Augen, die mir aus einem rundlichen Kleinkindergesicht entgegenlachen. Ist der süß! Der Kleine geht ein Stück zur Seite und schaut durch eine andere Öffnung im Zaun und grinst mich an. Ich mache es ihm nach. Ein kleines Spiel entwickelt sich zwischen uns und so muss ich mich nicht an dem Gespräch zwischen den Männern beteiligen, die sich aufgeregt über die letzten Sportergebnisse unterhalten. Das ist mir in meinem jetzigen Zustand zu hoch.
Schließlich verabschieden wir uns und zum hundertsten Mal verspricht unser Nachbar, uns bald mal zum Essen einzuladen. Früher hätte ich mich über so eine Ankündigung geärgert, weil ich genau weiß, dass es bei der Ankündigung bleibt. Jetzt aber lässt es mich völlig kalt.
Ich gehe durch unseren wunderschönen Garten. Auf den Wegen liegen welke Blätter. Unser Anwesen ist wirklich schön. Mir fallen auf einmal Dinge auf, die ich sonst gar nicht so wahrgenommen habe. Hat das etwa was mit meinem beglückten Zustand zu tun?
Summend bereite ich das Abendessen zu. Ich fühle mich glücklich. Keine Spur von schlechtem Gewissen. Ich versuche nicht einmal, meinen Zustand zu verbergen. Meinem Mann fällt das eh nicht auf. Er ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Aus seinem Hobbyraum dringt Musik von Amy Mc Donald.
***
Nach den Nachrichten nervt mein Mann mich wieder mit seiner üblichen Sucherei.
»Hast du meine Jacke und meinen Autoschlüssel gesehen?«
»Nein, habe ich nicht«, antworte ich gefühlte tausend Mal.
»Das gibt es doch gar nicht. Ich hatte meine Jacke auf den Stuhl im Esszimmer gehängt. Und der Schlüssel ist in der Tasche.«
Darin klingt für mich der leise Vorwurf, dass ich aufgeräumt hätte. Er weiß genau, dass ich es hasse, wenn er alles herumliegen lässt. Ich bin ein Ordnungsfanatiker. Bei mir muss alles an seinem Platz sein.
»Die Jacke hängt doch über dem Stuhl. Mach mal deine Augen auf.«
»Das ist die Gartenjacke«, kommt es gereizt zurück.
»Wann hast du die Jacke zum letzten Mal angehabt?«
»Als ich zur Bank gefahren bin.«
»Und was hast du dann gemacht?«
»Dann war ich im Garten.«
»Da hast du deine Gartenjacke angehabt, richtig?«
»Hm, denke schon.«
Ich gehe auf die Terrasse. Dort hängt die Jacke. Der Autoschlüssel liegt auf dem Tisch. Ich schnappe mir beides, gehe zu ihm zurück und werfe erst die Jacke, dann die Schlüssel auf den Tisch. »Hier! Mach das nächste Mal deine ...« Mir fällt der Ausdruck ein, den meine Töchter immer anstelle von Augen benutzen. »... Glotzkorken auf!«
Er blickt verwirrt auf seine Jacke, dann zieht er sie kurzentschlossen über und sagt: »Ich geh noch mal ins ›Ruperts‹.«
»Na prima, dann sitze ich wieder allein zu Hause.«
»Du kannst ja mitkommen«, bietet er mir großzügig an.
»Du weißt ganz genau, dass ich diese Kneipe hasse. Da stinkt es nach Rauch und ranzigem Fett. Es ist so laut da drin, dass man sich sowieso nicht unterhalten kann. Außerdem brauche ich diese blöden Dummschwätzer nicht.«
»Du hast auch an allem etwas auszusetzen«, brummt mein Mann und geht in den Flur.
»Habe ich nicht. Aber wir könnten ja auch mal wieder was Gemeinsames machen«, schlage ich stattdessen vor.
»Geht die alte Leier schon wieder los. Ich kann es nicht mehr hören!« Wütend verlässt er das Haus.
Ich lasse ihn ziehen und wünsche ihm sogar noch viel Spaß. Das geht schon seit Jahren so. Als mein Mann noch berufstätig war, habe ich mit meinen Kindern allein zu Hause gesessen. Jetzt ist er Rentner und ich sitze mit meinem Dackel allein zu Hause. Wir ticken einfach nicht gleich. Ich liebe Kunst, Konzerte, Theater, gute Filme. Er liebt Männergespräche in der Kneipe, Pilze sammeln und Angeln. Komisch, dass man es dann über fünfundzwanzig Jahre miteinander aushalten kann ...
Das Einzige, was wir wirklich beide lieben, sind Reisen in ferne Länder. In den Wochen, wo wir gemeinsam unterwegs sind und andere Kulturen erkunden, sind wir wie verwandelt. Es gibt keinen Krach, kein Gemecker, nur gutes Essen und guten Wein, interessante Gespräche an der Bar und manchmal auch Sex. Einfachen, schnellen Sex nach einer durchzechten Nacht oder am Morgen vor dem Aufstehen. Der Sex dient jedoch mehr zur Befriedigung unserer körperlichen Bedürfnisse, als einem ausgiebigen, aufregenden Spiel, so wie wir es früher immer gespielt haben.
Ich verziehe mich mit meinem Dackel auf die Couch und nehme mein Buch zur Hand. Aber ich kann mich nicht konzentrieren und lege es wieder weg. Stattdessen nehme ich meinen Dackel und beginne, ihn ausgiebig zu kraulen.
Ich schließe die Augen und träume von meinem Lover. Stahlblaue Augen fixieren mich. Hände streichen zärtlich über meinen Körper. Mir wird heiß. Zwischen meinen Beinen fängt es an zu kribbeln.
»Komm zu mir. Leg dich auf mich. Ich will dich spüren, ganz tief in mir.«
Mein Traummann ist so real. Ich habe das Gefühl, als wäre er hier bei mir im Wohnzimmer. Ich spüre wieder seine Küsse auf meinem Hals und meinen Brüsten. Ich bin kurz davor zu kommen, als das Telefon läutet. Keuchend schrecke ich hoch und haste an den Apparat.
Die Nummer meiner ältesten Tochter erscheint auf dem Display. Mist! Ich habe doch glatt vergessen, sie anzurufen. Sie hat morgen Geburtstag und wir wollen den Tag miteinander verbringen.
»Hallo, mein Schatz«, melde ich mich immer noch schnaufend am Telefon.
»Hi Mum, wo habe ich dich denn jetzt hergeholt?«
»Ich war gerade auf der Kellertreppe«, erfinde ich schnell eine Ausrede. Sie wird in Ohnmacht fallen, wenn ich ihr von meinem Traum erzähle. Meine Töchter machen da keine Ausnahme. Sie wollen über unser Sexleben nichts wissen.
Wir telefonieren eine halbe Stunde und machen einen Plan für den nächsten Tag. Ich freue mich schon darauf, sie wiederzusehen. Sie hat sich zu einer intelligenten jungen Frau entwickelt, mit der man sich hervorragend unterhalten kann. Ich bewundere sie dafür, wie stringent sie ihr Leben plant. Sie lebt so, wie ich es immer gern getan hätte. Von ihr kann ich noch so manches lernen.
Ich kehre auf die Couch zurück. Der Dackel dreht sich auf den Rücken, macht die Beine breit und brummt mich an. Seine Augen blitzen mich frech an. Er will weitergestreichelt werden. Dieses kleine Mistvieh will doch tatsächlich das Gleiche wie ich; es will vernascht werden. Dieses Hündchen bringt mich zum Lachen und mir meine gute Laune zurück, die allerdings empfindlich gestört wird, als mein Mann nach Rauch und Fett riechend um einundzwanzig Uhr in der Tür erscheint. Ich blicke ihn wütend an. Er weiß ganz genau, dass ich diesen Zustand hasse. Ich erinnere mich an den Rat, den mir meine Tochter kürzlich gegeben hat:
»Mum, du musst es ihm auch mal sagen und nicht immer nur still erdulden. Krach gibt es so oder so.«
Also nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und sage: »Zieh bitte deine stinkenden Klamotten aus! Ich mag es nicht, wenn du nach Bier und Schnaps riechst. Und ranz mich nicht an oder ich schlafe heute Nacht im Gästezimmer!«
Ich bin selbst überrascht über meinen festen Ton.
Mein Mann verzieht sich beleidigt ins Bad. Aber er legt nicht nur seine Kleidung ab, er geht sogar unter die Dusche und putzt sich anschließend die Zähne.
»Nun zufrieden?«, fragt er mich gereizt.
»Schon besser.« Ich bin zufrieden.
Eine halbe Stunde später sitzen wir gemeinsam auf der Couch. Im Fernsehen läuft eine Talkshow. Der Dackel schnarcht friedlich zwischen uns. Meinem Mann fallen immer wieder die Augen zu und ich denke an meinen wunderbaren Liebhaber.
Kapitel 6
Die nächsten Tage vergehen wie im Flug. Am Freitag erlebe ich einen wunderschönen Tag mit meiner Tochter