Whitley Strieber

DIE SEELE IM JENSEITS


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so Simples wie der Besuch in einem Eiscafé. Ich tat alles, damit ihr Leben so reich und erfüllt war wie unter diesen Umständen möglich. Trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten gingen wir ins Kino und ins Theater, besuchten Restaurants und den wöchentlichen Lesekreis, den wir beide sehr liebten – kurz: Wir machten weiterhin das Beste aus unserem Leben.

      Wenn sie etwas nicht verstand, erklärte ich es ihr später, und es gelang uns, diese Gespräche zu einem Vergnügen für uns beide zu machen. Während alledem bewahrte sie sich ihren Enthusiasmus, auch bei Rehabilitation und Physiotherapie. Aber es blieb diese Tumormasse, die eine Besserung von Annes Zustand verhinderte, trotz aller Therapiemaßnahmen. Zwischen Januar und Juli hatte sie drei Therapiesitzungen pro Woche, die nichts bewirkten.

      Als ihre Schwäche sich verstärkte, schlug ich vor, im Krankenhaus feststellen zu lassen, ob sie einen weiteren Schlaganfall erlitten hatte. Aber Anne hatte genug von Krankenhäusern.

      Sie war so geistreich und wunderbar wie eh und je, voller Freude, Weisheit und Humor. Sie hatte keine Angst. Ganz im Gegenteil war sie ruhig und pragmatisch. An einem Tag Anfang August sagte sie mir, dass sie nun ihren Lebensende-Plan ausführen würde, der darin bestand, nicht mehr zu essen und zu trinken.

      Ich hatte so hart dafür gekämpft, dass dieser Augenblick nicht kam. Und doch war ein Teil von mir so erschöpft, dass der Gedanke, nicht länger unter der dunklen Last Annes ständiger Betreuung leben zu müssen, etwas Befreiendes hatte – was meinem Schmerz zusätzlich um Schuldgefühle verstärkte. Ich wollte, dass sie bei mir blieb, wusste aber, dass ich selbst am Ende war. Mein linkes Knie war durch das viele Heben von Annes Körper zerstört. Ich litt unter ständigen Rückenschmerzen. Um überhaupt noch durchzuhalten, verbrachte ich die Nächte damit, meine Glieder mit Eisbeuteln zu kühlen. Ich musste zwei Mal pro Woche zum Chiropraktiker, manchmal öfter. Ich konnte nicht schreiben, weswegen wir uns erneut in einer gefährlichen finanziellen Abwärtsspirale befanden.

      Die Wahrheit war, dass ihre Krankheit uns beide vollkommen erschöpft hatte. Ich sah, wie sie mich ansah, während ich sie hochhob, kochte, putzte und so weiter. Trotz unserer Helfer schaffte ich es nicht länger, und das wusste sie.

      Da sie nicht mehr reisen konnte, sahen wir unsere Enkelkinder nur noch, wenn sie uns besuchten, was nur selten möglich war. Doch Anne war sicher, dass wir für unsere Enkel wertvoll waren. »Whitley, wir kennen einige der größten Geheimnisse des Lebens. Wir müssen das weitergeben.« Das beschäftigte sie sehr. Sie wusste: Wenn sie wenigstens einen von uns beiden rettete, würden unsere Enkel von unserem Wissen profitieren.

      Ich hatte ihr gesagt, dass ich auch nicht weiterleben wollte, wenn sie ging. Ich fürchtete den Tod genauso wenig wie sie.

      Sie bestand darauf, dass ich für unsere Kinder hierbleiben und dieses Buch zu Ende schreiben sollte. Schließlich willigte ich ein, und heute weiß ich, dass es die richtige Entscheidung war. Auf einer tieferen Ebene, jenem Teil des Lebens, den wir nicht sehen, gab sie ihr Leben auf, um ihre Mission in die Tat umzusetzen. Ich bin dankbar und stolz, dass sie es mir anvertraute, den diesseitigen Teil dieser Mission für sie auszuführen. Ich kann nur hoffen, dass meine Bemühungen der an mich gestellten Aufgabe gerecht werden.

      An diesem ersten Abend ihres Sterbens saß ich neben ihr, während sie schlief. Doch konnte ich nicht aufhören zu weinen und musste aus dem Zimmer gehen, um sie nicht aufzuwecken. Was sie tat, war das wohl Schwerste, was ein Mensch durchmachen kann. Ich wollte es ihr nicht dadurch noch schwerer machen, dass sie meine Seelenqual miterleben musste.

      Ich hoffte, dass sie am nächsten Morgen ihre Meinung ändern würde. Aber als sie aufwachte, war sie noch fester entschlossen. Da brach mir das Herz, und ich konnte nicht anders, als laut zu weinen. Sie strich mir sanft über die Wange und sagte: »Welchen Wert hätte mein Leben gehabt, wenn niemand um mich trauern würde?«

      Nun freute ich mich, dass sie meinen Schmerz sah, und die Trauer brach einfach aus mir heraus. Sie wurde um so heftiger, je mehr ich sie zu unterdrücken versuchte. Sie streichelte mit ihrer gesunden Hand meinen Kopf und ließ es einfach geschehen. Sie weinte nicht. Das hätte ich an ihrer Stelle auch nicht getan. Es war eine schwere Entscheidung, bedeutete für sie aber auch Erleichterung.

      So, wie sie keine Angst hatte, war sie auch nicht traurig. Stattdessen war der bewussteste Mensch, der mir je begegnet ist, meine geliebte Frau, ganz und gar bereit für den nächsten Schritt.

      Den ganzen Morgen unterhielten wir uns leise, nebeneinander in unseren Sesseln sitzend. Die Krankenpflegerinnen kamen und gingen. Wir sprachen mit ihnen nicht über Annes Entscheidung. Stattdessen blickten wir auf unser gemeinsames Leben zurück, das so reich an wundervollen Momenten gewesen war.

      Ich erinnerte mich, wie sie in der Lady Chapel der St. Patrick’s Cathedral in New York auf mich zu ging, wunderschön in ihrem blauen Kleid mit den bordeauxroten Rosen an der Taille. Es war nicht gerade eine große Hochzeit. Wir hatten nur zweihundert Dollar. Einige Freunde waren da, eine Kusine mit ihrem Mann, meine Mutter, ein Priester und ein verschlafener Messdiener. Aber es war der wunderbarste Tag unseres Lebens.

      Unsere besten Freunde waren aus Washington angereist. Sie konnten sich kein Hotel leisten, also verbrachten wir unsere Hochzeitsnacht in unserer winzigen Wohnung, und sie übernachteten in unserem Wohnzimmer. Es war uns egal. Wir waren so glücklich.

      Dann verbrachten wir sieben lange Jahre damit, einen Verlag zu finden und mich als Schriftsteller zu etablieren. Anne wurde meine Muse und Lektorin. Sie ging wieder zur Schule und machte einen Abschluss in Englischer Literatur, um in diesen beiden Aufgaben noch besser zu werden.

      Ab und zu kam es vor, dass ich aufgab und meine Schreibmaschine in den Müll warf. Unvermeidlich, wenn ich am nächsten Nachmittag von der Arbeit kam, stand alles wieder an seinem Platz, oft mit Notizen von Anne, in denen sie Vorschläge machte, wie es mit der Geschichte weitergehen könne, an der ich gerade schrieb. Schließlich, nach einem halben Dutzend Romanen und Hunderten von Absagen, kaufte ein Verlag The Wolfen (Wolfsbrut). Sogleich wurde Anne schwanger, und ehe wir uns versahen, hatten wir ein Buch in den Buchläden und ein Baby im Haus. (Dort, wo wir inzwischen wohnten, gab es ein Zimmer mehr.)

      So vieles änderte sich. Das alles war zugleich schwierig und machte großen Spaß. Und uns beide gegenseitig zu entdecken, war ebenfalls eine große Freude.

      Hinter Anne lag eine schwierige Kindheit. Sie durfte nie den Mund aufmachen und musste viel erdulden. Ihre Meinung zählte nicht und ihre Gefühle wurden missachtet.

      Jetzt, in der Beziehung zu mir, fragte sie sich, ob sich das geändert hatte. Ich liebte sie, das wusste sie, aber konnte ich sie so ertragen, wie sie wirklich war?

      Also versuchte sie – wohl eher unbewusst –, das auszutesten.

      Während unserer ersten gemeinsamen Monate, merkte ich ihr an, dass sie ihre Wut unterdrückte. Ich gab ihr nicht oft Anlass, wütend zu werden, aber unsere Beziehung war neu, und unvermeidlich kam es zu Spannungen. Doch wenn sie spürbar wütend oder enttäuscht war, verbarg sie das unter einem Lächeln.

      Wenn ich das sah, sagte ich: »Habe ich dich wütend gemacht?« Das verneinte sie dann, worauf ich lachte und sie die Lippen anspannte.

      Schließlich geschah das, was ich instinktiv gehofft hatte: Ihr ganzer unterdrückter Ärger kochte über und ergoss sich über mich. Das passierte, als ich davon sprach, wieder nach London zu ziehen, wo ich in dem Jahr, bevor wir uns trafen, gelebt hatte.

      Sie stieß wütend hervor: »Dann geh doch! Verlass mich! Verschwinde aus meinem Leben!« Sie brach in Tränen aus, und ich auch. Aber damit war es noch nicht vorbei. Ihre Wut hatte sich Bahn gebrochen, und ihr Blick war voller Angst. Sie schimpfte weiter, verlor völlig die Kontrolle und fürchtete gleichzeitig, dass sie mich damit vertrieb.

      Anne hatte nie gelernt, dass sie ein Recht auf ihre eigenen Gefühle hatte, auf ihre Wut und ihr Glücklichsein, auf Liebe und alles, was in ihr vorging.

      Sie schrie, ich solle auf der Stelle verschwinden, sie könne meinen Anblick nicht mehr ertragen. Da ich selbst aus einer Familie komme, in der nur selten jemand die Stimme erhob, erschrak ich furchtbar. Aber ich sah auch, dass Anne für lange