Johanna Spyri

Heidi


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mit“, befahl er.

      „Das brauch’ ich nicht mehr“, erklärte Heidi.

      Der Alte kehrte sich um und schaute durchdringend auf das Kind, dessen schwarze Augen glühten in Erwartung der Dinge, die da drinnen sein konnten. „Es kann ihm nicht an Verstand fehlen“, sagte er halblaut. „Warum brauchst du nichts mehr?“, setzte er laut hinzu.

      „Ich will am liebsten gehen wie die Geißen, die haben ganz leichte Beinchen.“

      „So, das kannst du, aber hol’ das Zeug, es kommt in den Kasten.“ Heidi gehorchte. Jetzt machte der Alte die Tür auf, und das Kind trat hinter ihm her in einen ziemlich großen Raum ein, es war der Umfang der ganzen Hütte. Da standen ein Tisch und ein Stuhl darin; in einer Ecke war des Großvaters Schlaflager, in einer anderen hing der große Kessel über dem Herd, und auf der anderen Seite war eine große Tür in der Wand, die machte der Großvater auf, es war der Schrank. Da hingen seine Kleider drin, und in den Fächern lagen ein paar Hemden, Strümpfe und Tücher, und auf einem Gestell befanden sich Teller, Tassen, Gläser, Brot, geräuchertes Fleisch und Käse. Heidi kam schnell heran und stieß sein Zeug hinein, so weit hinter des Großvaters Kleider wie möglich, damit es nicht so leicht wiederzufinden sei. Nun sah es sich aufmerksam um in dem Raum und sagte dann: „Wo muss ich schlafen, Großvater?“

      „Wo du willst“, gab dieser zur Antwort.

      Das war dem Heidi eben recht. Es fuhr in alle Winkel hinein. In der Ecke, vorüber an des Großvaters Lagerstätte, war eine kleine Leiter aufgerichtet; Heidi kletterte hinauf und langte auf dem Heuboden an. Da lag ein frischer, duftender Heuhaufen, und durch eine runde Luke sah man weit ins Tal hinab. „Hier will ich schlafen“, rief Heidi hinunter, „hier ist’s schön! Komm und sieh einmal, Großvater!“

      „Weiß schon“, tönte es von unten herauf.

      „Ich mache jetzt das Bett“, rief das Kind wieder, indem es oben geschäftig hin- und herfuhr; „aber du musst heraufkommen und mir ein Leintuch mitbringen, denn auf ein Bett kommt auch ein Leintuch, und darauf liegt man.“

      „So, so“, sagte unten der Großvater, und nach einer Weile ging er an den Schrank und kramte ein wenig darin herum; dann zog er unter seinen Hemden Leinenzeug und eine Wolldecke hervor.

      „Ich meine, wir könnten erst einmal etwas essen“, sagte jetzt der Großvater, „oder was meinst du?“

      Heidi hatte über dem Eifer des Bettens alles andere vergessen; nun ihm aber der Gedanke ans Essen kam, stieg ein großer Hunger in ihm auf und es sagte zustimmend: „Ja, ja, ich mein’ es auch.“

      „Wo willst du sitzen?“, fragte der Öhi. Auf dem einzigen Stuhl saß er selbst. Heidi schoss pfeilschnell zum Herd hin, brachte den kleinen Dreifuß herbei und setzte sich darauf.

      „Einen Sitz hast du wenigstens, das ist wahr, nur ein wenig tief“, sagte der Großvater; „aber von meinem Stuhl aus wärst du auch zu kurz, um auf den Tisch zu langen; jetzt musst du aber einmal etwas haben, so komm!“ Damit stand er auf und füllte das Schüsselchen mit Milch. „Gefällt dir die Milch?“, fragte er.

      „Ich habe noch gar nie so gute Milch getrunken“, antwortete das Heidi,

      „So musst du mehr haben“, und der Großvater füllte das Schüsselchen noch einmal bis oben hin und stellte es vor das Kind, das vergnüglich in sein Brot biss, nachdem es von dem weichen Käse daraufgestrichen hatte. Als nun das Essen zu Ende war, ging der Großvater in den Geißenstall hinaus und hatte da allerhand in Ordnung zu bringen, und Heidi sah ihm aufmerksam zu, wie er erst mit dem Besen säuberte, dann frische Streu legte, dass die Tierchen darauf schlafen konnten. Danach ging er in den Schuppen nebenan, wo er runde Stöcke zurechtschnitt und an einem Brett herumhobelte und Löcher hineinbohrte und dann die runden Stöcke hineinsteckte und aufstellte. Da war es auf einmal ein Stuhl wie der vom Großvater, nur viel höher, und Heidi staunte das Werk an, sprachlos vor Verwunderung.

      So kam der Abend heran. Es fing stärker an zu rauschen in den alten Tannen, ein mächtiger Wind fuhr daher und sauste und brauste durch die dichten Wipfel. Das tönte dem Heidi so schön in die Ohren und ins Herz hinein, dass es ganz fröhlich darüber wurde und unter den Tannen umherhüpfte und sprang, als hätte es eine unerhörte Freude erlebt.

      Jetzt erschallte ein schriller Pfiff. Heidi hielt an in seinen Sprüngen, der Großvater trat heraus. Von oben herunter kam es gesprungen, Geiß um Geiß, wie eine Jagd, und mitten drin der Peter. Mit einem Freudenruf schoss Heidi in das Rudel hinein und begrüßte die Freunde von heute morgen. Bei der Hütte stand alles still, und aus der Herde heraus kamen zwei schöne, schlanke Geißen, eine weiße und eine braune. Sie sprangen auf den Großvater zu und leckten seine Hände, denn er hielt ein wenig Salz darin wie jeden Abend.

      Der Peter verschwand mit seiner Schar. Heidi war ganz glücklich über die Tierchen. „Sie sind unser Großvater? Kommen sie in den Stall? Bleiben sie immer bei uns?“, so fragte das Heidi hintereinander in seinem Vergnügen, der Großvater konnte kaum sein stetiges: »Ja, ja!“ zwischen die eine und die andere Frage hineinbringen.

      „Wie heißen sie, Großvater, wie heißen sie?“, wollte das Kind nun wissen.

      „Die weiße heißt Schwänli und die braune Bärli“, gab der Großvater zurück.

      „Gut’ Nacht, Schwänli, gut’ Nacht, Bärli!“ rief Heidi, denn eben verschwanden beide in den Stall hinein. Nun setzte sich Heidi noch auf die Bank und aß sein Brot und trank seine Milch; aber der starke Wind wehte es fast von seinem Sitz herunter. So machte es schnell fertig, ging dann hinein und stieg zu seinem Bett hinauf, in dem es auch gleich nachher so fest und herrlich schlief.

      Nicht lange nachher, noch ehe es völlig dunkel war, legte auch der Großvater sich auf sein Lager, denn am Morgen war er immer schon mit der Sonne wieder draußen, und die kam sehr früh über die Berge hereingestiegen in dieser Sommerzeit. Mitten in der Nacht stand der Großvater auf und stieg die Leiter hinauf und trat an Heidis Bett heran. Jetzt kam der Mondschein eben leuchtend durch die runde Öffnung herein und fiel gerade auf Heidis Lager. Es hatte sich feuerrote Backen erschlafen unter seiner schweren Decke, und ganz ruhig und friedlich lag es auf seinem runden Ärmchen und träumte von etwas Erfreulichem, denn sein Gesichtchen sah ganz wohlgemut aus.

      Heidi erwachte am frühen Morgen. Es schaute erstaunt um sich und wusste durchaus nicht, wo es war. Aber nun hörte es draußen des Großvaters tiefe Stimme, und jetzt kam ihm alles in den Sinn: woher es gekommen war, und dass es nun auf der Alm beim Großvater war. So war es sehr froh, als es sich erinnerte, wie viel Neues es gestern gesehen hatte, und was es heute wieder alles sehen könnte, vor allem das Schwänli und das Bärli. Heidi sprang eilig aus seinem Bett und hatte in wenig Minuten alles wieder angezogen, was es gestern getragen hatte. Nun stieg es die Leiter hinunter und sprang vor die Hütte hinaus. Da stand schon der Geißenpeter mit seiner Schar, und der Großvater brachte eben Schwänli und Bärli aus dem Stall herbei, dass sie sich der Gesellschaft anschlössen. Heidi lief ihm entgegen, um ihm und den Geißen guten Tag zu sagen.

      „Willst du mit auf die Weide?“, fragte der Großvater. Das war dem Heidi eben recht, es hüpfte hoch auf vor Freuden. „Aber erst waschen und sauber sein, sonst lacht einen die Sonne aus, wenn sie so schön glänzt da droben und sieht, dass du schwarz bist; sieh, dort ist’s für dich gerichtet.“ Der Großvater zeigte auf einen großen Zuber voll Wasser, der vor der Tür in der Sonne stand. Heidi sprang hin und plantschte und rieb, bis es ganz sauber war.

      Unterdessen ging der Großvater in die Hütte hinein und rief dem Peter zu: „Komm hierher, Geißengeneral, und bring deinen Habersack mit!“ Verwundert folgte Peter dem Ruf und streckte sein Säcklein hin, in dem er sein mageres Mittagessen bei sich trug. „Mach’ auf!“ befahl der Alte und steckte nun ein großes Stück Brot und ein ebenso großes Stück Käse hinein. Der Peter machte vor Erstaunen seine runden Augen weit auf, denn die Stücke waren wohl noch einmal so groß wie die zwei, die er als sein eigenes Mittagsmahl drinnen hatte. »So, nun kommt noch das Schüsselchen hinein“, fuhr der Öhi fort, »denn das Kind kann nicht trinken wie du, nur so von der Geiß weg, es kennt das nicht.