehr Schule“, jetzt geht das Leben los: „Maschine brennt“ und „Hinter uns die Sintflut“, weil wir sind die „Helden von Heute“.
Seltsam, dachte er, und ein Gefühl tiefer Zufriedenheit nistete sich in ihm ein, es klingt wie die Geschichte meines Lebens. Verwundert schüttelte er den Kopf: Ich habe mein Leben auf eine Platte gepreßt.
8. KAPITEL
FALCO & DAVID BOWIE
„Shit happens“, fluchte Hans, „jetzt hab’ i mi scho wieder verfahren.“ Zum fünften Mal innerhalb der vergangenen halben Stunde hielt er an und holte die Straßenkarte hervor. „Himberg, Himberg, wo is des Scheiß-Himberg?“ Der Wind verblätterte die Karte. Hans warf sie in hohem Bogen aus dem Wagen. War nicht sein Tag heute. Dabei hatte er so gut angefangen. Nämlich damit, daß er aufgestanden war. Und zwar erstaunlich leicht für elf Uhr früh. Normalerweise gehörte diese Tageszeit für ihn zu den Irrtümern der Natur. Schon in der Schulzeit war ihm nicht einsichtig gewesen, wozu Vormittage gut sein sollten. Seinem Biorhythmus nach sollten sie mit schwarzer Luft gefüllt und zum Schlafen da sein. Und es wurmte ihn auch jetzt, da er sich die Zeit großteils selbst einteilen konnte, noch immer, daß seine innere Uhr so falsch ging und ständig mit dem Tagesablauf der Außenwelt kollidierte.
„Halt amal den Rand jetzt“, schnauzte er den Kassettenrecorder an und drückte so heftig auf die Eject-Taste, daß er das Gerät fast in den Kühler geschoben hätte. David Bowie heulte auf, als hätte ihm mitten im Refrain wer die Kehle durchgeschnitten. „Net bös’ sein“, entschuldigte sich Hans bei seinem Idol und streichelte fast den Recorder, um gleich darauf noch einmal veritabel auszurasten: „I steh da am Arsch der Welt! Wo zum Geier is dieses Trottel-Studio?“
„Das in der Achau?“ fragte eine schüchterne Stimme hinter ihm. Erschrocken fuhr Hans herum und schaute in die zwei sanftbraunen Augen eines Radfahrers, der neben ihm gehalten hatte.
„Ja genau, das Tonstudio in der Achau such’ ich. Könnten Sie mir vielleicht …?“ Der Typ konnte. Eine Viertelstunde später näherte sich Hans dem alten Bauernhaus, in dem das Studio untergebracht war. Die gesamte Falco-Band war bereits anwesend. Kapellmeister Peter Vieweger unterhielt sich mit den Keyboardern Robert Ponger und Gary Lux, Bertl Pistracher knackte mit seinen Baßfingern, und der schöne Kolbert ließ Bernhard Rabitschs Trompete um seine Sticks rotieren. Rauchend – bis auf Bob – standen die Musiker vorm Eingang, eine grüngelbe Aura der Ungeduld umgab sie.
Hans ließ den weißen Mercedes in Zeitlupe in den Hof rollen. Im letzten Moment warf er seinen linken Unterarm aus dem Fenster und ließ ihn noch schnell betont lässig an der Außenseite des Wagens herunterbaumeln. Die neue Rolex blinkte in der Sonne. Jetzt sind’s ruhig, dachte Hans, genau so hatte er sich seinen Auftritt hier vorgestellt. Langsam schob sich die kleine Gruppe näher ans Auto. Hans kam es vor, als würden die Blicke der Freunde den Lack seines Prachtstücks polieren. Er öffnete den Mund, um eine zum Auto passende dekadente Meldung zu placieren, da kam ihm Peter Vieweger zuvor: „Hans, was fahrst denn du da? An Perlon porös?“
Die Sonne über dem Studio verdunkelte sich. Thomas Rabitsch strich ehrfürchtig über die perforierten Velourssitze, auf die Peter eben angespielt hatte. Hans holte den Unterarm mit der Rolex ein und stellte den Motor ab. Es war wirklich nicht sein Tag heute.
„Wo hast’ denn die Kisten her?“ wollten nun alle gleichzeitig wissen, und die Betonung lag eindeutig auf dem weiblichen Artikel. Auf einmal sah das Auto genau nach dem aus, was es war: ein gebrauchtes weißes Mercedes Coupé.
Danke, Herr Schneider, dachte Hans, während er ausstieg und rettete, was zu retten war, indem er heldenhaft in den abfälligen Schmäh der anderen einstimmte. Vor ein paar Wochen hatte der Wiener Musikverleger Herrmann Schneider, ein alter Hase in der Branche, den „Kommissar“ als Ouvertüre zu einer neuen Ära in der Popszene identifiziert und begonnen, Hans die Verlagsrechte abzuschwatzen. Newcomer Falco hatte prompt die präpotente Nummer abgezogen und in geschliffenem Schönbrunner-Tonfall seinen Preis genannt: „A Mercedes tät’s schon tun.“ Bedauerlicherweise hatte er versäumt zu erwähnen, welcher.
Und jetzt stand er da mit seiner Eroberung aus dem Gebrauchtwagenhandel. Der weiße Schimmel, mit dem er hier einreiten wollte, hatte sich in ein nicht einmal frisch lackiertes Hutschpferd verwandelt. Und er vom Prinzen in einen kleinen Angeber. Unauffällig drehte er das Zifferblatt der Rolex auf die Innenseite seines Handgelenks und meinte: „Na gut, Burschen, tun wir was für unser Geld.“
Im Laufe der Probe versöhnte sich Hans mit der Welt. Die Band geigte auf, als stünde sie bereits auf der Bühne der Wiener Stadthalle, wo sie anläßlich eines von einer Bank veranstalteten Pop-Events erstmals auftreten sollte. Hans rappte sich die Seele aus dem Leib. „Tscheck! und Tscho! und Tschill!“ Die Namen der „funky friends“ aus dem „Kommissar“ kamen wie Peitschenhiebe. Wenn er das in der Stadthalle auch so rüberbringt, dachte Peter, dann versteht jeder: Falco ist heiß!
Als Thomas sich nach der Probe kommentarlos neben Hans in den Mercedes fallen ließ, gehörte dann auch das Auto zur Familie. Den Weg zurück in die Ziegelofengasse fand Hans ohne Umwege. Viel wurde nicht geredet. Die Stimmung brauchte keine Worte.
„Wahnsinn“, brachte Thomas schließlich heraus, „jetzt spielen wir wirklich in der Stadthalle.“ Seit Falco durchgestartet war, lebte seine musikalische Begleitmannschaft im Niemandsland zwischen einem erfüllten Traum und der Erwartung, wieder in der gewohnten Umgebung aufzuwachen. Erst jetzt, nach all den Monaten, in denen noch die letzten Verträge der Spinning-Wheel-Tour eingehalten werden mußten, in denen das erste Album produziert wurde, in denen man die Falco-Band auf die Beine stellte, realisierte man nun erstmals, daß in Zukunft nichts mehr so sein würde wie früher. A star was born. Falco. Und seine Planeten hatten sich unwiderruflich auf ihre Umlaufbahn begeben.
Thomas schien es, als begreife er die Bedeutung all dessen eben jetzt, zusammengefaßt in dem Synonym: Stadthalle. Beeindruckt horchte er auf das Echo, das das Wort in Hans’ Garçonnière erzeugte. Es war, als würde man ein Orchesterwerk auf mono abspielen. Die Bude war zu klein geworden für den Erfolg ihres Bewohners.
Thomas machte es sich bequem in der nostalgischen Mood, die einen immer umfaßt, wenn das Ende eines Lebensabschnittes zum Anfang eines neuen wird. Auch wenn’s nicht ganz sein eigener war. Sie waren alle eine Stufe weiter gekommen in dem Gesellschaftsspiel mit Namen Karriere.
Hans hatte die Anlage angeworfen, und David Bowie gesellte sich zu ihnen. In Gestalt des Ziggi Stardust. Und auf einmal war Thomas klar, was Hans seit Monaten wußte:
Sie beide entstammten der kompromißlosen Hallucination-Ideologie: Schlechte Musik bedeutet Kommerz, Kommerz bedeutet Geld, sie würden nie schlechte Musik spielen, also würden sie nie Geld verdienen. Geld war in der Company keine Meßeinheit