Sebastian 23

Cogito, ergo dumm


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dieser Name wirkte gründlich, denn die Expedition von Gil Eanes war bereits der fünfzehnte Versuch der Portugiesen binnen zwölf Jahren. Doch die Angst vor diesem Ende der Welt trieb alle anderen Kapitäne wieder in Richtung Heimat. Gil Eanes’ Mut war jedoch der erste Schritt für die Entdeckung der Seeroute ostwärts nach Indien und damit ein zentraler Grundstein für die europäische Expansion. Über die Frage, ob die Europäer es nicht besser gemacht hätten wie die Chinesen und »zu Hause geblieben« wären, ist es müßig zu streiten. Aber der Welt wäre viel Leid erspart geblieben.

      In der frühen Neuzeit stellte sich nicht nur heraus, dass die Erde eine Kugel war, sondern auch ihre Position im Universum wurde im wahrsten Wortsinn verrückt. Es war der 21. Juni 1633, als Galileo Galilei öffentlich bekannte, dass er nicht mehr daran glaube, die Erde drehe sich um die Sonne, wie Kopernikus sagte. Er sagte, das sei alles ein grobes Missverständnis, er habe sich vertan, dies, das, die katholische Kirche habe selbstverständlich recht und man könne den Scheiterhaufen jetzt wieder ausmachen. Natürlich stehe die Erde still und die Sonne umkreise sie. Die Welt sei der Mittelpunkt der Welt und der Papst habe den schönsten roten Hut mit Goldkante. Wegen dieses Zugeständnisses verurteilte man Galileo »nur« zu lebenslangem Hausarrest. Womit man gewiss nicht die Erde zum Stillstand brachte, aber immerhin einen genialen Denker und Künstler.

      Wir haben natürlich im Nachhinein immer leicht reden. Für die Menschen ihrer Zeit müssen Roger Bacon, Kopernikus und Galilei gewirkt haben wie Verrückte, denn ihre Ideen waren komplett anders als alles, was alle anderen sagten. Und anders als im heutigen Wissenschaftsbetrieb war es eben keinesfalls üblich, den gängigen Lehrmeinungen auch mal zu widersprechen und neue Lösungen für Probleme zu suchen. Erst Jahre, Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte später wurde dem Großteil der Menschheit klar, was da jeweils passiert ist. Und plötzlich wurden die gerade noch verrückten Ideen außerordentlich wertvoll. »Wir wissen, dass es die Natur des Genies ist, Idioten zwanzig Jahre später mit Ideen zu versorgen«, hat Louis Aragon dazu einmal geschrieben.

      Aber glauben Sie nicht, dass es heute keine Zweifler am kopernikanischen Weltbild gibt, denn die gibt es reichlich. Und da kursieren noch ganz andere Weltbilder. Im Internet sehr beliebt sind die sogenannten Flat-Earther. Wenn man diese nicht kennt, ist man vermutlich überrascht, dass es sie gibt. Denn das sind Leute, die fest überzeugt sind, dass die Erde eine Scheibe ist. Für Flat-Earther spielt es keine Rolle, dass sich die Erdrotation mittlerweile experimentell nachweisen lässt, etwa mit einem foucaultschen Pendel. Oder, crazy genug, dass man einen gekrümmten Horizont sieht, wenn man aus einem Flugzeugfenster schaut oder gar aus dem Weltraum auf die Erde hinabblickt. Mittlerweile wissen wir im Gegensatz zu den mittelalterlichen Westeuropäern, dass die Erde nicht hinter dem Kap der Angst endet. Das alles jedoch bringt einen Flat-Earther nicht aus der Ruhe.

      In einem der bekanntesten Filmbeiträge über Flat-Earther sieht man den Wissenschaftler Jeran Campanella, der seine These, die Erde sei eine Scheibe, mit einem einfachen Experiment beweisen will. Er stellt in einer Entfernung einen Laser auf und einen Empfänger, bei dem der Laserstrahl ankommen soll, wenn denn die Erde eine Scheibe ist. Der Gedanke dahinter ist, dass der Laserstrahl ja ganz gerade fliegt und daher in einer Ebene immer gleichweit vom Boden entfernt unterwegs sein müsste. Bis zum Ende der Welt. Und darüber hinaus.

      Das Experiment verlief jedoch anders, als Campanella erwartet hat – der Laser verfehlte sein Ziel. Kein Grund für den selbst ernannten Wissenschaftler, nun aufzugeben und einzugestehen, dass seine Theorie von der Scheibenform der Erde falsch war. Obwohl er in Gegenwart eines Kamerateams den Beweis dagegen erbracht hatte. Nein, nun erklärte er plötzlich, es habe sich um einen Messfehler gehandelt. Dieses Phänomen nennt man kognitive Dissonanz, wir werden im Kapitel Aber: Glaube noch ausführlich darauf zu sprechen kommen. Erstaunlicherweise gibt übrigens immer noch Menschen, die finden, dass dieses Resultat und Campanellas Aussagen dazu zu seiner Glaubwürdigkeit beitragen. Uff.

      Doch nicht nur in der Geografie, auch in der Biologie dauert es manchmal etwas länger, bis sich neue Erkenntnisse flächendeckend durchgesetzt haben. So erklärt Herman Melville in seinem berühmten Buch Moby-Dick äußerst ausführlich, warum Wale Fische sind. Seine Erläuterungen schrieb er jedoch rund hundert Jahre, nachdem Wale als Säugetiere eingestuft wurden. Fairerweise muss man sagen, dass manche Wale auf den ersten Blick eine gewisse Ähnlichkeit mit Fischen aufweisen, das kann man schon mal falsch zuordnen. Ich persönlich halte zum Beispiel bis heute Gras für die Haare der Erde und Hügel für die Ponys der Berge.

      Jemand, der sich mit Tierarten noch etwas besser auskannte als Melville und ich, war Jean-Baptiste Pierre Antoine de Monet, Chevalier de Lamarck. Er lebte von 1744 bis 1829 und verbrachte geschätzte 50 Prozent seiner Lebenszeit damit, sich mit seinem Namen vorzustellen. Die restliche Zeit nutzte er noch besser, denn er verfasste enorm wichtige Beiträge zur Zoologie und Biologie. So war er beispielsweise der Erste, der eine ausformulierte Evolutionstheorie vorlegte. Was spielt es da groß für eine Rolle, dass diese auf mittlerweile verworfenen Annahmen beruhte?

      Lamarck ging davon aus, dass die Evolution auf der Vererbung von erworbenen Fähigkeiten beruht. Überspitzt formuliert: Wenn eine Giraffe sich besonders lang streckt und ihr Hals dadurch über die Jahre länger wird, dann kriegt sie auch Kinder mit längerem Hals. Bevor Sie jetzt anfangen, an Ihrem Hals zu zuppeln oder andere Körperteile zurechtzuformen, die Sie bei Ihren Nachkommen verbessert sehen wollen: Ganz so einfach funktioniert das leider nicht. Charles Darwin, der alte Spielverderber, hat herausgefunden, dass der Prozess über Variation und natürliche Selektion funktioniert. Dann ist er auch noch hingegangen und hat zwanzig Jahre lang Beweise für diese Theorie zusammengetragen. Ein bisschen unfair war das schon, denn Lamarck konnte sich nicht mehr verteidigen, er war längst tot. Und als wollten sie seinen Theorien aus einem Ödipus-Komplex heraus trotzen, ist keins seiner acht Kinder ein berühmter Biologe oder eine wichtige Zoologin geworden. Aber sein ältester Sohn war immerhin keine Giraffe.

      Was in einem Buch über Dummheit nicht fehlen darf, ist eine wirklich dumme Überleitung. Wo wir gerade von Giraffen sprachen: An welches technische Gerät erinnern Sie Hals und Kopf einer Giraffe? Richtig, natürlich an den Tonabnehmer eines Grammophons. Und damit hätten wir auch den unvermeidlichen Tagesordnungspunkt »Dumme Überleitung« abgearbeitet. Das auditive Wunderwerk namens Grammophon erfand übrigens Thomas Alpha Edison im Jahr 1877, allerdings mit einem überraschenden Hintergedanken. Seine Idee für die Nutzung des Geräts war nämlich zunächst, damit Nachrichten aufzuzeichnen und zu verschicken, damit sie jemand anderswo anhören könnte. Dazu brauchte der oder die Absender*in vermutlich nur ein Tonstudio und ein Presswerk für Vinylscheiben, und schon hatte man eine riesige runde Scheibe, die in keinen Briefumschlag passte. Daher musste man sie persönlich beim Empfänger vorbeibringen, wo das olle Ding dann auch nicht durch den Briefschlitz passte, und dann musste man klingeln.

      Und spätestens, wenn man dann voreinander stand und sich schweigend die schwarze Scheibe überreichte, dämmerte es einem vielleicht: Hier läuft ironischerweise etwas nicht rund.

      Erst Jahre später kristallisierte sich heraus, dass die Nutzung dieser Technologie zur Aufzeichnung und zum Abspielen von Musik weitaus mehr Interesse hervorrief. Aus heutiger Sicht wirkt das noch ein wenig lustiger, wenn man bedenkt, dass Edison im Prinzip die Sprachnachricht vorweggenommen hatte, die aktuell dabei ist, in weiten Teilen das klassische Telefonieren abzulösen. Heute spart man sich allerdings die Auslieferung der schwarzen Scheiben, man sitzt sich halt gegenüber und schickt sich gegenseitig Sprachnachrichten aufs Smartphone.

      Ebenso »aus Versehen« erfunden wurde im 19. Jahrhundert hitzebeständiges Gummi. Der Chemiker Charles Goodyear hatte seinerzeit nämlich eigentlich mit seiner Frau abgemacht, dass er nicht mehr experimentieren, sondern sich einen Job suchen würde. Als sie eines Tages zu früh nach Hause kam, geriet er in Panik und wollte seine Experimente versteckten. Er sah sich um, fand keine Möglichkeit und war wohl schon kurz davor, sich seinem Schicksal zu ergeben, als sein Blick auf den Ofen fiel. Das wird schon passen, dachte er und versteckte seine Experimente darin. Was er dabei nicht bemerkt hatte, war jedoch, dass der Ofen noch warm war, und so entdeckte er unabsichtlich hitzebeständiges Gummi.

      Ähnlich erging es Christian Schönbein, der ohne Absicht rauchloses Schwarzpulver erfand. Ihm waren seine Chemikalien vom Tisch gefallen, also wischte er sie mit der Schürze seiner Frau schnell weg und hängte