Sebastian 23

Cogito, ergo dumm


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aus der Geschichte mit.

      Analog verhält es sich mit einem der schönsten Gedanken zum Thema Diskussion: Der Gewinner jeder Debatte ist immer derjenige, der von Anfang an unrecht hatte, denn nur er ist derjenige, der etwas dazulernen kann. Man muss unrecht haben, um sich entwickeln zu können. So schreibt Aristoteles in der Nikomachischen Ethik, derjenige sei stupide, der nicht wisse, dass aus Einzelhandlungen die festen Grundhaltungen hervorgehen. Ähnlich formulierte es Albert Einstein: »Wahnsinn ist, wenn man immer wieder das Gleiche tut, aber andere Resultate erwartet.« Sie ahnen es vielleicht: Auch dieses Zitat stammt in Wirklichkeit nicht von Einstein, es wird ihm nur immer wieder zugeschrieben, in Büchern, auf Tassen, T-Shirts und Aufklebern. Wahrscheinlich gibt es irgendwo auch einen neongrünen Klodeckel mit dieser Aufschrift. Armer Einstein.

      Eine Sache noch zum antiken Griechenland. Von dort stammt nämlich auch das Wort Idiot. Ein ἰδιώτηζ (idiotes) war jedoch zunächst einfach nur die Bezeichnung für einen einfachen Bürger im Unterschied zu Vertretern der Regierung. Erst sehr viel später wurde es als Bezeichnung für Nicht-Experten verwendet, und von dort aus rutschte die Bedeutung über Ahnungsloser bis hin zum Synonym für Dummkopf oder Minderbemittelter. Spannend, wie schon hier der Bürger mit sprachlichen Mitteln zum Depp gemacht wurde, oder?

      Auch Seneca hat sich mit Dummheit befasst. Für ihn war es zum Beispiel ein Zeichen von Dummheit, wenn man seinen Reichtum nicht wie einen Sklaven behandelte, sondern sich diesem stattdessen unterwarf. Und auch diesem Motiv der Dummheit, die sich im stumpfen Streben nach Geld äußert, ist die Menschheit bis heute treu geblieben. Es folgen im Buch noch zahlreiche Beispiele, aber Sie kennen sicher auch jemanden, der schon mal etwas Dummes getan hat, weil es Profit versprach: sich selbst.

      Sind Sie der Meinung, dass das nicht stimmt? Kein Wunder: Seneca schrieb weiter, dass Weise den Sinnzusammenhang erkennen, Toren hingegen nur Meinungen haben, die übereilt gebildet sind, schwankend und ohne sicheren Erkenntnisgrund. Aber keine Sorge, Seneca hielt sich nicht für klüger als Sie: »Wenn ich mich mal an einem Narren erheitern will, dann brauche ich nicht lange zu suchen: Über mich selbst lache ich.«

      Für Lukian war ebenso klar, dass Philosophen die wahren Narren sind, da sie beständig lesen und sich den Kopf mit fremden Gedanken füllen und sich so durch ihre Gelehrsamkeit von der Vernunft abführen. Bei Lukian darf man sich aber nie sicher sein, ob er das nicht satirisch meinte. Sein Beitrag zur Dummheitsforschung ist übrigens nicht zu unterschätzen, denn Lukian ist einer der antiken Schriftsteller mit dem weitreichendsten Einfluss auf die europäische Kultur. Besonders hervorheben möchte ich aus Lukians Fanclub Erasmus von Rotterdam, der nicht nur gemeinsam mit Thomas Morus eine Werksammlung Lukians herausgab, sondern »dessen spöttischen Geist er in seinem Lob der Torheit wiederaufleben lässt«, wie die Philosophin Astrid Nettling feststellt. Das Lob der Torheit wiederum gilt bis heute nach über 500 Jahren vielen Leuten als bestes Buch über Dummheit. Aber dazu später mehr.

      Ist es nun also klug, zu erkennen, dass man dumm ist? An der Stelle springt dann die Bibel noch mal auf und ruft: »Ja!«

      Und während der Rest der Welt sich noch wundert, dass ein Buch sprechen kann, zitiert sich die Bibel selbst: »Wer auf seinen eigenen Verstand vertraut, ist ein Tor / Wer in Weisheit seinen Weg geht, der wird gerettet« (Sprüche 28,26). Denn für den Gläubigen ist in dieser Sichtweise die wahre Weisheit, sich von der Gelehrsamkeit und dem Ergründen der Welt abzuwenden und auf Gott zu vertrauen.

      Fast scheint es, als wären Sokrates und Gott hier auf einer Linie, aber so ganz stimmt das natürlich nicht. Denn Sokrates war stets bemüht, Erkenntnisse zu erlangen. Mehr noch: Seine Bereitschaft, dabei althergebrachte Traditionen infrage zu stellen, war es wohl, die ihm am Ende sein Ende bereitete, denn er galt den Athenern als Verführer der Jugend. Das Eingeständnis der eigenen Dummheit war für Sokrates ein Ausgangspunkt und nicht das Ziel. Von dort an wird losgedacht und alles infrage gestellt und nicht aufgehört, der Vorhang herabgelassen und Gott der Rest überlassen. Diese aktive Abwendung vom Streben nach neuer Erkenntnis erlangte jedoch einigen Einfluss. Denn, wie der Autor Werner van Treeck betont, für den Gläubigen verkehren sich gewissermaßen die Vorzeichen: Wissen und Erfahrung wird abgewertet, Glaube und Offenbarung wird aufgewertet.

      Dieser Verzicht auf die Nutzung des Verstands war eine Art Keimzelle für die Gleichheit aller Menschen. Vor Gott sind alle Menschen gut, solange sie halt an ihn glauben. Man musste nichts besonders machen oder können oder sagen. Das ursprüngliche Christentum war da sehr tolerant und kannte übrigens auch kaum rituelle oder andere Vorschriften. Man denke nur daran, wie Jesus es schaffte, auch mal ein Auge zuzudrücken und keinen Stein zu werfen. Doch mit fortschreitendem Dogmatismus und der wachsenden hierarchischen Struktur der römischen Kirche änderte sich das.

      Der Physiker Emil Kowalski ist der Ansicht, die in der Folge aufkommende »Behinderung der Evidenzbasierten Wissenschaft war Ursprung der Inquisition und der Verfolgung von Denkern und Forschern, die an den dogmatischen Erklärungen der Natur zweifelten«. So blieb die (westliche) Menschheit erst mal ein paar Jahrhunderte im Mittelalter stecken, bis wieder etwas Bewegung reinkam und tradierte Lehre infrage gestellt werden durfte. Bei Thomas von Aquin klang das noch vorsichtig, wenn er Neugier verurteilte, da diese zur Beschäftigung mit wenig nützlichen Dingen führe. Aber dazu mehr im Kapitel Unwissenschaft und Technik.

      Bevor wir dazu kommen, noch einmal Thomas Hobbes: In seinem Leviathan wird die oben erwähnte thrakische Magd zumindest indirekt abgewertet. Menschen mit geringen Fähigkeiten, so schreibt er, »sind gezwungen, die Unvollkommenheiten anderer Menschen zu beobachten, um vor sich selbst bestehen zu können«. Vielleicht speichern Sie sich das mal zwischen, für den nächsten Anlass, wenn Schadenfreude in Ihnen keimt, Sie im Internet über »Epic fails« lachen oder jemand wegen eines Rechtschreibfehlers zurechtweisen wollen.

      Bereits erwähnt habe ich ja auch das wohl berühmteste Buch über Dummheit, das Lob der Torheit. Geschrieben hat es Erasmus von Rotterdam, der heute vor allem auch berühmt ist als Namensgeber für ein internationales Programm, bei dem Studierende Gastsemester im Ausland verbringen und dann statt Bier ein halbes Jahr lang Cervesa trinken und herausfinden, wie es ist, in einer ganz anderen Kultur bis mittags zu schlafen und dann nicht zur Uni zu gehen. Kurz: Erasmus ist Namenspate für zigtausend Torheiten. Aber eigentlich kam er noch glimpflich davon. Leibniz war vor 350 Jahren einer der bedeutendsten Gelehrten Europas, und heute ist ein Keks nach ihm benannt. Was sagt man da? Glückwunsch? Knusper, knusper?

      In Lob der Torheit ist es jedenfalls die Torheit selbst, die die erzählende Stimme ist und sich selbst lobt. Denn, wie sie selbst sagt: »Ich pfeife nämlich auf jene Weisen, die es gleich bodenlose Dummheit und Unverschämtheit heißen, sobald sich einer selbst lobt.« Aufschlussreich ist, wie die Torheit ihre Herkunft erklärt. Sie sei nicht die Tochter des Chaos, des Orkus oder des Saturns, nein, ihr Vater sei Pluto. Und dieser Gott des Geldes beherrsche »den Krieg, den Frieden, Armeen, Räte, Gerichte, Versammlungen, Heiraten, Verträge, Bündnisse, Gesetze, Künste, Kurzweil, Arbeit – der Atem geht mir aus – kurz alles, was die Menschen im Staat und im Hause beschäftigt«. Ah, es geht doch nichts über eine subtile, frühneuzeitliche Kapitalismuskritik, finden Sie nicht auch?

      Ebenso elegant bediente sich Erasmus der antiken Mythologie, um darzulegen, was für ihn zentrale Elemente der Dummheit sind. Die Mutter der Torheit sei Neotes, die leibhaftige Jugend; gesäugt haben sie die weinselige Methe und die wilde Apädia. Ihr Gefolge sind die selbstgefällige Philautia, die schmeichelnde Kolakia, die gedächtnisschwache Lethe, die bequeme Misoponia, die freudentrunkene Hedone, die gedankenlose Anoia und die üppige Tryphe. Dazu kommen die beiden männlichen Gottheiten Kosmos, der bei keinem Gelage fehlt, und Hypnos, der Langschläfer. Mit diesem Team sieht sich die Torheit so ziemlich an der Spitze der Macht, sie nennt sich die Geberin aller Gaben. So sei es ohne Dummheit undenkbar, dass sich jemand in den Bund der Ehe begibt und Kinder geboren werden. Schließlich sei allen klar, wie gefährlich, stressig und schwierig das sei. Aber weil die Menschen eben auch dumm sind, machen sie es trotzdem.

      Aber sie gibt noch viel mehr: Der Obergott Jupiter habe gefürchtet, dass die Menschen trübselig und traurig werden könnten, darum hat er »an Trieben viel mehr verabreicht als an Vernunft, ein Pfund auf ein Lot«. Das ist etwa das 39-Fache und damit der Grund, warum die Vernunft so wenig gegen die Triebe ausrichten kann, außer