Sebastian 23

Cogito, ergo dumm


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Sie? Nun, so weit nichts. Außer, dass das Institut die Doktorarbeit ablehnte, denn Duchesne war erst 23 Jahre alt und bis dahin ein völlig Unbekannter. Seinem Drängen auf weitere Forschung in dieser Richtung kam man ebenso wenig nach, und ihn selbst hielt in der Folge der Militärdienst von dieser Betätigung ab. Es brauchte gut dreißig Jahre und eine weitere eher zufällige Beobachtung, um der Menschheit die Vorzüge des Antibiotikums zuteilwerden zu lassen. Und damit endlich ein wirksameres Mittel gegen die Pest als ein nackter Hühnerhintern. Es war Alexander Fleming, dem bei seiner Forschung 1928 im Labor aus Versehen Schimmelpilze in eine Probe von Bakterien geraten waren. Er forschte weiter, entwickelte das Penicillin und hat damit unzähligen Menschen das Leben gerettet. Man darf nur nicht drüber nachdenken, wie viele Menschen zwischen 1897 und 1928 an bakteriellen Infektionen gestorben sind, die nicht hätten sterben müssen, wenn man damals der Jugend etwas mehr zugetraut hätte.

      Eine Randnotiz sei noch hinzugefügt: Womöglich gab es schon vor tausend Jahren Medizin mit antibiotischer Wirkung. Im Jahr 2015 haben Historiker*innen und Mikrobiolog*innen gemeinsam einen Artikel veröffentlicht, der weltweit Schlagzeilen machte: A 1000 Year Old Antimicrobial Remedy with Anti-Staphylococcal Activity. In einer alten Handschrift hatten sie ein Rezept für eine Salbe entdeckt, das unter anderem auf Zwiebeln und Knoblauch basierte. Als sie die beschriebene Salbe herstellten, hatte diese zumindest im Labor sogar Wirkung gegen multiresistente Bakterien. Vielleicht haben wir nicht nur die Jugend von damals unterschätzt, sondern auch das Mittelalter.

      Es ist zu bezweifeln, dass das mittelalterliche Wundermittel aus Zwiebeln und Knoblauch besonders gut roch. Vermutlich wäre Wilhelm Fliess kein großer Fan davon gewesen, denn bei ihm stand die Nase gewissermaßen im Mittelpunkt – nicht nur des Gesichts. Er wurde jedoch nicht ganz so berühmt wie ein Freund von ihm. Sigmund Freud und Wilhelm Fliess standen nämlich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in regem Austausch, denn Fliess war einer der wenigen, der schon früh offen war für Freuds revolutionäre Ideen. Allerdings entzweiten sich die beiden schon bald über die Frage, ob die Entwicklung von Neurosen psychologische oder physische Ursachen habe. Fliess vertrat den überraschenden Ansatz, dass es eine direkte Verbindung zwischen Nase und Genitalbereich gäbe. Unter anderem nahm er an, dass Coitus interruptus und Selbstbefriedigung in der Nase einen charakteristischen Fernschmerz verursachten. So erklärt sich vermutlich auch, dass Fliess annahm, man könne sexuelle Dysfunktion bei Frauen behandeln, indem man Kokain in ihren Nasen anwendet. Eine Aussage, die man wohl eher einem zwielichtigen Zuhälter zutraut als einem Psychologen. Wobei man fairerweise sagen muss, dass es damals nicht unüblich war, mit Kokain zu experimentieren. Auch Sigmund Freud wagte recht häufig den Selbstversuch und entdeckte unter anderem seine Verwendungsmöglichkeit zur lokalen Betäubung. Der Versuch, einen anderen Freund, den Physiologen Ernst Fleischl von Marxow, mithilfe von Kokain von seiner Morphiumsucht zu befreien, war hingegen weniger von Erfolg gekrönt. Von Marxow wurde rückfällig und war, aus heutiger Sicht wenig überraschend, von da an auch noch kokainsüchtig.

      Dieser Fall ist nur eines der vielen Beispiele für medizinische Versuche, die man mit dem Wissen der Gegenwart betrachtet und denkt: Das hätte man doch damals auch wissen können. Aber das ist eben nicht der Fall, das ist nur wieder Captain Hindsight. Was uns heute als selbstverständlich gilt, mussten Wissenschaftler*innen über Jahrtausende herausfinden. Das gilt natürlich auch und insbesondere im Gesundheitsbereich. Mit dem fortschreitenden medizinischen Wissen der Menschheit gibt es stets neue Möglichkeiten, die Grenzen des Machbaren neu auszuloten. Die Wissenschaft läuft auf Hochtouren, und es werden neue Mittel und Therapien entwickelt. Da ist es durchaus okay und gewünscht, wenn sich manche Hypothesen als falsch herausstellen.

      Doch es gibt bei aller Freude an der Experimentierlust und am Scheitern auch in der Medizingeschichte Dinge, bei denen klar ist: Das hätte nicht sein müssen. So versuchte zum Beispiel 1927 der sowjetische Wissenschaftler Ilya Iwanowitsch Iwanow ernsthaft eine neue Kreatur durch Kreuzung von Menschen und Schimpansen zu erzeugen. Das ist nicht nur aus heutiger Sicht gruselig, sondern war auch schon damals keine gute Idee. Vielleicht denken Sie jetzt: Moment mal, sind wir nicht 2020 wieder genau an der Stelle, genetisch ein Mittelding zwischen Mensch und Tier zu schaffen, genauer gesagt eine Chimäre aus Mensch und Schwein. Und ja, Sie haben natürlich recht, und auf den ersten Blick klingt das ebenso gruselig wie die Ideen von Iwanow. Allerdings steckt eine andere Idee dahinter als Iwanows Wunsch, Darwins Theorien der nahen Verwandtschaft zwischen Schimpansen und Menschen auf eine sehr befremdliche Weise zu beweisen. Heute geht es den Wissenschaftler*innen darum, Schweine genetisch so zu manipulieren, dass ihnen menschliche Organe wachsen. Diese könne man dann zur Organtransplantation nutzen, so der Gedanke. Über die Frage, ob das ethisch vertretbar ist, kann man sicherlich ein eigenes Buch schreiben und stundenlang mehr oder weniger entspannt diskutieren. Besonders entspannt, wenn man gerade nicht auf eine Spenderleber wartet.

      Die Gentechnik ist ein überaus spannendes Feld und verspricht neben quasi unendlichem Diskussionsstoff für Ethikseminare in naher Zukunft die ein oder andere medizinische Revolution. Insbesondere seit der Entwicklung von CRISPR/Cas9, einer neuen Technik zur Manipulation von Genen, die eine massive Vereinfachung darstellt. CRISPR/Cas9 wird auch die Gen-Schere genannt, denn man kann mit dieser Technik quasi einzelne Abschnitte aus Gensequenzen ausschneiden und andere einsetzen, was weitaus präziser und einfacher ist als die vorher angewendeten Methoden wie etwa der Einsatz von Chemikalien und/oder Bestrahlung. Dadurch hat sich in den letzten Jahren die Entwicklung exponentiell beschleunigt und die Fantasien und Hoffnungen der Wissenschaftler*innen beflügelt. So gibt es nicht wenige, die davon ausgehen, dass wir in naher Zukunft in der Lage sein werden, Krebs zu heilen und damit eine der häufigsten Todesursachen zu besiegen.

      Doch auch die Gentechnik begann mit einigen Startschwierigkeiten. Am 11. Dezember 1951 wies der Direktor des Cavendish Labors der Universität Cambridge nach einer gescheiterten Demonstration ihrer Ergebnisse zwei seiner Mitarbeiter an, ihre Forschungen mit sofortiger Wirkung einzustellen. Dabei waren Francis Crick und James Watson den Geheimnissen der DNA auf der Spur, und Watson hielt später fest, dass der Direktor ganz offensichtlich nicht einmal wusste, wofür das Kürzel DNA stand. Als sie einige Jahre später die Arbeit wiederaufnahmen, kamen sie der Struktur der DNA auf die Spur, der wohl wichtigsten biologischen Erkenntnis des 20. Jahrhunderts. Apropos DNA: Wussten Sie eigentlich, dass Menschen rund 50 Prozent ihres Erbguts mit Bananen teilen? Ich finde, dass erklärt einiges. Auch, wenn ich neuerdings ein komisches Gefühl dabei habe, in eine Banane zu beißen.

      Die genetische Verwandtschaft zur Banane gilt auch für die klügsten Menschen. Und dass Klugheit nicht vor Dummheiten schützt, haben wir ja bereits gelernt. Anders kann man es kaum erklären, was 1977 einer Frau namens Tina Christopherson passierte. Bei ihr war ein IQ von 189 gemessen worden, einer der höchsten dokumentierten Werte. Doch Christopherson war von der ständigen Angst begleitet, sie könnte an Magenkrebs sterben wie zuvor ihre Mutter. Das ist natürlich eine nachvollziehbare Sorge, zumal solche Ängste sich nicht immer rational wegargumentieren lassen. Auch nicht mit einem himmelhohen IQ. Stattdessen versuchte Christopherson einen anderen Weg der Prävention: Sie trank sehr viel Wasser. Sehr, sehr viel Wasser, um genau zu sein. Es wird berichtet, dass sie teilweise bis zu fünfzehn Liter pro Tag getrunken haben soll. Nun soll man ja durchaus viel trinken, aber es ist mit Wasser wie mit allem anderen: Die Dosis macht das Gift. Und fünfzehn Liter sind definitiv zu viel. Sie führten zu einem Nierenversagen, an dem Christopherson starb. Nun konnte man schon 1977 wissen, dass das bei der Aufnahme von derartig viel Wasser passieren würde. Und in Anbetracht eines IQs von 189 hätte Christopherson das vielleicht sogar selbst klar sein müssen. Aber wenn eben eine starke Gegenmotivation wie Todesangst vorhanden ist, dann hat auch der beste Verstand das Nachsehen.

      Apropos dummer Tod eines Genies: 1983 starb der berühmte Autor Tennessee Williams, als er sich nach hinten lehnte, um Nasentropfen zu nutzen und ihm dabei der Deckel des Nasensprays in den Hals fiel. Das war eher ein tragisches Missgeschick, aber trotzdem ein wirklich dummer Tod. Dabei war es eben ausgerechnet Tennessee Williams, der einen der meistzitierten Sätze zum Thema Dummheit geprägt hat: »Jede Dummheit findet einen, der sie macht.« Uff.

      Statt Plastikdeckeln sollte man definitiv lieber Gemüse zu sich nehmen, wenn man gesund leben will. Wie sagte schon der weise Gelehrte Helge Schneider? »Tu mal lieber die Möhrchen!« Darauf achtet teils sogar die Regierung, wenn es etwa um das Menü in Schulkantinen geht. Mal mit mehr, mal mit weniger guten