Sebastian 23

Cogito, ergo dumm


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Sozialkompetenz diskutiert. Insbesondere der amerikanische Psychologe Daniel Goleman hat 1995 mit seinem Buch Emotional Intelligence. Why It Can Matter More Than IQ das Thema einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Darin prägt er auch das Gegenmodell zum IQ, nämlich den EQ, mit dem man die Emotionale Intelligenz messen kann.

      Robert Sternberg, ebenfalls Psychologe, ging sogar noch einen Schritt weiter und entwickelte ein dreigeteiltes Konzept von Intelligenz: Analytische Intelligenz, Kreative Intelligenz, die bei ihm die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit neuen und ungewohnten Problemen ist, und Praktische Intelligenz, also die Anpassungsfähigkeit an Alltagsprobleme. Seitdem hat er sich der Erforschung und Publikation der Intelligenz und ihrer Grenzen hinter IQ und EQ gewidmet. Erfolg kann man im Leben nur haben, so seine These, wenn man eben auch Praktische und Kreative Intelligenz hat. Praktische Dummheit im Alltag ist dann vermutlich, wenn man morgens um 6:30 Uhr aufsteht, duscht, sich anzieht, Kaffee trinkt und frühstückt, zur Arbeit fährt und pünktlich um 7:59 Uhr vor der Bürotür merkt: Es ist Sonntag. Kreative Dummheit hingegen wäre es, dann seinen Kalender wegen unterlassener Hilfeleistung zu verklagen. Sie sehen, man kann auf ebenso viele Weisen dumm sein, wie man sich intelligent verhalten kann – beruhigend, oder? Die Luo würden sicher zustimmen: Um im Leben zurechtzukommen, braucht man eben mehr als nur Rieko. Und wissen Sie, wer noch zugestimmt hätte? Albert Einstein. Der hat tatsächlich mal – diesmal wirklich ehrlich – in einem Beitrag in der The Saturday Evening Post geschrieben: »Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.«

      Da wir hier im Buch einiges dumm nennen werden, möchte ich einen wichtigen Einwand von Emil Kowalski nicht unerwähnt lassen: »Es sei ausdrücklich betont, dass wir physiologisch oder sozial bedingte Mängel an Intelligenz nicht als ›dumm‹ verstehen wollen, also keine Demenz oder andere krankhafte kognitive Störungen, und auch nicht gesellschaftlich bedingte Wissensdefizite. Menschen, die wegen Verletzung, Krankheit oder Alter ihre geistige Beweglichkeit einbüßen oder unter sozial unwürdigen Verhältnissen leben, sind nicht dumm im Sinne unserer Überlegungen. Sie verdienen keinen unserer Sarkasmen, sondern Hilfe und Verständnis.«

      Ich finde das äußerst interessant, denn Kowalskis Versuch, jegliche Form von geistigem Elitarismus zu vermeiden, klingt sehr nachsichtig und umsichtig. Seine Ausnahmen von der Regel sind jedoch so umfangreich, dass am Ende so gut wie niemand mehr dumm zu nennen wäre. Ich glaube, es ist eher andersherum: Jeder Mensch ist dumm. Wir alle brauchen Hilfe. Ganz sicher nicht immer. Aber oft genug. Und nur von dieser Basis aus können wir die Dummheiten anderer Menschen betrachten und dürfen auch darüber lachen. Man kann die ganze Sache so betrachten wie Bob Fenster: »Die Intelligenz der allermeisten Menschen reicht aus, um im Leben zurechtzukommen.« Wie wichtig kann es da sein, wenn einer schneller weiß, ob ein gelbes Quadrat eine Reihe richtig vervollständigt oder ein weißer Kreis? Man sollte sich also keinesfalls schlechter fühlen, wenn man das grüne Dreieck angekreuzt hat. Oder einen anderen deswegen geringschätzen.

      Überhaupt ist es doch so: Wir denken einfach nicht immer gerne nach. Viele Leute gehen dem Denken sogar sehr aktiv aus dem Weg. Und sie nehmen einiges in Kauf, um bloß nicht ins Grübeln zu geraten. Eine Studie an der Universität von Virginia, von der Timothy Wilson 2015 in einem Beitrag für das Magazin Science berichtete, ergab, dass mehr als die Hälfte der getesteten Teilnehmer*innen sich tatsächlich lieber selbst kleine Elektroschocks verpassten, als für sechs bis elf Minuten still zu sitzen und nachzudenken. Aua. Was soll man dazu noch sagen? Ich schließe mich dem Hofnarren und Gelehrten David Faßmann an. Dieser schrieb schon 1729, wenn es Leuten an Erinnerungsfähigkeit und Urteilskraft fehle und sie dann auch noch keine Lust zum Studieren haben, werden sie zu »Stock-Narren, Ertz-Matzen und Lappen«. Manchmal vermisse ich das 18. Jahrhundert ein bisschen.

      Aber auch, wenn heute vielleicht nicht alle Stock-Narren und Ertz-Matzen sind: Dass wir alle von Zeit zu Zeit dumme Sachen machen, lässt sich schon aus logischen Gründen gar nicht bestreiten, denn so etwas zu sagen wäre selbst eine dumme Sache. Jede*r von uns ist schon mal falschrum in eine Drehtür gelaufen, hat seinen Kaffee auf dem Autodach vergessen, obwohl man mit dem Fahrrad unterwegs war, oder aus Versehen nicht verstanden, wie genau unser politisches System funktioniert. Oder ein Kühlschrank. Weiß irgendjemand hier, wie Kühlschränke genau funktionieren? Bitte aufzeigen!

      Selbst die intelligentesten Menschen machen manchmal dumme Dinge. Aber sind sie dann nicht gleichzeitig dumm und intelligent? Wie soll das möglich sein? Das liegt ganz einfach daran, dass wir Worte wie dumm oft als Beschreibung eines vermeintlich fixen Zustands verwenden: »John ist dumm.« In diesem Sinne kann man einerseits ein kognitives Defizit meinen, das sich zum Beispiel in einem deutlich unterdurchschnittlichen IQ widerspiegelt. Oder man meint, dass John chronisch unwissend ist, etwa durch mangelhafte Bildung. Diese Formen von Dummheit würde ich allgemeine Dummheit nennen und nicht statische Dummheit, denn an den meisten Einschränkungen dieser Art kann man noch etwas ändern. Ebenso kann man das Wort dumm aber auch einsetzen, um das Verhalten in einer bestimmten Situation zu beschreiben: »Als John versucht hat, sein Smartphone im Toaster aufzuladen, war das ziemlich dumm.« Und ja, bezüglich der Situation mit dem Smartphone kann man dann auch völlig zu Recht sagen, dass John dumm ist. Aber er kann im nächsten Moment schon wieder etwas sehr Intelligentes sagen und durchschimmern lassen, dass er ein Harvard-Professor ist. In diesem Sinne ist es gar nicht widersprüchlich, dass John schlau und dumm ist. Das vermeintliche Paradox rührt nur daher, dass wir in der Alltagssprache oft unpräzise sind und Ausdrücke mehrere Sachen bedeuten können. Dumm kann eben allgemein kognitiv eingeschränkt oder unwissend heißen, aber sich auch auf situative Dummheit beziehen. Diese würde ich am ehesten als Unbedachtheit klassifizieren, auch wenn das vielleicht etwas verharmlosend klingt für die Aktion, sein Smartphone im Toaster aufzuladen.

      Um etwas Dummes zu machen, muss man hinter seinen eigenen Möglichkeiten zurückbleiben – ich möchte noch einmal an die Definition des Duden erinnern –, abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten. Situative Dummheit ist nicht-angewandte Intelligenz. Und klar, wer sich lieber Elektroschocks verpassen lässt, als mal eine Weile zu grübeln, der wirkt womöglich, als befände er sich auf einem Pfad in Richtung kompletter Nicht-Anwendung. Aber auch diese Personen können ihr Verhalten ändern, aus einer kommenden Situation etwas lernen, an einer Begegnung oder einem Erlebnis oder einem sehr schmerzhaften Elektroschock reifen, und würden vielleicht schon eine Woche später beim selben Test eine andere Entscheidung treffen. Wir sind zum Glück nicht eindimensional. Es gibt sogar für Ertz-Matzen und Stock-Narren noch Hoffnung.

      Die Wissenschaftler Mats Alvesson und André Spicer schreiben völlig zu Recht, dass es zu einfach gedacht ist, wenn man Menschen, die dumme Dinge machen, einen niedrigen IQ, schlechte Erziehung oder ein verengtes Weltbild unterstellt. Auch wenn das bisweilen zutreffen mag, darf man nicht aus dem Auge verlieren, dass einige der problematischsten Dummheiten von sehr intelligenten Menschen gemacht werden. Das liegt auch daran, dass wir dazu neigen, die allgemeine und die situative Verwendung von intelligent oder dumm zu verwechseln. Denn wenn wir vergessen, dass auch Expert*innen sich gelegentlich sehr dumm anstellen, dann überlassen wir ihnen womöglich zu viel Verantwortung.

      Noch mal anders beschreibt es Robert Musil in seinem Vortrag »Über die Dummheit« von 1937. Nachdem er sich lange durch die scheinbar paradoxen Verwendungen des Wortes Dummheit manövriert hat, unterscheidet er zwischen der einfachen und schlichten Dummheit, die er lange Leitung nennt, und einer anderen Dummheit, die nicht auf einem generell schwachen Verstand beruht, sondern »auf einem Verstand, der bloß im Verhältnis zu irgendetwas schwach ist, und diese ist die weitaus gefährlichere«.

      Damit stellt sich die Frage, im Verhältnis zu was der Verstand denn schwach ist, wenn intelligente Menschen etwas Dummes machen. Irgendetwas muss die Menschen dazu antreiben, unbedacht zu bleiben, es muss ein stärkeres Motiv dafür geben, nicht in Ruhe zu überlegen und seinen Verstand zur Anwendung zu bringen. Das kann natürlich passieren, wenn unsere Gefühle die Kontrolle übernehmen. Wenn wir Angst oder Hass oder Gier oder Lust oder Arroganz an die Zügel lassen, dann ist es gut möglich, dass der Verstand nichts mehr zu melden hat. Oder zumindest nicht mehr viel. Ebenso gilt das für unsere Moralvorstellungen, woher auch immer wir diese gerade nehmen oder kriegen. Manchmal folgen Menschen lieber einer Sekte, einer Ideologie oder einem Anführer, als sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Und jetzt verstehen Sie vielleicht