Sebastian 23

Cogito, ergo dumm


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ist gesund und wichtig, aber so hätte sich viel Geld sparen lassen. Allerdings wurde nach einer großen öffentlichen Debatte Abstand von diesem Plan genommen. So können die Schüler*innen in den USA heute leider nicht sagen: Ketchup ist mein Gemüse.

      Apropos Ernährung, eine kleine Anekdote am Rande: Einem belgischen Fernfahrer wurde von seinem Arzt gesagt, er ernähre sich unausgewogen und bräuchte mehr Eisen. Dass der Mann umgehend in einen Haushaltswarenladen ging und sich eine Packung Nägel kaufte und schluckte, kann man ihm da kaum vorwerfen, oder? Mit seinen inneren Verletzungen kam er sofort ins Krankenhaus. Beim nächsten Mal wird der Mann nicht noch mal was Spitzes essen, sondern lieber Löffel oder eine Pfanne. Wenn Sie einen Löffel essen wollen, sagen Sie aber bitte Uri Geller nichts davon, er liebt die Dinger.

      Deshalb lieber noch mal kurz zurück zu Ronald Reagan: Berüchtigt ist auch seine Aussage, Bäume würden mehr zur Umweltverschmutzung beitragen als Autos. Das klingt erst mal, als hätte ihn die Unfähigkeit zur Lüge nicht davon abgehalten, Unsinn zu erzählen. Und richtig, bis heute werden Witze über dieses Zitat gemacht. Allerdings, und das mag Sie jetzt erschrecken, hatte Reagan gar nicht wirklich unrecht: Bäume erzeugen zum Beispiel Ozon. Klar, das ist in Bodennähe nicht übermäßig schädlich, aber es ist da. Und sicher, Bäume filtern CO2, festigen durch ihre Wurzeln den Boden und sehen fesch aus. Aber trotzdem: Reagans Aussage ist nicht komplett aus der Luft gegriffen. Dabei hätte allen klar sein müssen, dass Ronald Reagan die Wahrheit gesagt hatte, denn, wie er einst öffentlich bekannte: »Ich bin nicht klug genug, um zu lügen.«

      Auf Dauer noch ungesünder, als sich einen Sack Nägel in den Hals zu kippen, ist Kettenrauchen. Also nicht Ketten rauchen, Kettenrauchen. Das ganze Metall-Thema war da vielleicht etwas missverständlich. Vergessen Sie das mit der Kette: Rauchen ist auch so ungesund, das weiß man spätestens, seitdem mindestens drei der Darsteller des berühmten Marlboro-Manns an den Folgen des Rauchens gestorben sind. Am 28. November 2000 veröffentlichte das Tabakunternehmen Philip Morris jedoch eine Studie, die es in Tschechien hatte durchführen lassen. Darin wurde beschrieben, dass Rauchen eine positive Auswirkung auf die Wirtschaft des Landes hat. Wenn man die Kosten zur Behandlung von rauchbedingten Krankheiten und den Steuerausfall durch früh verstorbene Raucher*innen gegen das Geld, das der Staat an Renten und Altenpflege spare, aufrechne, käme man auf eine Ersparnis von 147 Millionen Dollar, so die Studie. Da Philip Morris etwa 80 Prozent des in Tschechien gerauchten Tabaks herstellte, war man offensichtlich recht stolz auf diese Zahlen und publizierte sie flächendeckend. Es klang fast, als könnte man seinen Staat aus der Krise rauchen.

      Im Nachhinein versuchte der Firmensprecher Robert Kaplan zu beschwichtigen, es habe sich ja nur um »eine Wirtschaftsstudie, nicht mehr und nicht weniger« gehandelt. Vor allem wolle man nicht den Eindruck erwecken, die Gesellschaft könne einen Nutzen aus den Leiden ziehen, die das Rauchen verursache, erklärte er weiter. Wie stellte er sich das vor? »Hört mal, ihr spart eine Menge Geld, aber wir sagen euch das nicht, damit ihr denkt, das wäre zu eurem Vorteil!« Oder meinte er eher, dass es nicht die Gesellschaft sei, die in erster Linie am Leiden der Raucher*innen profitiere, sondern der Tabakkonzern Philip Morris. Andererseits muss dieser ja auch gefühlt alle halbe Stunde einen neuen Marlboro-Mann anheuern, das geht bestimmt auch ins Geld. Oder, wie die Schauspielerin Brooke Shields es mal auf den Punkt brachte: »Rauchen bringt dich um. Bist du tot, dann hast du einen sehr wichtigen Teil deines Lebens verloren.« Danke für den Hinweis, Brooke.

      Eine weitere Dummheit bringen die Autoren Christian Schiffer und Christian Alt in ihrem Buch mit dem reizenden Titel Angela Merkel ist Hitlers Tochter – im Land der Verschwörungstheorien elegant auf den Punkt. Oft werde man in Facebook-Gruppen mit dem Hinweis konfrontiert, die eigene Mutter habe als Kind Masern gehabt und auch überlebt: »Das Problem ist nur: Wenn die eigene Mutter als Kind an den Masern gestorben ist, gibt es keine Nachkommen, die das dann auf Facebook posten können«, so Schiffer und Alt weiter.

      Nicht nur, aber auch und insbesondere im Gesundheitsbereich wird offenbar gerne mit Beispielen aus dem persönlichen Umfeld argumentiert. Vermutlich kennt jede und jeder die Geschichte eines Kettenrauchers, der beinah hundert Jahre alt geworden wäre. Wenn er nicht mit 35 Jahren an Lungenkrebs gestorben wäre. Natürlich funktioniert das in beide Richtungen, und es ist nur sehr schwer möglich, auf dieser persönlichen Ebene etwas Argumentatives vorzubringen, ohne eben persönlich zu werden. Oder persönlich genommen zu werden. Also lassen wir mal eben unsere Mütter aus dem Spiel und auch den Cousin dritten Grades, der durch Handauflegen von seiner Oligophrenie geheilt wurde. Betrachten wir mal einen Moment ein paar Fakten.

      Nach den Plänen der Weltgesundheitsorganisation WHO sollten die Masern bis 2020 ausgerottet sein. Die Zahl der Infektionen nimmt jedoch seit einigen Jahren wieder deutlich zu, im Jahr 2018 um mehr als 30 Prozent. Und um den Ernst der Lage zu unterstreichen, der hinter dieser »Kinderkrankheit« steckt: Im Jahr 2017 allein gab es weltweit 110 000 Tote durch Masern. Dabei war man bis vor Kurzem auf einem guten Weg: Nach Schätzungen der WHO sind allein zwischen 2000 und 2017 21,1 Millionen Tote durch flächendeckende Masern-Impfungen verhindert worden, die Infektionsrate sank tatsächlich um 80 Prozent. Was ist also passiert?

      Nun, in allererster Linie veröffentlichte 1998 der Brite Andrew Wakefield in der Zeitschrift The Lancet einen Artikel, in dem er einen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und Autismus herstellt. In der Folge sank der Impfspiegel in Großbritannien massiv. Nun muss man wissen, dass Wakefield nur zwölf Kinder untersucht hatte. Erste Untersuchungen kleiner Gruppen sind in der Wissenschaft nicht unüblich, erfordern aber, bevor sie wirklich aussagekräftig sind, die Überprüfung ihrer Ergebnisse in größeren Studien. Eine Reproduktion von Wakefields Ergebnissen ist allerdings in der Folge nicht gelungen, im Gegenteil. Studien an Zigtausenden von Kindern haben keinen Zusammenhang herstellen können, ob in Kanada, Dänemark, Japan oder anderswo. Was man jedoch herausfand, war, dass Wakefield im Vorfeld der Studie Gelder von einer Gruppe Anwälte erhalten hatte, die einige der zwölf Kinder und deren Familien vertraten und eine Klage gegen den Hersteller des Impfstoffs vorbereiteten und dafür Belege benötigten, die die Studie liefern sollte. Als das ans Licht kam, wurde die Studie komplett zurückgezogen und Wakefield 2010 die Zulassung als Arzt entzogen. Er hat seine Fehler eingesehen und lebt nun zurückgezogen in einer Hütte in den schottischen Highlands, wo er Schafe züchtet.

      Ich mach nur Spaß, natürlich hat sich Wakefield nicht zurückgezogen, im Gegenteil: Er ist inzwischen eine Art Galionsfigur der Bewegung der sogenannten Impfgegner, oder, noch euphemistischer: Impfskeptiker. Zu denen gehört seit einiger Zeit auch US-Präsident Donald Trump. Wie mächtig die Bewegung nach wie vor und trotz aller Gegenbeweise ist, sieht man daran, dass Masern nach wie vor und in wachsendem Maße ein Problem sind. Ich sag das noch mal ganz langsam: Eine Studie, deren Macher bestochen wurden und deren Ergebnisse widerlegt sind, ist bis heute so einflussreich, dass sie verhindert, dass die Masern ausgerottet werden. Stattdessen sterben weiterhin zigtausend Kinder pro Jahr, darunter nicht wenige, die noch zu jung für eine Impfung waren. Allein auf der Südseeinsel Samoa, auf der lediglich 200 000 Menschen leben, starben im Herbst 2019 bei einem Masernausbruch 42 Menschen, fast alles kleine Kinder. Was für eine Katastrophe. Gerade, weil sie so vermeidbar wäre.

      Insbesondere in sozialen Netzwerken wie Facebook wird jedoch weiterhin ungebremst gegen Impfungen Stimmung gemacht; Gegenredner*innen werden niedergemacht und übel beschimpft. Obwohl das übrigens nicht so sein müsste, wie das soziale Netzwerk Pinterest vorgemacht hat. Nachdem die Plattform kritisiert wurde, weil sich dort viele Impfgegner*innen tummelten, verbot sie kurzerhand die Verbreitung solcher Inhalte. Und bevor Sie jetzt »Zensur« schreien, bedenken Sie bitte, dass die WHO die Impfgegner selbst inzwischen als weltweites Gesundheitsrisiko eingestuft hat, gemeinsam mit Dingen wie Ebola, Antibiotikaresistenzen und Luftverschmutzung. Nicht die Masern oder die Impfungen, sondern die Impfgegner*innen!

      Und ja, ich weiß und alle anderen wissen auch, dass Impfungen Nebenwirkungen haben können. Aber erstens sind diese sehr überschaubar, zweitens bestehen diese ganz sicher nicht in Autismus, und drittens würden zumindest Masernimpfungen bald nicht mehr nötig sein, ebenso wenig wie Impfungen gegen Pocken: Die Menschheit könnte diese gefährliche Krankheit nämlich vergleichsweise einfach komplett besiegen. Es gäbe sie dann nicht mehr, damit wären ironischerweise auch Impfungen überflüssig. Wenn wir uns halt nur nicht so unglaublich dumm anstellen würden. Mal am Rande gefragt, selbst