Sebastian 23

Cogito, ergo dumm


Скачать книгу

ohne die Torheit keinen Spaß geben, denn sie ist der Grund für Lachen und Scherze. Und überhaupt wäre kein soziales Miteinander denkbar, denn dazu müssen die Menschen »eben einander zuliebe bald fünf gerade sein lassen, bald zum Schmeicheln sich verstehen, bald ein Auge klug zudrücken, bald mit dem Honig der Torheit sich bei Laune erhalten«. Ist man dumm, kann man sogar die Leiden des Alterns ausblenden. Auch die Kunst wäre ohne die Torheit der Selbstgefälligkeit undenkbar, tapfere Krieger gäbe es nicht ohne die Torheit der Risikobereitschaft.

      Langsam redet sich die Torheit in Wallung und behauptet schließlich, sogar die Klugen seien dumm, denn sie versuchen, mit saurer Arbeit und schlaflosen Nächten, sich einen berühmten Namen zu sichern. Dabei wüssten sie, dass Ruhm nur Schall und Rauch ist. Doch selbst Weisheit schützt vor Torheit nicht: »Der Weise nimmt seine Zuflucht zu den Büchern der Alten und lernt daraus nichts als in Worten zu kramen; der Tor packt frisch die Dinge selbst an und schlägt sich mit ihnen herum, und so erwirbt er sich das, was ich wahre Klugheit nenne.« Der Weise ist also dumm, und der Dumme ist der wahre Kluge. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber je länger ich darüber nachdenke, umso klarer wird mir, dass ich weiß, dass ich nichts weiß.

      Eine Sache noch zur Geschichte der Dummheit: Es ist klar, dass wir manches Verhalten unserer Ahnen nur aus heutiger Perspektive dumm finden. Das würde ich anachronistische Dummheit nennen. Denn aus dem jeweiligen historischen Kontext heraus war es vielleicht gar nicht dumm, sich ein nacktes Huhn auf den Kopf zu setzen. Aber auch dazu später mehr.

      4. Unheilbar dumm

       »Mit jemandem zu argumentieren, der die Vernunft ablehnt, ist wie die Verabreichung von Medizin an Tote.«

      Thomas Paine

      Man muss nicht mit Nietzsche übereinstimmen, der an einem seiner fröhlicheren Tage einmal vom Stapel ließ, dass diese Welt viele Krankheiten habe und die schlimmste hieße Mensch. Aber als sicher darf gelten, dass Menschen schon immer krank wurden. Böse Zungen sagen, dass auch dieses Buch Kopfschmerzen bereiten kann, wenn man in zu kurzer Zeit zu viel über Dummheiten liest.

      Die Geschichte der Medizin jedenfalls lässt sich bis weit in die Vergangenheit zurückverfolgen. Vor fast 4000 Jahren gab es zum Beispiel den Codex Hammurabi, eine zwei Meter hohe Stele mit 282 in Keilschrift verfassten Gesetzen. Nicht ganz so handlich wie ein Smartphone, aber alt, alt, alt! Im Codex Hammurabi war zum Beispiel festgehalten, dass ein Arzt für eine erfolgreiche Operation mit einem Bronzemesser an einem Edelmann ein Honorar von zehn Silberschekeln zu erhalten habe. Das entsprach damals dem Jahresgehalt eines Handwerkers. Bevor sich jetzt die Ärzt*innen unter Ihnen in diese Zeit zurückwünschen, sollten Sie allerdings auch in Betracht ziehen, was als Strafe bei Misserfolg einer solchen Operation bestimmt wurde: das Abhacken der Hand. Ob dieses Wissen gegen ein leichtes Zittern beim Operieren geholfen haben mag?

      Wenn man sich die Geschichte der Medizin bis heute anschaut, gibt es eine Konstante: Schon immer gab es Behandlungsmethoden, deren Wirksamkeit man anzweifeln darf und deren Rezepturen absurd klingen. So empfahl das Papyrus Ebers um 1550 vor Christus in Ägypten als Mittel gegen Kahlköpfigkeit einen Trank aus Eselhoden, einem Gemisch aus Vulva- und Penisextrakten und einer Eidechse. Ohne die Eidechse klappt das natürlich nicht. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber auf mich wirkt das ein bisschen so, als wollte der Verfasser dieses Papyrus über Leute mit Haarausfall seinen Spott ergießen. Aber man darf davon ausgehen, dass Heiler zu anderen Zeiten in anderen Kulturen auch ganz anders getickt haben. Man denke nur an den damaligen Klistierexperten des Pharaos mit dem schönen Namen Iri, Hirte des Afters. Ich möchte aus eigener Erfahrung hinzufügen: Der gleichnamige Film aus dem Erwachsenenbereich ist nicht für jeden Geschmack gleichermaßen geeignet. Aber falls Ihnen dabei vor Schreck die Haare ausfallen, wissen Sie ja jetzt ein tolles Mittel dagegen.

      Die Behandlung von Krankheiten in der Antike war natürlich nicht immer gefährlich oder anstrengend. Nehmen Sie das Asklepieion in Griechenland. Dabei handelte es sich um einen dem Asklepios geweihten Tempel, in dem die Kranken mittels des sogenannten Tempelschlafs behandelt wurden. Die Patient*innen schliefen dabei im Angesicht einer Statue des Asklepios und wurden entweder im Schlaf vom Gott selbst geheilt oder er sandte einen Traum, der von einem Priester gedeutet wurde und die Heilung beschrieb. Klingt entspannt, oder? Wobei, andererseits, wenn man bedenkt, was man manchmal für einen Schnurz zusammenträumt – vielleicht sollte man vorsichtig sein, bevor einem der Arzt rät, sich von 500 pinken Elefanten mit Madonna-Masken durch den Arc de Triomphe tragen zu lassen. Als Mittel gegen Haarausfall, selbstverständlich.

      Ebenfalls im antiken Griechenland unterwegs war Hippokrates, von dem Sie gewiss schon mal gehört haben. Er lebte von 460 bis circa 370 vor Christus und war der Erste, der sich radikal von religiösen Erklärungen für Krankheiten abwandte. Über Epilepsie schrieb er zum Beispiel, sie scheine ihm »um nichts göttlicher zu sein als die übrigen, vielmehr scheinen auch die anderen Krankheiten eine natürliche Ursache zu haben, aus der jede einzelne von ihnen entsteht, eine natürliche Ursache und einen Grund scheint aber auch sie zu haben«.

      Hier haben wir also wieder einen Fall von jemandem, der mit den tradierten Denkweisen brach und damit die Menschheit einen entscheidenden Schritt weiterbrachte. Andererseits ist eine andere seiner Neuerungen inzwischen auch nicht mehr der Hit, der sie mal war. Denn Hippokrates gilt gemeinsam mit seinem Schüler Polybos als Urheber der Vier-Säfte-Lehre. Das klingt ein bisschen nach Multivitaminsaft, gemeint ist aber die Humoralpathologie, die Lehre der Flüssigkeiten im Körper. Zunächst wurden den vier Elementen Feuer, Erde, Wasser und Luft die vier Eigenschaften heiß, kalt, trocken und feucht zugeordnet. Im Corpus Hippocraticum wurden diesen dann die vier Körpersäfte entsprochen: Blut, Schleim, gelbe Galle und Cyberpunk. Na gut, okay, der vierte Saft ist leider nicht Cyberpunk, sondern schwarze Galle.

      Hippokratische Ärzte bevorzugten diätische Behandlungen vor Arzneien: »Der erste Koch war auch der erste Arzt«, heißt es da. Und es darf vermutet werden, dass es zumindest stimmt, dass man umso gesünder bleibt, je weniger altägyptisches Haarwuchsmittel man sich hinter die Gurgel kippt. Allerdings muss man hinzufügen, dass das griechische Wort diaita nicht nur Diät bedeutet, sondern allgemeiner auch Lebensweise. Dementsprechend war nach Hippokrates eine gute Lebensweise der Schlüssel zur Gesundheit. Beispiel aus dem Corpus Hippocraticum gefällig? »In dieser Jahreszeit übe man auch den Beischlaf häufiger aus und zwar mehr die älteren als die jüngeren Leute«. So geht ganzheitliche Medizin: immer schön den Winter wegbumsen.

      Es scheint, dass es Ganzheitlichkeit nicht nur in der traditionellen chinesischen Medizin gibt, bei der die Einbeziehung aller Lebensbereiche in die Gesundheit und Heilung von zentraler Bedeutung ist. Aber lassen Sie uns jetzt nicht zu Schlüssen springen und annehmen, es sei womöglich der Umstand, dass wir uns heutzutage hauptsächlich Burger fressend gegenseitig auf Facebook anschreien, der uns alle dumm und krank macht. Mens sana in corpore sano? Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper? Das klingt einerseits ganzheitlich gedacht, zugleich aber auch superökospießig. Her mit Fritten und Cola, ihr Stock-Narren und Ertz-Matzen!

      Dass man auch ganzheitlich ganz danebenliegen kann, bewiesen antike Ärzte, indem sie zur Heilung vieler psychischer Erkrankungen bei Frauen eine Heirat als Therapie vorschlugen. Man fragt sich, was sie zur Heilung bei offenliegender Frauenfeindlichkeit vorgeschlagen hätten. Bleiben wir aber lieber noch einen Moment bei der Vier-Säfte-Lehre. Denn nachdem Galenos diese im zweiten Jahrhundert nach Christus weiterentwickelt hatte, wurde sie bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eine zentrale Säule der europäischen Medizin. Dieser römische Arzt und Anatom ordnete den vier Säften vier Temperamente zu: cholerisch, phlegmatisch, sanguinisch und melancholisch.

      Galenos schätzte seinen Einfluss selbst so ein: »Ich habe für die Medizin so viel getan wie Trajan für das Römische Reich, als er Brücken baute und Straßen durch Italien baute. Ich und nur ich allein habe den wahren Weg der Medizin aufgetan. Zugegebenermaßen hat Hippokrates diesen Weg bereits gewiesen … er bereitete den Weg, aber ich habe ihn begehbar gemacht.« Es scheint, obwohl er selbst davon genug hatte, hat Galenos das fünfte Temperament übersehen: superprotzig. Die zugehörige Körperflüssigkeit ist übrigens Champagner.

      Jedoch muss man eine Sache klar formulieren: So seltsam einem