wir die nordische Rasse sind. Ich bin nordisch, du und du, und –« Hier zögerte er für den Bruchteil einer Sekunde und schloß dann durch ein leichtes Kopfnicken auch Daisy mit ein, die mir daraufhin erneut zuzwinkerte.
»–und wir haben alle Dinge produziert, die die Kultur ausmachen – hm, Wissenschaft, Kunst und so. Versteht ihr?«
Es war etwas Rührendes in seiner Konzentration – als ob es ihm neuerdings nicht mehr genüge, von sich selbst überzeugt zu sein. Als gleich darauf drinnen das Telefon läutete und der Butler hineingegangen war, nahm Daisy diese plötzliche Unterbrechung zum Anlaß, sich zu mir zu neigen.
»Ich will dir ein Familiengeheimnis verraten«, flüsterte sie enthusiastisch. »Es betrifft die Nase des Butlers. Willst du ihre Geschichte hören?«
»Unbedingt. Deshalb bin ich doch gekommen.« »Fein. Er war nämlich nicht immer Butler, sondern Silberputzer bei Leuten in New York. Die hatten ein Silberservice für zweihundert Personen. Das mußte er von morgens bis abends putzen, bis schließlich seine Nase davon affiziert wurde –«
»Und das wurde immer schlimmer«, fiel Miss Baker ein. »Ja, es wurde immer schlimmer, und am Ende mußte er die Stellung aufgeben.«
Ein letzter Sonnenstrahl verklärte für einen Augenblick romantisch ihr Gesicht; ihre Stimme zwang mich atemlos lauschend zu ihr. Dann verblaßte das Glühen; ein Lichtstrahl nach dem andern wich von ihr, zögernd und ungern wie Kinder, die im Abenddämmer ihr Straßenparadies verlassen müssen.
Der Butler kam zurück und beugte sich flüsternd zu Tom, der daraufhin stirnrunzelnd seinen Stuhl zurückschob und wortlos hineinging. Als wenn Toms Abwesenheit etwas in ihr gelöst hätte, beugte sich Daisy erneut vor, mit einem dunklen Singen in der Stimme. »Ich bin ja so froh, dich hier bei uns zu haben, Nick. Du erinnerst mich immer an – an eine Rose, eine perfekte Rose. Nicht wahr?« Sie wandte sich, Zustimmung heischend, an Miss Baker: »Eine perfekte Rose?«
Das war glatt gelogen. Ich sehe auch nicht im entferntesten einer Rose ähnlich. Daisy hatte das nur so improvisiert; dabei ging jedoch eine bedrückende Wärme von ihr aus, als habe sie in dieses atemlos geflüsterte, aufregende Wort heimlich ihr Herz gelegt und wolle es mir darreichen. Dann warf sie plötzlich ihre Serviette auf den Tisch, entschuldigte sich und ging ins Haus. Miss Baker und ich wechselten einen kurzen geflissentlich nichtssagenden Blick. Ich wollte gerade sprechen, da machte sie warnend »Sst!« und richtete sich gespannt auf. Von drinnen hörte man jemand gedämpft und mit unterdrückter Erregung sprechen, und Miss Baker beugte sich schamlos vor, um zu lauschen. Das Gespräch wurde für einen Augenblick nahezu deutlich, sank wieder ab, um noch einmal leidenschaftlich anzuschwellen, und hörte dann ganz auf.
»Dieser Mr. Gatsby, von dem Sie sprachen, ist mein Nachbar –«, begann ich.
»Nicht sprechen, bitte. Ich möchte hören, was da vorgeht.«
»Geht da etwas vor?« fragte ich harmlos. »Soll das heißen, Sie wüßten nicht Bescheid?« Miss Baker tat ehrlich überrascht. »Ich dachte, alle Welt wüßte es.«
»Ich nicht.«
»Nun –«, sie zögerte, »Tom hat da so eine Frau in New York.«
»Eine Frau in New York?« wiederholte ich verwirrt. Miss Baker nickte.
»Sie könnte wenigstens so taktvoll sein, ihn nicht bei Tisch anzurufen. Finden Sie nicht?«
Noch ehe ich recht begriffen hatte, rauschte ein Gewand, knirschten Stiefel – Tom und Daisy waren wieder am Tisch.
»Das mußte ja kommen!« rief Daisy mit forcierter Aufgeräumtheit.
Sie setzte sich, blickte forschend Miss Baker und dann mich an und fuhr fort: »Ich mußte einen Moment hinausschauen. Es ist so romantisch draußen. Auf dem Rasen saß ein Vogel, ich glaube eine Nachtigall, die auf einem Cunard- oder White-Star-Dampfer herübergekommen ist. Sie singt in einem fort –« Und in singendem Tonfall: »Ist’s nicht romantisch, Tom?«
»Äußerst romantisch«, sagte er, und dann etwas kläglich zu mir: »Wenn’s nach Tisch noch hell genug ist, will ich dir im Stall die Pferde zeigen.«
Wieder ging drinnen das Telefon und versetzte uns einen Schock, und als Daisy unverhohlen über Tom den Kopf schüttelte, war von der Stallbesichtigung nicht mehr die Rede, ja es gab überhaupt kein Gesprächsthema mehr. Die letzten fünf Minuten bei Tisch zerbröckelten, und ich erinnere mich nur, daß völlig sinnlos die Kerzen wieder angezündet wurden und daß mich der Wunsch ankam, jedem geradezu ins Gesicht zu sehen und dann wieder alle Blicke zu vermeiden. Ich konnte nicht erkennen, was in Daisy und Tom vorging, aber ich glaube, daß selbst Miss Baker, die bis dahin eine gewisse verwegene Skepsis aufrechterhalten hatte, nicht mehr imstande war, nach außen hin den schrillen, metallischen Notruf dieses fünften Gastes zu ignorieren. Mancher hätte sich in dieser Situation vielleicht als Mitverschworener gefühlt – ich reagierte anders und hätte am liebsten sofort die Polizei angerufen. Die Pferde wurden natürlich nicht mehr erwähnt. Tom und Miss Baker schlenderten – zwei getrennte Silhouetten im Zwielicht – hinein in die Bibliothek wie zu einer Vigilie am Ruhebett einer durchaus lebendigen Schönen, während ich, leicht benommen und dennoch krampfhaft bemüht, mich aufgeräumt und interessiert zu zeigen, Daisy durch mehrere ineinandergehende Veranden rund ums Haus folgte. Wir setzten uns im tiefen Schimmer der Abendröte unter das Säulenportal nebeneinander auf eine rohrgeflochtene Bank.
Daisy legte die Hände an ihr Gesicht, als wolle sie sich fühlend seines Liebreizes vergewissern. Ihre Augen wurden allmählich größer und starrten hinaus in die samtene Dämmerung. Ich sah, wie erregt und aufgewühlt sie war, und wollte sie durch ein paar Fragen nach ihrem Töchterchen ablenken und beruhigen.
»Wir kennen uns nur sehr oberflächlich, Nick«, sagte sie plötzlich, »obwohl wir Vetter und Cousine sind. Du bist nicht auf meiner Hochzeit gewesen.«
»Da war ich noch im Krieg.«
»Richtig.« Sie zögerte. »Ich habe viel durchgemacht, Nick. Ich bin inzwischen ganz schön zynisch geworden – in allem.«
Offenbar hatte sie einigen Grund dazu. Ich wartete, aber sie sagte weiter nichts darüber. Nach einer kleinen Pause kam ich etwas zaghaft wieder auf ihr Töchterchen zurück.
»Wahrscheinlich spricht sie schon und – ißt und so weiter.«
»O ja«, sie sah mich geistesabwesend an. »Hör zu, Nick. Willst du hören, was ich sagte, als sie geboren war?«
»Ja, gern.«
»Du kannst daraus sehen, wie ich inzwischen über die Dinge denke. Sie war knapp eine Stunde auf der Welt, und Tom war Gott weiß wo. Ich wachte mit einem Gefühl unendlicher Verlassenheit aus dem Ätherrausch auf. Sogleich fragte ich die Schwester, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei. Sie sagte, es sei ein Mädchen. Da kehrte ich mein Gesicht zur Wand und weinte. ›Auch gut‹, sagte ich, ›ich will froh sein, daß es ein Mädchen ist. Hoffentlich ist sie eine Närrin – das ist noch das beste für ein Mädchen auf dieser Welt, eine entzückende kleine Närrin.‹
Du siehst, ich finde alles irgendwie gräßlich«, fuhr sie in überzeugtem Tone fort. »Und so denken wir alle – die kultiviertesten Leute. Ich weiß Bescheid. Ich bin überall gewesen, habe alles gesehen, was es gibt, und alles mitgemacht.« Ihre Augen blitzten herausfordernd, fast wie bei Tom, und sie lachte schrill und verächtlich. »Blasiert – Gott, bin ich blasiert!«
Sobald sie verstummt war und ihre Stimme mich nicht mehr fesselte und überzeugte, empfand ich, wie unaufrichtig im Grunde alles war, was sie gesagt hatte. Ich fühlte mich unbehaglich; man schien es den ganzen Abend nur darauf angelegt zu haben, eine bestätigende Reaktion von mir zu erpressen. Ich wartete – und richtig, als sie mich im nächsten Augenblick ansah, huschte ein affektiertes Lächeln über ihr hübsches Gesicht, als habe sie mir soeben erklärt, daß sie und Tom einem geradezu vornehmen und exklusiven Geheimbund angehörten.
Drinnen der karmesinrote Raum war jetzt von Licht überflutet. Tom und Miss Baker saßen je an einem Ende der langen Couch; sie las ihm aus der Saturday Evening Post vor. Ihre unbeteiligt gemurmelten