ein solches Polizeiaufgebot notwendig war. Immerhin wurden zum Beispiel am 20. April in Frankreich 60.000 Polizisten mobilisiert.
An diesem Tag meldete der französische Sender BFM TV unter Bezug auf das Innenministerium 27.900 Demonstranten landesweit, davon 9.000 in Paris.89 Das wären mehr als in der Woche zuvor, da wurden aus Paris nur 5.000 Demonstranten gemeldet. Allerdings wies der Sender auch darauf hin, dass die offiziellen Zahlen von den Organisatoren immer bestritten werden.
Misstrauisch machte auch, dass die Polizei am Abend des 20. April 9.000 Demonstranten in Paris meldete, aber zum Beispiel der Spiegel schon Stunden zuvor gemeldet hatte, die Polizei habe in Paris 11.000 „präventive“ Personenkontrollen durchgeführt.90 Das würde ja bedeuten, dass die Polizei mehr Menschen kontrolliert hat, als Demonstranten vor Ort waren.
BFM TV meldete am Abend „249 Festnahmen in Paris bis 19 Uhr, mehr als 20.000 präventive Personenkontrollen“91. Landesweit seien 60.000 Polizisten im Einsatz gewesen, während nur 27.900 Demonstranten gemeldet wurden.
Das zeigt wieder, dass mit den offiziellen Teilnehmerzahlen bei den Gelbwesten ganz eindeutig etwas nicht gestimmt hat, und es ist doch vielsagend, dass die deutschen Medien zu diesem Zeitpunkt über die Gelbwesten kaum noch berichtet haben. Und wenn sie es doch einmal getan haben, dann meldeten sie nur die offiziellen Zahlen und verloren kein Wort darüber, dass die Zahlen geschönt gewesen sein könnten.
Auch an den Polizisten, die ja ebenfalls nicht zu den Großverdienern gehören, aber Woche für Woche gegen die Gelbwesten antreten mussten, ging die Sache nicht spurlos vorbei. Die Facebook-Gruppe Citoyen Solidaire veröffentlichte den „Zähler der Schande“, der die Selbstmorde bei Polizisten zählt. Von Januar bis April hatten in Frankreich bereits 37 Polizisten Selbstmord begangen, bis Jahresende waren es 94.92
Trotz dieser dramatischen Entwicklungen verschwanden die Gelbwesten mit der Zeit aus den Medien, auch die alternativen Medien berichteten immer seltener. Aber die Proteste gingen das ganze Jahr hindurch weiter, auch wenn die Teilnehmerzahlen weiter zurückgingen.
Macrons Strategie, die Gelbwesten mit einer Mischung aus Polizeigewalt, härteren Gesetzen und Placebos auszusitzen, ging auf. Macrons medial inszenierter „Bürgerdialog“ brachte zwar keine Änderungen von Macrons Politik, aber die Menschen wurden der Sache langsam müde.
Das änderte sich erst zum Jahresende. Da kündigte die französische Regierung eine Rentenreform an, die allen Bürgern die Renten beschneiden und das Rentenalter erhöhen sollte.
Am 11. Dezember war es nicht Präsident Macron, sondern Premierminister Edouard Philippe, der die wichtigsten Bestimmungen der Reform vorstellte, wogegen 1,5 Millionen Menschen im ganzen Land auf die Straße gingen. Danach wurden einige Dinge abgeschwächt, aber das Wesen der Reform hatte sich nicht geändert.
Das Rentensystem in Frankreich soll vereinheitlicht werden. Das bestehende System, bei dem jede der 42 Berufsgruppen ein eigenes Rentensystem hat, soll abgeschafft werden. Es wird ein „universelles“ Rentensystem eingeführt, in dem Rentenbeiträge in Punkte umgerechnet werden. Die Branche, in der der Arbeitnehmer arbeitet, spielt keine Rolle mehr. Die Höhe der Rente hängt von der Anzahl der gesammelten Punkte ab. Wer mehr verdient, zahlt mehr und bekommt mehr.
Was in Deutschland schon immer das Konzept der staatlichen Rente war, ist für Frankreich ein neues Konzept. Das Renteneintrittsalter soll 64 Jahre betragen.
Hier sieht man den Unterschied zwischen Franzosen und Deutschen sehr deutlich. Als in Deutschland vor fast 15 Jahren beschlossen wurde, dass das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre steigt, haben die Deutschen das klaglos hingenommen. Nicht so die Franzosen. Für sie sind 64 Jahre schon ein Grund für einen Generalstreik, der dort das Land lahmgelegt hat.
Ob diese Aktionen und der Generalstreik etwas ändern, oder ob auch sie – wie schon die Gelbwesten – von der Regierung ausgesessen werden, wird 2020 zeigen.
78 http://www.spiegel.de/politik/ausland/gelbwesten-italiens-regierung-stellt-sich-hinter-demonstranten-in-frankreich-a-1246837.html
79 http://www.spiegel.de/politik/ausland/frankreich-rot-schale-demonstrieren-gegen-gelbwesten-und-fuer-emmanuel-macron-a-1250258.html
80 https://twitter.com/luigidimaio/status/1092817232005136384
81 https://deutsch.rt.com/europa/83836-reaktion-auf-treffen-von-di-maio-mit-gelbwesten-frankreich-ruft-botschafter-aus-italien-zurück/
82 https://politikstube.com/gelbwesten-und-medien-france-3-macht-aus-anti-macron-ein-pro-macron-plakat/
83 http://www.spiegel.de/politik/ausland/frankreich-emmanuel-macrons-angriff-auf-die-pressefreiheit-a-1253489.html
84 https://desarmons.net/index.php/2019/01/04/recensement-provisoire-des-blesses-graves-des-manifestations-du-mois-de-decembre-2018/
85 https://deutsch.rt.com/europa/84401-ich-erkenne-mein-land-nicht/
86 http://www.spiegel.de/politik/ausland/frankreich-regierung-gesteht-nach-krawallen-bei-gelbwesten-protest-fehler-ein-a-1258325.html
87 https://tass.ru/mezhdunarodnaya-panorama/6229955
88 http://www.spiegel.de/politik/ausland/gelbwesten-protest-frankreich-will-nach-krawallen-haerter-gegen-gewalt-vorgehen-a-1258498.html
89 https://www.bfmtv.com/police-justice/gilets-jaunes-9600-participants-a-14h-dont-6700-a-paris-selon-l-interieur-1677100.html
90 https://www.spiegel.de/politik/ausland/gelbwesten-proteste-in-frankreich-neue-zusammenstoesse-am-osterwochenende-a-1263791.html