Sebastian 23

Cogito, ergo dumm


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aber eben auch überaus lustig sein kann. Und keine Sorge, wir dürfen alle getrost darüber lachen, denn wir sind in diesem Punkt alle weitgehend auf Augenhöhe. Und zwar mit einem Kieselstein.

      Fassen wir unsere Erkenntnisse so weit noch mal zusammen, kann man drei Dinge unterscheiden, die wir aber alle Dummheit nennen: kognitive Beeinträchtigung, die angeboren ist, biografisch bedingte Unwissenheit und situative Dummheit, die wir zur Abgrenzung auch Unbedachtheit genannt haben. Bei letzterer überwiegt eine andere Motivation und führt dazu, dass man eben nicht von seinem Verstand Gebrauch macht. Und zwar weder von seiner rationalen Intelligenz noch von der emotionalen Intelligenz und Sozialkompetenz, weder von seiner praktischen Intelligenz noch von seiner kreativen Intelligenz. Die situative Dummheit ist locker in der Lage, alle Formen unserer Intelligenz auszuhebeln. Hinzugefügt sei noch, dass sich die drei Dummheiten übrigens explizit nicht gegenseitig ausschließen. Ein Beispiel? Ich würde sagen, bei dem Mann im nordhessischen Bad Zwesten, der ohne jede Maske oder Waffe eine Bank überfiel und auf den Hinweis der Bankangestellten, größere Auszahlungen könne man nur gegen Beleg ausgeben, bereitwillig seine Personalien angab, kam so ziemlich jede Form von Dummheit zusammen.

      Im Folgenden wollen wir uns hauptsächlich auf die situative Dummheit konzentrieren. Wie schon gesagt, sie ist die lustigste Form der Dummheit, und es lässt sich sicher sagen, dass wir alle manchmal unbedacht sind: Niemand macht keine Fehler. Ganz besonders nicht diejenigen, die sich für unendlich klug halten. Und davon werden wir in diesem Buch so einige kennenlernen. Ich halte mich da an den italienischen Schriftsteller Alberto Moravia, der einmal sagte: »Dummheiten können reizend sein, Dummheit nicht.« Werfen wir trotzdem getrost einen Blick auf all jene Stock-Narren, Ertz-Matzen und Lappen der Geschichte.

      3. Dummheit im Wandel der Zeit

       »Ich glaube nicht an den Fortschritt, sondern an die Beharrlichkeit der menschlichen Dummheit.«

      Oscar Wilde

      Was dumm ist oder vielmehr was die Menschen dumm fanden, war nicht immer das Gleiche. Im Laufe der Menschheitsgeschichte hat sich das Verständnis von Dummheit immerzu gewandelt. Das liegt einerseits daran, dass progressive Dummköpfe fortlaufend neue Möglichkeiten gefunden haben, dumm zu sein. Andererseits wandelt sich das Verständnis von gesellschaftlich akzeptablem Denken kontinuierlich und damit auch die Definition von allem, was davon abweicht und als dumm gilt.

      Waren Sie vielleicht gestern noch ein ausgesprochener Vollidiot, weil Sie behaupteten, dass alle Dinge auf der Welt im Innersten nicht aus Dreiecken bestehen, sondern aus kleinen Nubsis, die niemand sehen kann und die Sie freiweg Atome nennen? Diese Atome sind angeblich so klein, dass in einem Glas Wasser mehr Atome sind als Gläser Wasser in allen Ozeanen der Welt? Klar, wenn Sie als Erster mit so einer Idee um die Ecke kommen, hält man Sie vermutlich für dumm. Doch das mag morgen bereits komplett anders aussehen. Und übermorgen kommt jemand daher und sagt, da geht es unter den Atomen aber noch ein paar Ebenen runter zu Quarks und Quanten. Und dann kommen die Physiker*innen vom »Quantum Gravity Research Center« und behaupten, dass die Grundstruktur des Universums aus einer vierdimensionalen quasikristallinen Struktur aus Tetraedern besteht – also letztlich Dreiecken. Klingt völlig seltsam und ausgedacht? Ist aber alles genau so passiert. Gut, nicht innerhalb eines Absatzes, sondern binnen zweieinhalbtausend Jahren, aber die Mühlen der Dummheit mahlen halt langsam.

      In der griechischen Mythologie war es Prometheus, der den Menschen das Feuer der Erkenntnis brachte und sie damit zu den Herren ihrer Sinne machte. Um es mit den Worten des amerikanischen Anthropologen Paul Radin zu sagen, war es Prometheus, der die Menschen »kindisch-blöd zuvor, verständig machte und zu ihrer Sinne Herren«. In der Bibel war es eine Schlange mit einem Apfel, beziehungsweise einer anderen Frucht, denn – kleiner Fun Fact am Rande – tatsächlich wird der Apfel nirgends in der Geschichte erwähnt. Das Versprechen der Schlange jedoch war, äßen die Menschen vom Baum der Erkenntnis, »so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist«. So steht es im 1. Buch Mose, 3,5. Was offensichtlich ist: In beiden Fällen waren die Götter so gar nicht damit einverstanden und straften die Menschen und die Überbringer der Erkenntnis aufs Härteste. Woraus sich entspannt schlussfolgern lässt: Eigentlich waren wir dumm geplant und wir würden im Einklang mit unseren Schöpfern leben, wenn wir schön dumm geblieben wären. Selig sind die geistig Armen. Amen.

      Ganz ähnlich liest sich das im Höhlengleichnis, das Platon in seinem Buch Politeia darlegt. Darin sitzt die Menschheit in einer Höhle, hinter ihnen ein Feuer und vor ihnen eine Wand. Und weil ihre Köpfe fixiert sind, schauen alle nur in Richtung der Wand und sehen somit nur Schatten, auch von sich selbst. Sie alle wetteifern in der Beschreibung der Schatten und halten diese für die ganze Welt. Schließlich befreit sich jemand und erkennt plötzlich die Wahrheit über die Schatten und die Menschen und das Feuer und die Wand. Mehr noch, derjenige schafft es sogar, die Höhle zu verlassen und gelangt nach draußen an die Sonne, in die wahre Welt hinein. Die Pointe des Gleichnisses ist nun, dass derjenige keine Möglichkeit hat, wieder in die Höhle zu gehen und seine Erkenntnisse mit den anderen zu teilen. Diese würden ihn ja für verrückt halten, weil er behauptete, ihre ganze Welt sei nicht echt und es gäbe dahinter eine ganz andere, realere Welt. Wie Erasmus von Rotterdam ironisch anmerkt, ist der Weise damit übrigens ganz sicher nicht glücklicher als jene, die zufrieden damit sind, wenn sie »bloß die Schatten und Abbilder der verschiedenen Dinge sehen und bewundern«.

      Niemand will die Sonne sehen. In Anbetracht der Helligkeit der realen Sonne ist das ja auch verständlich. Die Menschen, die es eben doch versuchen, stellen sich dabei übrigens manchmal äußerst dumm an. Im August 2017 gab es zum Beispiel eine solche totale Sonnenfinsternis in den USA. Die Bilder von Präsident Donald Trump gingen um die Welt, die staunend Zeuge wurde, dass er tatsächlich entgegen der Warnungen aller Fachleute ohne Schutzbrille in die Sonne schaute. Dabei hatte er eine Schutzbrille, er hielt sie nur erst mal lieber in der Hand. Andere Menschen hatten keine Schutzbrille und improvisierten auf ihre Art. Tatsächlich wurden damals mehrere Menschen ins Krankenhaus eingeliefert, die sich zur Beobachtung der Sonnenfinsternis allen Ernstes Sonnenmilch in die Augen gekippt hatten. Dann bleibe ich doch lieber in meiner Höhle und bewundere die Schatten.

      Sie können sich Platons Gleichnis statt mit einer Höhle und Schatten gerne auch mit einem Sofa und einem Fernseher oder Computer vorstellen, wenn Sie mögen. Der Punkt bleibt: In unserem Naturzustand sind wir doof und haben keinen Plan von der Welt. Es braucht großen Aufwand und sogar die Bereitschaft, die meisten Menschen hinter sich zu lassen, wenn man tiefere Einsicht in die Welt erhalten möchte, um das wahre Wesen der Dinge zu erkennen. Jede*r, der/die schon mal versucht hat, ein Smartphone aus der Hand zu legen, wird das bestätigen können. Wobei, ganz ehrlich, so unter uns: Schatten sind natürlich auch real.

      Sokrates, der Lehrer des Platon, war da eigentlich auch schon einen Schritt weiter. Ihm hatte das Orakel von Delphi gesagt, dass er der Weiseste aller Griechen sei. Nicht nur, weil er soeben einen gültigen Reim auf Selfie gefunden hatte, sondern weil er wusste, dass er nichts wusste. Es war dieses »Ich weiß, dass ich nichts weiß«, das ihn zum »weisen Idioten Griechenlands« machte, wie es Johann Gottfried Herder einmal ausdrückte. Die anderen sind so dumm, dass sie nicht mal wissen, dass sie dumm sind. Bis heute ein zentrales Element der höchsten Form von Dummheit. Nun waren Sokrates und Platon also auch ganz vorsichtig dabei, die Dummheit hinter sich zu lassen, und erfreulicherweise wurden auch nur 50 Prozent von ihnen zum Tode verurteilt, weil sie zu viel wussten. Das muss als echter Fortschritt gelten.

      Es ist auch kein Wunder, dass die griechischen Philosophen vorsichtig waren. Einer der ersten, Thales nämlich, ist vor allem durch die Anekdote bekannt, dass er beim Studieren der Sterne in einen Brunnen fiel und von einer thrakischen Magd ausgelacht wurde. Auch in dieser Geschichte lacht diejenige, der die Erkenntnis fehlt über denjenigen, der versucht, sie zu erlangen. Hier zeigt sich auf einer sehr einfachen Ebene die Perspektivität von Dummheit: Für die Magd ist Thales ganz klar ein Dummkopf, der in die Sterne schaut und deswegen in einen Brunnen fällt. Jemand, der noch Jahrtausende später als Vorlage für einen weltbekannten Idioten namens Hans-Guck-in-die-Luft dienen würde. Für Thales hingegen ist die Magd dumm, denn sie hat kein Wissen und kein Verständnis vom Wesen der Welt. Und sie bemüht sich noch nicht mal darum. Wenigstens ist Thales