F. Scott Fitzgerald

Der große Gatsby


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an deinen Mann geben, dann kann er ’n paar Aufnahmen von ihm machen.« Einen Augenblick bewegte er stumm improvisierend die Lippen. »›George B. Wilson an der Gasolinpumpe‹ oder so ähnlich.«

      Catherine beugte sich nah zu mir und flüsterte mir ins Ohr:

      »Die beiden können ihre Ehehälften nicht ausstehen.« »Ach nein.«

      »Nicht ausstehn.« Sie blickte erst auf Myrtle und dann auf Tom. »Ich sag immer, wozu weiter mit ihnen leben, wenn sie sie doch nicht ausstehn können? Wenn ich die wäre – Scheidung verlangen und auf der Stelle einander heiraten.«

      »Liebt sie denn Wilson auch nicht?«

      Die Antwort darauf war unerwartet. Sie kam von Myrtle, die meine Frage gehört hatte, und sie war obszön und beleidigend.

      »Sehen Sie«, rief Catherine triumphierend. Dann senkte sie wieder die Stimme. »Nur seine Frau steht noch dazwischen. Sie ist katholisch, und die glauben nicht an Scheidung.«

      Daisy war nicht katholisch. Es berührte mich peinlich, daß jemand so raffiniert lügen konnte.

      »Wenn sie dann heiraten«, fuhr Catherine fort, »sollen sie für einige Zeit in den Westen, bis hier Gras drüber gewachsen ist.«

      »Es wäre vielleicht taktvoller, nach Europa zu gehen.« »Oh, lieben Sie Europa?« rief sie unvermittelt aus, »ich bin eben aus Monte Carlo zurück.«

      »So.«

      »Gerade voriges Jahr. Ich war mit einer Freundin drüben.«

      »Für länger?«

      »Nein, nur nach Monte Carlo und zurück. Wir fuhren über Marseille. Als wir losfuhren, hatten wir über zwölfhundert Dollar, aber man hat uns in zwei Tagen alles abgeluchst, in den privaten Spielsälen. Die Rückreise war kein Vergnügen, kann ich Ihnen sagen. Gott, wie ich diese Stadt gehaßt habe!«

      Für einen Augenblick stand der abendliche Himmel im Fenster wie der Azur des Mittelmeers – dann rief mich das schrille Organ von Mrs. McKee in die Wirklichkeit des Raumes zurück.

      »Fast hätte ich auch eine Dummheit gemacht«, erklärte sie nachdrücklich. »Ich hätte beinah einen kleinen Ladenschwengel geheiratet, der jahrelang hinter mir her war. Ich wußte, daß er weit unter mir stand. Alle sagten’s mir immer wieder. ›Lucille‹, sagten sie, ›dieser Mann steht weit unter dir!‹ Aber er hätt’s geschafft, wenn ich nicht Chester getroffen hätte.«

      »Ja, aber hören Sie«, sagte Myrtle Wilson, indem sie mehrmals heftig mit dem Kopf nickte, »schließlich haben Sie ihn nicht geheiratet.«

      »Natürlich nicht.«

      »Schön, aber ich«, sagte Myrtle bedeutungsvoll. »Und das ist der Unterschied zwischen Ihrem und meinem Fall.«

      »Warum eigentlich, Myrtle?« verlangte Catherine zu wissen. »Kein Mensch hat dich gezwungen.«

      Myrtle dachte nach.

      »Ich habe ihn geheiratet, weil ich ihn für einen Gentleman hielt«, sagte sie dann. »Ich dachte, er wüßte, was man einer Frau schuldig ist. Aber er taugte nicht mal, mir die Schuhsohlen zu lecken.«

      »Eine Zeitlang warst du ganz verrückt nach ihm«, sagte Catherine.

      »Ich? Verrückt nach ihm?« rief Myrtle ungläubig. »Wer sagt das? Ich war nicht verrückter nach ihm als nach – dem da.«

      Sie zeigte plötzlich auf mich, und alle sahen mich strafend an. Ich versuchte eine Miene aufzusetzen, als hätte ich das auch nicht im mindesten erwartet.

      »Ich war nur einmal verrückt – nämlich als ich ihn heiratete. Ich wußte gleich, daß es ein Fehler war. Er borgte sich für die Hochzeit bei irgend jemand einen guten Anzug, ohne mir ein Wörtchen zu sagen, und eines Tages, als er nicht da war, kam der Mann deswegen. ›Oh, der Anzug gehört Ihnen?‹ sagte ich. ›Das ist das erste, was ich höre.‹ Aber ich gab ihn ihm, und dann legte ich mich hin und heulte den ganzen Nachmittag wie ein Schloßhund.«

      »Sie sollte wirklich weg von ihm«, wandte sich Catherine wieder an mich. »Nun hausen sie schon elf Jahre über der Garage. Und Tom ist ihr erster Liebhaber.«

      Die Whiskyflasche – die zweite – machte nun unausgesetzt bei allen die Runde, außer Catherine, ›die ebensogut ohne etwas auskam‹. Tom klingelte nach dem Portier und schickte ihn nach irgendwelchen berühmten Sandwiches, mit denen man ein ganzes Abendessen bestreiten konnte. Ich strebte hinaus in die laue Dämmerung und wollte einen Spaziergang zum Park machen, aber jedesmal, wenn ich aufzubrechen versuchte, wurde ich in irgendeine wilde und laute Diskussion verwickelt und sank wie von Stricken gehalten wieder in meinen Sessel zurück. Dennoch – für einen zufälligen Beobachter irgendwo in den Straßen mußte unsere gelb erleuchtete Fensterfron einen kleinen Ausschnitt menschlichen Privatlebens bedeuten. Ich sah ihn, wie er hinaufblickte und sich verwunderte. Ich befand mich sozusagen drinnen und auch draußen, war zugleich bezaubert und abgestoßen von der unerschöpflichen Vielgestaltigkeit des Lebens.

      Myrtle rückte mit ihrem Sessel zu mir hin, und plötzlich mußte ich in einem warmen Atemstrom die Geschichte ihrer ersten Begegnung mit Tom über mich ergehen lassen.

      »Es war auf den beiden Notsitzen einander gegenüber, die immer als letzte im Zug noch frei sind. Ich fuhr nach New York zu meiner Schwester und wollte über Nacht bleiben. Er war in Smoking und Lackschuhen; ich mußte ihn immerzu ansehen, aber jedesmal, wenn er meinen Blick erwiderte, mußte ich so tun, als interessiere mich nur das Reklameplakat über seinem Kopf. Auf dem Bahnhof war er unmittelbar neben mir; seine weiße Hemdbrust drückte sich gegen meinen Arm. Deshalb drohte ich ihm mit der Polizei, aber er wußte gleich, daß ich ihm was vormachte. Als ich mit ihm in ein Taxi stieg, war ich so aufgeregt – mir kam überhaupt nicht zum Bewußtsein, daß ich nicht in meine U-Bahn gestiegen war. Nur eins ging mir wieder und wieder durch den Kopf: ›Man lebt nur einmal, man lebt nur einmal.‹«

      Sie wandte sich an Mrs. McKee, und schon hallte der Raum von ihrem affektierten Lachen wider.

      »Aber meine Liebe«, rief sie, »ich schenk Ihnen das Kleid, sobald es erledigt ist. Ich muß mir sowieso morgen ein neues kaufen. Ich muß mir überhaupt eine Liste machen, was ich alles brauche – Massage, Dauerwelle, ein Halsband für den Hund, dann so einen niedlichen kleinen Aschbecher mit Springbrunnen und einen Kranz mit schwarzer Schleife für Mutters Grab, der hält den ganzen Sommer über. Ich muß mir wirklich alles aufschreiben, sonst vergeß ich die Hälfte.«

      Es war jetzt neun Uhr – und fast unmittelbar danach blickte ich wieder auf meine Uhr und sah, daß es zehn war. Mr. McKee war mit geballten Fäusten im Schoß in einem Sessel eingeschlafen und bot wahrhaft das Bild eines Mannes der Tat. Ich nahm mein Taschentuch und wischte das Fleckchen getrockneten Seifenschaums von seiner Wange, das mich schon den ganzen Nachmittag geärgert hatte.

      Das Hündchen saß auf dem Tisch, blickte mit halberblindeten Augen durch den Zigarettennebel und gab hin und wieder ein schwaches Knurren von sich. Leute verschwanden, kamen wieder und machten Pläne, irgendwohin aufzubrechen; dann verloren sie einander aus den Augen und suchten sich, um sich kaum einen Schritt entfernt wiederzufinden. Irgendwann gegen Mitternacht standen Tom Buchanan und Mrs. Wilson hart einander gegenüber und diskutierten in leidenschaftlich erregtem Ton, ob Mrs. Wilson das Recht habe, Daisys Namen zu erwähnen.

      »Daisy! Daisy! Daisy!« brüllte Mrs. Wilson. »Ich sag’s, wenn es mir paßt! Daisy! Dai –«

      Tom Buchanan machte eine kurze zielsichere Bewegung mit der flachen Hand und brach ihr das Nasenbein.

      Dann waren auf einmal lauter blutige Handtücher im Badezimmer verstreut, keifende Weiberstimmen und – hoch über dem konfusen Lärm – ein anhaltendes ersticktes Schmerzgewimmer. Mr. McKee wachte aus seinem Schlummer auf und rannte entsetzt zur Tür. Jedoch auf halbem Wege machte er kehrt und starrte entgeistert auf die Szene – seine Frau und Catherine, schimpfend und tröstend, stolperten mit allem möglichen für Erste Hilfe in Händen zwischen den dichtgedrängten Möbeln umher, und auf der Couch die bejammernswerte Gestalt, die unter ständigen Blutströmen versuchte, eine