Sebastian 23

Cogito, ergo dumm


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bei Goddard. Dieser wäre bestimmt erfreut gewesen, allerdings war er leider schon 24 Jahre tot.

      Noch weniger Fortschrittsglauben als die damalige New York Times hatte Charles Duell, ein amerikanischer Patentamtsleiter. Er schrieb: »Alles, was erfunden werden kann, ist bereits erfunden worden.« Das wäre auch heute noch eine sehr schräge Aussage. Duell äußerte sie aber schon 1899. Die Erfindung des Flugzeugs kurze Zeit später dürfte ihn also doppelt überrascht haben. Vielleicht dachte er aber auch, dass es das Flugzeug schon seit Längerem gäbe. Am Rande bemerkt: Eine ähnliche Annahme muss den 45. Präsidenten der USA, Donald Trump, dazu gebracht haben, noch 2019 zu behaupten, das amerikanischen Militär habe während des Unabhängigkeitskriegs 1775 zahlreiche englische Flughäfen erobert. Vielleicht hatte ihm niemand gesagt, dass Roger Bacon leider nicht weiterforschen durfte und es darum nicht schon seit 750 Jahren das Flugzeug gibt.

      Charles Duell war übrigens in bester Gesellschaft. Der renommierte Münchener Physikprofessor Philipp von Jolly, der mithilfe einer Bleikugel die Richtigkeit der newtonschen Gravitationsgesetze experimentell nachweisen konnte, wäre ein anderes gutes Beispiel. Noch deutlich besser kennt man ihn nämlich, weil er im Jahr 1874 einem potenziellen Studenten abriet, sich der theoretischen Physik zu widmen. Denn, so der Professor, da gäbe es kaum noch etwas Neues zu entdecken.

      Dieser Student, ein gewisser Max Planck, machte es wie die Bleikugel und ließ sich nicht bremsen. Diesem wissenschaftlichen Ungehorsam verdanken wir so bedeutsame Dinge wie das plancksche Strahlungsgesetz, mit dem wir zum Beispiel kalkulieren können, wie viele Sonnenstrahlen die Erdatmosphäre aufnimmt und wie viele sie wieder in den Weltraum abstrahlt. Keine ganz unwichtige Frage, wenn man beispielsweise den Klimawandel berechnen will. Und wie kam Planck auf sein Strahlungsgesetz? Nun, indem er die Pfade der traditionellen Physik verließ und Energie nicht mehr als unendlich teilbar betrachtete. Stattdessen ging er davon aus, dass Strahlung in kleinen Paketen abgegeben werde, die er Quanten nannte. Dieser Bruch mit der Tradition ist insofern ganz spannend, als niemand so genau wusste, was das bedeuten sollte. Auch Planck konnte sein Konzept angeblich nicht genau erklären. Aber seine Theorie passte mit den beobachteten Daten überein. Erst als Albert Einstein Plancks Ideen ernst nahm und auf ihrer Basis bewies, dass Lichtstrahlen auch aus solchen Energiepaketen bestehen, den sogenannten Photonen, wurde die ganze Bandbreite der Entdeckung langsam deutlich.

      Die Physik der Quanten ist eine wunderbare Übung, um sich den Kopf zu zerbrechen. Dazu muss man nicht mal ihre anspruchsvolle mathematische Basis in Betracht ziehen. Es reicht, zu bedenken, dass Licht gleichzeitig ein Teilchen und eine Welle ist. Als Teilchen ist es klar im Raum zu verorten, als Welle ist es im Raum »verschmiert« – beides gleichzeitig. So läuft das eben bei den Quanten, in dem Fall bei den Photonen. Und wenn man sich dann noch kurz die sogenannte heisenbergsche Unschärferelation vor Augen führt, wird es richtig knusprig. Die besagt nämlich, dass man von einem Quantum nur den Impuls oder den Ort genau wissen kann, niemals beides. Denn Quantenobjekte sind quasi ungefähr. Wenn man versucht, sie festzulegen, zerstört man damit Teile ihrer Information. Das klingt so, als würde man sagen, dass man von einem Auto wissen kann, wo es ist oder wie schnell es ist, aber es ist völlig ausgeschlossen, jemals beides zu erfahren. Denn wenn man den Ort bestimmt, kann man das zwar, aber man verzerrt durch eben diese Beobachtung die Geschwindigkeit.

      Im Jahr 1935 schlug Erwin Schrödinger in seinem Aufsatz »Die gegenwärtige Situation in der Quantenmechanik« ein Gedankenexperiment vor, um Quantenmechanik für den Otto Normalverbraucher begreiflicher zu machen. Dazu solle man eine Katze mit einem instabilen Atomkern, einem Geigerzähler und etwas Giftgas in eine Stahlkammer sperren. Ein ganz normaler Vorgang so weit. Da nicht vorherzusagen ist, wann genau der Atomkern sein Strahlungsquant freigibt und damit einen Mechanismus auslöst, der die Katze tötet, gilt: Bis jemand in die Kammer schaut, ist die Katze sowohl tot als auch lebendig. Was Schrödinger hier durch Übertragung in die makroskopische Welt veranschaulicht, ist der Umstand, dass quantenmechanische Messungen keine exakten, wiederholbaren Ergebnisse liefern, sondern immer verschiedene Werte aus einem ganzen Wertebereich. Eine Vorhersage scheint ausgeschlossen, was eines der größten ungelösten Probleme der Physik darstellt. Wobei Schrödinger betont, die Sache mit der Katze sei »verwaschen« und daher könnten wir sie in naiver Weise nicht gelten lassen. Im Atombereich ist ihm die Unbestimmtheit nichts Widerspruchsvolles: »Es ist ein Unterschied zwischen einer verwackelten oder unscharf eingestellten Fotografie und einer Aufnahme von Wolken und Nebelschwaden.« Schrödinger erhielt in der Folge – nicht nur deswegen – einen Nobelpreis für Physik und hoffentlich ein Hausverbot im Tierheim.

      Ich weiß ja nicht, ob Ihr Gehirn das verstehen möchte, meins klinkt sich da regelmäßig aus und spielt bei näherer Nachfrage aus Trotz nur noch die Titelmelodie der Serie Alf. Ich schreibe hier so beiläufig über die Rätselhaftigkeit der Quantentheorie, als ginge es darum, einen hängen gebliebenen Computer aus- und wieder anzuschalten – und wenn er wieder funktioniert, braucht man nicht zu verstehen, was da vor sich ging. Aber das Fragezeichen, auf das Max Planck da stieß, hat bis heute neben zahlreichen Antworten auch immer neue Fragezeichen aufgeworfen. Teilweise, so scheint es, sind diese Fragezeichen gekommen, um zu bleiben. Die Situation prä-Planck beschreibt (der ansonsten sehr unsympathische) John Searle als Aufklärungsoptimismus, den er so erklärt: »Von den wissenschaftlichen Revolutionen des siebzehnten Jahrhunderts bis in die ersten Jahrzehnte des zwanzigsten war es einem gebildeten Menschen möglich zu glauben, er könne zu Kenntnis und Verständnis darüber gelangen, wie das Universum im Wesentlichen funktioniert.« Ab den Anfängen des 20. Jahrhunderts ging das eben nicht mehr.

      Aber ich bin diesbezüglich nicht weiter verunsichert. Zwar ist Alf eine wirklich alberne Serie, aber ich mag sie, zumal Alf klare Verhältnisse hätte schaffen können, weil er Schrödingers Katze einfach gegessen hätte. Mein Unverständnis für die Welt der Quanten ist nicht überraschend, wenn man Nobelpreisträger und Quantenphysiker Richard Feynman glauben darf, der einst sagte: »Ich glaube, mit Sicherheit sagen zu können, dass niemand die Quantenmechanik versteht.« Das mag erstaunlich klingen, denn wenn es jemand wie Feynman nicht versteht, dann wohl auch niemand anderes. Sind wir alle dumm? Aber nein, haben Sie keine Sorge: »Quantenphysik ist ein extrem erfolgreicher Beweis für die Leistungsfähigkeit unseres Denkens – und dafür, dass wir unseren Alltag mit diesem Denken so gut wie nicht verstehen«, sagt dazu der Philosophieprofessor Gert Scobel. Wir sind also nicht dumm, sondern bloß so klug, dass wir es selbst nicht verstehen können. Beruhigend, oder?

      Ich gebe zu, dass ich das an der Stelle der Fortschrittskritiker Charles Duell und Philipp von Jolly auch nicht hätte kommen sehen. Rückblickend lässt sich natürlich immer klug daherreden. Der sprichwörtliche Captain Hindsight hat es leicht und lacht gerne mal über die Narreteien der Vergangenheit. Denken wir nur daran, wie Bill Gates einst sagte: »Das Internet setzt sich nicht durch.« Und, kaum weniger lustig: »512 Kilobyte reichen für alle Daten eines Menschen«. 512 Kilobyte reichen nicht mal für die MP3 eines Scooter-Songs. Das ist also vielleicht ein bisschen zu klein, dieses Daten-Quantum. Zum Glück weiß man nicht so genau, wo es ist. Und wie schnell.

      Eine schöne Folge hatte übrigens die Quantentheorie für Niels Bohr. Er erhielt 1922 den Nobelpreis für seine Forschungen zur Struktur von Atomen, in die er als erster Erkenntnisse aus der Quantenmechanik einbringen konnte. Heute wird das Bohrsche Atommodell von 1913 nach wie vor an Schulen unterrichtet, wenn auch nur der Einfachheit halber. Was nun aber geschah mit Niels Bohr nach seinem Gewinn? Nun, er wurde in seiner Heimat Dänemark noch mehr verehrt als zuvor, und als Zeichen der Anerkennung legte die Carlsberg-Brauerei kostenlos eine Leitung direkt in sein Haus. Ja, richtig. Für seinen Nobelpreis erhielt Bohr lebenslänglich Freibier.

      Auf mich wirkt das ja fast so, als wollte man einen allzu intelligenten Forscher wie Niels Bohr ein bisschen rückverdummen. Andererseits gibt es ja durchaus die Theorie, dass ein kleiner Schwips die Kreativität anregt. George Orwell ging noch weiter und formulierte einmal, ein Vollrausch sei wie ein Kurzurlaub. Die Theorie, dass Bohr aufgrund des Freibiers geistig flexibler und kreativer blieb als seine Kollegen Einstein und Planck, halte ich jedoch für ein bisschen weit hergeholt. Obwohl, oder gerade weil sie bei mir einen mittelmilden Bierdurst auslöst.

      Aber nicht nur die Leute, die gegen Technik sind, stellen sich manchmal erstaunlich dumm an. Oft genug verhält es sich genau umgekehrt, und es ist der blinde oder zumindest kurzsichtige