grausam, gefährlich, schmutzig, feindselig und wild. Die Juden waren für Augustinus nicht nur ein verbrecherisches Volk sowie die Feinde der Christen, sondern zugleich deren Sklaven. Als Strafe für ihre Sünde, so Augustinus, sollten die Juden den Fürsten als tributpflichtige Sklaven dienen und hätten von Ämtern und Herrschaft ausgeschlossen zu sein und im Elend zu leben.
Die antijüdische Praxis bestand im Kontext des Frühchristentums nicht nur aus den literarischen Schriften der Kirchenlehrer, sondern ebenso aus zahllosen Erlassen der frühen christlichen Synoden. Bereits die Synode von Elvira (zwischen 295–314 n. Chr.) verbot die Eheschließung von Christen und Juden und untersagte die Speisegemeinschaft mit Juden. Die synodalen Beschlüsse zielten auf die alltägliche Trennung zwischen Juden und Christen wie auf die umfassende Verdrängung des Judentums aus der Öffentlichkeit.
1.12Mel Gibson und Die Passion Christi
Von Oktober 1962 bis Dezember 1965 tagte das Zweite Vatikanische Konzil, welches im Auftrag des Papstes Johannes XIII. darum bemüht war, die römisch-katholische Kirche zu modernisieren sowie ihr Verhältnis zu den anderen Weltreligionen wie insbesondere zum Judentum neu zu regeln. Das Abstandnehmen des Konzils vom traditionellen Gottesmordvorwurf im verabschiedeten Dokument Nostra Aetate markierte einen fundamentalen Wandel, zumal diese Haltung nicht nur mit der Distanzierung vom Antisemitismus sowie der Judenmission einherging, sondern ebenso mit einer textlichen Veränderung der traditionellen Karfreitagsliturgie. Während es bislang hieß: »Oremus et pro perfidis Judaeis« (»lasset uns auch für die perfiden [ungläubigen, treulosen, wortbrüchigen, d. Verf.] Juden beten«) lautet die liturgische Fassung nunmehr: »Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat. Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen.«
Die veränderte Textfassung verdeutlicht den grundlegenden Charakter der Zäsur, insofern die Erwählung des Judentums hier nicht nur von bleibendem Charakter ist, sondern gleichfalls der Anspruch des römischen Katholizismus ad acta gelegt wird, es könne außerhalb der Kirche kein Heil geben. Der durch das Konzil initiierte Wandel ging seiner Zeit etlichen Kirchenvertretern wie Gläubigen entschieden zu weit, gegen den Geist und die Beschlüsse des Konzils wird bis auf den heutigen Tag innerhalb wie außerhalb der Kirche Roms opponiert. Diverse Strömungen und Richtungen erkennen die eingeleiteten Reformen nicht an und beharren auf der traditionellen Liturgie. Als Angehöriger der fundamentalistischen „Catholic Church“ ist der US-amerikanische Schauspieler, Regisseur und Produzent Mel Gibson ein Gegner des Zweiten Vatikanischen Konzils und lässt in seiner Privatkapelle die Heilige Messe in der „alten Form“ zelebrieren.
Ein Film ist als antisemitisch zu werten, so sei an dieser Stelle kurz erläutert, wenn er diskursive Rassifizierungstechniken (Kollektivierung, Generalisierung, Physiognomisierung, Kriminalisierung etc.) reproduziert, wenn judenfeindliche Narrative („Gottesmord“, „jüdischer Wucher“) sowie Stereotype („die verschworenen Juden“, „die geldgierigen Juden“) nicht mit der Intention in Szene gesetzt werden, diese zu dekonstruieren bzw. antisemitische Tendenzen historischer Zeitabschnitte in kritischer Absicht offenzulegen, sondern um vielmehr Abwertungen vorzunehmen, welche die Opfergruppe erneut diskriminieren und die soziale Ausschließung ein weiteres Mal in Gang setzen. Antisemitisch ist ein Film, wenn er die dargestellten Juden in kollektivierender Weise („die Juden“) adressiert, Personen in essentialisierender Weise auf ihr „Jüdischsein“ reduziert und somit entpersonalisiert oder diese in generalisierender Weise adjektiviert („alle Juden sind geldgeil“) und dabei althergebrachte Stereotype zum Einsatz gelangen. Antisemitisch ist ein Film, der das fremdheitsproduzierende Gerede vom „Wir“ und „Ihr“ im Sinne einer Exklusionspraxis reproduziert, wenn in der filmischen Handlung jüdische Personen nicht aufgrund konkreter individueller, politischer, psychologischer oder sozialer Interessenlagen handeln, sondern auf Basis eines „ewig jüdischen Kollektivcharakters“.
Im innerkirchlichen Kräfteverhältnis sowohl des Protestantismus wie des Katholizismus ist ein Wiedererstarken fundamentalistischer wie klerikalistischer Kräfte zu attestieren, deren wachsender Einfluss sich nicht zuletzt im Jahr 2007 zeigte, als Papst Benedikt XVI. die alte Form des katholischen Gottesdienstes wieder zuließ („Summorum pontificum“) und so verdeutlichte, wie hochgradig die Resultate des Zweiten Vatikanischen Konzils auch fünfzig Jahre danach noch immer umkämpft sind. Für die wieder zugelassene lateinische Messe formulierte der Papst im Jahr 2008 eine Neufassung der „Juden-Fürbitte“ des Karfreitagsgebets. Zwar entschärfte diese Fassung den traditionellen Text insofern das lateinische Wort „perfid“, vermieden wurde, indes darf nunmehr wieder auf Lateinisch gebetet werden, die Juden mögen Jesus Christus als ihren Heiland anerkennen, was der „Judenmission“ erneut Tür und Tor öffnet.
Die Aktualität christlicher Passionsfestspiele in vielen europäischen Ländern, die Verbrennung von Puppen zu den Osterfeierlichkeiten in Spanien, die Judas als eine Art Prototyp „des Juden“ symbolisieren, die Kontinuitätslinie antisemitischer Jesusfilme von Norman Jewisons Jesus Christ Superstar (1973), der die Mitglieder des Hohen Rates auf physiognomische Weise rassifiziert, Martin Scorseses Die Letzte Versuchung (1988), der u. a. antisemitische Stereotype wie das des „geldgierigen Juden“ bemüht, bis hin zu Mel Gibsons The Passion of Christ belegen, dass der christlich-motivierte Antisemitismus bis auf die heutigen Tage Bestand hat und sich auf eine jahrhundertealte Ikonographie wie althergebrachte Narrative stützt. Das dichotome Konstrukt vom „Antijudaismus“ und „Antisemitismus“ verkennt, dass der christlich gespeiste Antisemitismus bis auf die heutigen Tage eine höchst lebendige Kraft geblieben ist. Die Mär von einem Pilatus, der keine Schuld fand, sich die Hände wusch und beteuerte: »Ich bin unschuldig am Blute dieses Gerechten, sehet ihr zu« sowie des Satzes: »Und alles Volk antwortete und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder« ist die christliche Legende einer antisemitischen Kollektivschuldthese, die von den Evangelien bis hin zu Mel Gibson bemüht wird, der in The Passion of Christ die Juden bedingt durch exzessive Gewaltszenen als eine nach Blut dürstende Gemeinschaft charakterisiert. Eine verbale Verurteilung Gibsons blieb aus, da der Antisemitismus der Evangelien bis heute vom christlichen Establishment verschwiegen, verharmlost oder gar verleugnet wird, um die eigenen Reihen geschlossen zu halten, um den Schulterschluss zu „Altgläubigen“ zu praktizieren. Die christlichen Wurzeln der „jüdischen Passion“ sind auf diese Weise immer noch höchst lebendig und wurden keineswegs durch einen „modernen Antisemitismus“ abgelöst, wie dies die binäre Logik des dichotomen Konstrukts von „Antijudaismus“ und „Antisemitismus“ suggeriert.
1.13Das Judas-Klischee als Stereotyp der langen Welle
In den Romanen des israelischen Schriftstellers Amos Oz besitzt die Figur des Judas einen zentralen Stellenwert. Auch in diversen Interviews lässt Oz das Stereotyp des „Verräters“ nicht los. Der christlich inspirierte Antisemitismus habe Judas Iskariot nicht nur zum „Archetyp des Verräters“, sondern auch zum „Archetyp des Juden“ gemacht, während in vielen europäischen Sprachen die Wörter „Judas“ und „Jude“ nahezu identisch seien. Oz verweist darauf, dass von den Jüngern Jesu nur Judas Iskariot in Gemälden des letzten Abendmahls als Jude konstruiert ist. Überprüft man diesen Sachverhalt anhand der von Lucas Cranach d. Ä. (1472–1553) für den Reformationsaltar in der Stadt- und Pfarrkirche St. Marien zu Wittenberg gemalten Szenerie, so erblickt man Jesus und seine zwölf Jünger, die das Abendmahl einnehmend um einen kreisrunden Tisch sitzen. Die Figur des Judas Iskariot ist auf den ersten Blick identifizierbar, insofern diese in physiognomisierender Weise mit bösen Gesichtszügen und rötlichen Haaren gemalt ist. Auffallend ist der gelbe Überrock, den Judas über einem grellroten Unterkleid trägt. Die Rassifizierungstechnik kollektivierender Generalisierung („Alle Juden sind Verräter“) gelangt bei Cranach dadurch zum Einsatz, dass der zeitgenössische Betrachter die Farbe Gelb mit dem „gelben Ring“ bzw. dem „gelben Fleck“ in Verbindung brachte, den die Juden seit dem Mittelalter zu ihrer Kennzeichnung in diskriminierender Weise auf ihrer Kleidung zu tragen hatten. Während Jesus und alle Jünger außer Judas „Christen“ darstellen, sitzt gewissermaßen „nur ein Jude“ am Tisch, der sich für seinen Verrat