vor Zwangstaufe, Beraubung, Verletzung oder Tötung, das Verbot jüdische Friedhöfe zu schänden oder jüdische Rituale zu stören weiterhin Gültigkeit („Sicut-Judaeis-Bullen“), jedoch wurde bereits unter Papst Innozenz III. die Garantie in gravierender Weise durch einen Schlusssatz abgeschwächt, insofern dieser den Geltungsbereich auf Juden beschränkte, die den christlichen Glauben nicht untergrüben. Zwar wurden die Beschlüsse der Laterankonzile keineswegs unverzüglich umgesetzt, doch kirchliche Autoritäten drängten stets aufs Neue die politische Obrigkeit dazu, Juden aus Amtsstellungen zu entfernen, gegen Proselytenmacherei vorzugehen und die Beschäftigung christlicher Dienstleute zu unterbinden. Sukzessive wurde die von kirchlicher Seite betriebene Segregationspolitik verschärft sowie die Autorität staatlicher Regulierung des Verhältnisses zwischen Juden und Christen untergraben.
Die Kreuzzüge bildeten auch insofern einen qualitativen Einschnitt, als es dem Papsttum gelang, seine Macht auf Kosten der geschwächten politischen Zentralgewalt zu stärken. Die Zentralgewalt reagierte mit dem im Landfrieden von 1179 festgelegten Prinzip der „Kammerknechtschaft“, das alle Juden des Reichs als zur Kammer zugehörige Knechte deklarierte. Die Kammerknechtschaft bestätigte einerseits jüdische Privilegien, andererseits postulierten die Herrscher mit ihrer Einführung zugleich die Verfügungsgewalt über jüdisches Vermögen wie Nachlässe und schränkten die freie Mobilität der Juden ein, die in der Karolingerzeit unhinterfragt gegolten hatte. Mit der abschließenden Etablierung der christlichen Zünfte im 13. Jh. sowie dem parallel laufenden Verdrängungsprozess der Juden aus dem Fernhandel mussten sich diese nun weitgehend auf Kreditvergabe, Pfandleihe sowie den ländlichen Warenhandel beschränken, was mit einer weiteren sozialen Verschlechterung ihrer Lage einherging.
Nach den Kreuzzügen bildeten im Mittelalter die Zeit des „Schwarzen Todes“ sowie die damit einhergehende Pogromwelle den zweiten großen Einschnitt. Als die Pestwellen abebbten durften sich Juden zwar wieder in den Städten niederlassen, doch da nunmehr auch die Bankgeschäfte weitgehend in christlichen Händen lagen, wurden sie für längere Zeit mit Ausnahme weniger städtischer Gemeinden in Kleinstädte oder in dörfliche Bereiche („Landjudentum“) abgedrängt.
2.2Die Kreuzzüge: Taufe oder Tod
Im Jahr 1010 zerstörte der schiitische Kalif al-Hakim (985–1021 n. Chr.) die Grabeskirche, was weniger seinem Fanatismus als seinem Geisteszustand geschuldet war. Im Kontext des Ereignisses begegnen wir erstmals einer antisemitischen Verschwörungstheorie in ausgeprägter Form, insofern die frz. Juden bezichtigt wurden, Anstifter und damit die eigentlichen Schuldigen der Zerstörung zu sein. Das Narrativ des politischen Bündnisses von Juden und Muslimen tauchte von da an stets aufs Neue auf und fand vor allem im frz. wie im spanischen Raum weite Verbreitung. Die Bezichtigung der Juden führte zu Judenverfolgungen in Frankreich, die bereits das spätere Muster der Kreuzzüge erkennen lassen. In Ermangelung des eigentlichen Gegners wurden die Juden zu Verbündeten der Sarazenen deklariert, ja sie seien gar schlimmer als die Muslime, insofern sie als die eigentlichen politischen Drahtzieher der Ereignisse zu gelten hätten. Der amtierende Papst Alexander II. schritt begrenzt noch ein, erinnerte an die Prinzipien der augustinischen Judentheologie und stoppte die Ausschreitungen.
Am 27. November 1095 rief Papst Urban II. auf dem Konzil von Clermont-Ferrand zum Kreuzzug auf. Das Datum sollte zu einem schicksalhaften Tag für das Judentum werden. Die Predigt löste in ganz Europa eine Bewegung aus, deren Nährboden in der krisenhaften Situation der Feudalgesellschaft sowie in einer religiösen Stimmung lag, die sich zunehmend dem Mystizismus öffnete. Mit frenetischer Begeisterung malten sich Personen aller sozialen Schichten das Zeichen des Kreuzes auf ihre Kleidung, verkauften ihren Besitz, verließen Frau und Kinder und schlossen sich den sich chaotisch formierenden Zügen an, deren päpstlicher Auftrag in der Befreiung der heiligen Stadt Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen lag. Zeitgenössische Chroniken verdeutlichen, wen die Kreuzfahrer für Ungläubige hielten, an denen sie Rache zu nehmen gedachten, so hieß es bspw.: »Alle jene Wanderer sollen Häretiker, Juden und Sarazenen in der gleichen Weise hassen, da sich ja dieselben alle Feinde Gottes nennen.«
In verschwörungstheoretischer Weise kursierten Gerüchte, die Juden trügen Mitschuld an der Tötung christlicher Jerusalem-Pilger, sie hätten die Sarazenen zu ihren Taten angestachelt und seien in Wahrheit deren Verbündete. In Ermangelung des eigentlichen Gegners vor Ort und insofern die desorganisierten Volksmassen noch Tausende Kilometer vor sich hatten, wurden die Juden zum „Feind im Inneren“ erkoren, denen man bereits habhaft werden könne bevor der „äußere Feind“ zu sichten sei. So hieß es etwa: »Wir gehen hinaus, um die Feinde Gottes zu bekämpfen, und hier in unserer Mitte leben die Erzfeinde und Mörder unseres Erlösers.«
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