Sebastian 23

Cogito, ergo dumm


Скачать книгу

Wasserstoff zu befüllen oder die Titanic für unsinkbar zu halten. Wobei manchen Leuten offenbar auch im Rückblick noch nicht klar war, was genau mit der Titanic passiert ist. Und ich meine jetzt nicht die Leute, die sich bis heute im Internet darüber streiten, ob im gleichnamigen Kinofilm die Tür nicht doch groß genug gewesen wäre für Leonardo DiCaprio und Kate Winslet.

      Ich meine den realen Untergang und einen gewissen William Smith, der damals nicht der Prince von Bel Air war, sondern als Senator den Regierungsausschuss zur Untersuchung der Titanic-Katastrophe leitete. Er sorgte damals in der Presse für einiges Aufsehen, als er öffentlich die Frage stellte: »Warum retteten sich die Passagiere nicht in den wasserdichten Teil des Schiffes, um zu überleben?« Das erinnert mich ein bisschen an mich selbst in der Schulzeit, wenn ich mal wieder die Lektüre nicht gelesen hatte und versuchte, meine komplette Ahnungslosigkeit durch kreative Fragen zu überspielen. Allerdings mit dem Unterschied, dass ich auch als pubertärer Faulpelz schon wusste, wie ein Schiff funktioniert.

      William Smith blieb lange das spektakulärste Beispiel dafür, wie man Regierungsausschüsse leiten kann, ohne die Spur einer Ahnung zu haben. Mindestens bis im April 2018 ein ebensolcher Ausschuss den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg befragte und es sich in weiten Teilen so anhörte, als würde Zuckerberg den Mitgliedern des Ausschusses erst mal das Internet erklären müssen. Die einzige Frage, die dabei nicht gestellt wurde: »Warum retteten sich die Facebook-Nutzer, deren Daten von Cambridge Analytica abgeschöpft wurden, denn nicht in den wasserdichten Teil des Internets?«

      Ob es auch zu dem folgenden Vorgang einen Regierungsausschuss gab, ist mir nicht bekannt, aber wasserdicht war der Plan dahinter sicher nicht. Im Jahr 1962 kam die NASA-Sonde Marine 1 vom Kurs ab und wurde zerstört. Der Grund war, dass jemand bei der Berechnung der Flugbahn einen Bindestrich falsch gesetzt hatte. Der Kostenpunkt für diesen kleinen Flüchtigkeitsfehler: 18,5 Millionen Dollar. Diese Anekdote habe ich übrigens nur deswegen im Buch, weil ich mir sicher bin, dass sie meiner Lektorin gefallen wird.

      Spaß beiseite, vierzig Jahre später, um die Jahrtausendwende, sagte sich die NASA: Wir haben schon lange nicht mehr durch einen falsch gesetzten Bindestrich zig Millionen Dollar in den Sand gesetzt. Jemand wandte ein, dass es vielleicht nicht besonders clever wäre, diesen Fehler einfach zu wiederholen. Das sahen die Offiziellen ein und gingen darum diesmal subtiler vor, wenn auch nicht weniger dumm. So beauftragte die NASA, um Geld zu sparen, ein Privatunternehmen mit der Herstellung einer Raumsonde, die zum Mars fliegen sollte. Im Gegensatz zur NASA nutzte man beim Subunternehmer allerdings nicht das metrische System. Und bei der Übertragung der Daten wurde der Fehler nicht bemerkt. Die Sonde stürzte also nach Hunderten von Millionen Kilometern ungebremst auf die Marsoberfläche. Mit ihr knallten über hundert Millionen Dollar und jahrelange Entwicklungsarbeit in den roten Staub. Immerhin war diesmal nicht nur ein Bindestrich schuld.

      Doch warum zu den Sternen schweifen, wenn das Dumme liegt so nah? Auch beim Versuch, die Welt zu retten, kann man sich dumm anstellen. So fand 1990 am Earth Day im New Yorker Central Park eine Großveranstaltung von Umweltaktivist*innen statt. Dort erschienen erfreulicherweise Hunderttausende von Menschen, um ihre Unterstützung für den Umweltschutz auszudrücken. Nicht ganz so erfreulich ist, dass sie den Park regelrecht mit Müll fluteten: Insgesamt 1543 Tonnen Müll mussten nachher aus dem Park entsorgt werden.

      Der Zweck, etwas Gutes für die Umwelt zu machen, sollte nicht mit dem Mittel der Umweltzerstörung verfolgt werden. Klingt banal, ist aber scheinbar schwieriger zu befolgen, als man denkt. Den Fehler machte man zum Beispiel auch ein paar Jahre später im Vorfeld des Besuches des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton im Braulio Carrillo Nationalpark in Costa Rica. Clinton war angereist, um über Umweltschutz zu sprechen. Leider benötigte er zu der Zeit Krücken, und so beschloss sein Team, eine 120 Meter lange Schneise mitten in den Urwald hinein zu schlagen und zu asphaltieren, damit der US-Präsident gut laufen konnte. Man könnte spitzfindig anmerken, dass diese Aktion nicht nur den Boden des Regenwaldes untergraben hat, sondern auch die Glaubwürdigkeit von Clintons Rede.

      Aber nicht nur beim Versuch, die Umwelt zu schützen, stellen sich Menschen dumm an. Am 22. April 2009 sagte die amerikanische Abgeordnete Michele Bachmann am Earth Day im US-Repräsentantenhaus, dass Kohlendioxid nichts Schädliches sei, sondern immer nur negativ dargestellt werde. Sie übersah dabei die Tatsache, dass der gegenwärtige Überschuss an CO2 für den Klimawandel verantwortlich ist und potenziell den Planeten unbewohnbar machen könnte. Vielleicht besitzt Frau Bachmann ja ein Ferienhaus auf dem Mars. Oder sie folgte nur einem berühmten Vorbild, nämlich dem ehemaligen US-Vizepräsidenten Dan Quayle. Dieser sagte einst den berüchtigten Satz: »Nicht die Umweltverschmutzung schädigt die Umwelt, sondern die Verunreinigungen in Luft und Wasser.« Na dann. Zumindest aber ist es die lustigste Aussage, seit US-Präsident Calvin Coolidge sagte: »Wenn immer mehr Menschen ihre Arbeit verlieren, resultiert daraus die Arbeitslosigkeit.« Man darf sich wundern, warum manche US-Präsidenten den Nobelpreis gekriegt haben, andere jedoch nicht.

      Dabei ist unser Umgang mit der Umwelt und den Ressourcen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die zentrale Dummheit unseres Zeitalters. Dass wir gegenwärtig einen Klimawandel erleben und dass dieser durch die Menschheit verursacht wurde und wird, darin sind sich Wissenschaftler*innen erstaunlich einig. Es gab in den letzten Jahren zwei große Studien zu dem Thema, beide kamen zum Ergebnis, dass rund 97 Prozent der Klimaforscher*innen den Menschen als Ursache für den derzeitigen Klimawandel sehen. Das zentrale Gegenargument ist, es habe schon immer Schwankungen im Klima gegeben, auch in der vorindustriellen Zeit. Jedoch konnten Schweizer Forscher*innen im Juli 2019 nachweisen, dass es diese Schwankungen zwar tatsächlich gab, es sich aber um lokale Phänomene gehandelt habe. Der aktuelle Klimawandel hingegen betreffe den gesamten Planeten und unterscheide sich damit klar von vorigen, natürlich vorkommenden Vorgängen.

      Es darf in Anbetracht dieser überwältigenden Einigkeit vermutlich als dumm gelten, den menschengemachten Klimawandel zu leugnen. Es ist zudem ganz sicher dumm, hierfür ins Feld zu führen, dass man durch diese Leugnung wie Galilei sei, weil man sich gegen den Konsens stelle. Denn genau das machen viele Personen, die Zweifel hegen am menschengemachten Klimawandel. Der Unterschied ist halt, dass Galilei – und mehr noch Roger Bacon – wissenschaftliches Denken einforderte und sich damit gegen einen Konsens stellte, der auf reinem Glauben basierte. Wer nun hingeht und aus reinem Glauben die Ergebnisse der Wissenschaft anzweifelt, verkehrt die Vorzeichen und nimmt Galilei als Argument, um Galileis Errungenschaften rückgängig zu machen.

      Ganz am Rande sei bemerkt, dass der Einfluss des Menschen auf die Umwelt keinesfalls neu ist. Schon vor fast 200 Jahren kreideten die ersten Denker, zum Beispiel Alexander von Humboldt, die Umwelt- und Luftverschmutzung durch den Menschen an, und vor mehr als hundert Jahren wurde in der Öffentlichkeit diskutiert, dass die Industrie CO2 ausstieß und damit das Klima veränderte.

      Der schwedische Forscher Svante Arrhenius stellte bereits 1896 Überlegungen an, wie die Konzentration bestimmter Gase in der Atmosphäre dazu beitrage, diese zu erwärmen. Der amerikanische Journalist Francis Molena griff diesen Gedanken auf und schrieb 1912 in der Zeitschrift Popular Mechanic darüber, wie die jährliche Verbrennung von Millionen Tonnen von Kohle dazu führen würde, dass sich in ferner Zukunft das Klima verändern würde. Allerdings war Molena ein bisschen optimistischer, als man es heute allgemein ist. Er begeisterte sich für die Errungenschaften des menschlichen Denkens, insbesondere des amerikanischen Gehirns, das er für fortschrittlicher und mutiger hielt als alle anderen Gehirne auf der Welt. Das Gehirn habe Maschinen geschaffen, die über den Wolken flögen, schneller als der Wind seien, die Kraft von hundert Menschen hätten und die durch ihre Verbrennungsmotoren und Abgase ganz nebenher die gesamte Welt veränderten. Denn durch den Wandel des Klimas könnten »zukünftige Generationen wärmere Winde genießen und unter sonnigeren Himmeln leben«. Das hat leider nicht ganz so gut geklappt, trotz der Tatsache, dass Molena all diese Dinge immerhin mit einem amerikanischen Gehirn vorhergesagt hat.

      Doch auch eher zeitgenössischen Wissenschaftler*innen kam leider viel zu lange etwas dazwischen, wenn es um das Thema Klimawandel ging. So sagte der Forscher James Black bereits 1977 mit erschreckender Präzision den Verlauf des CO2-Ausstoßes der Menschheit und die resultierenden Folgen für das Weltklima voraus – vor 42 Jahren. Das Problem daran war Blacks Arbeitgeber, denn dabei handelte es sich um den Ölkonzern Exxon.