hinten stand CC de Poitiers, die einen flauschigen weißen Pullover aus Kaschmir oder Mohair trug. Neben ihr stand der Ehemann, mit gerötetem Gesicht und stumm wie ein Fisch. Neben ihm wiederum stand ein dickes Mädchen, das ein ärmelloses quietschrosa Strandkleid trug. Ihre Unterarme zierten dicke Wülste, und die Speckrollen um ihren Bauch ließen sie in dem engen Kleid wie ein dahinschmelzendes Erdbeereis aussehen. Es war grotesk.
Aber sie hatte ein schönes Gesicht. Clara hatte das Kind schon gesehen, wenn auch immer nur aus größerer Entfernung und mit verdrossener, unglücklicher Miene. Aber jetzt war das Gesicht zu den Deckenbalken mit den Lichterketten gehoben und trug einen Ausdruck, in dem Clara Seligkeit erkannte.
»O wie lacht«. Cries außerordentliche Stimme spielte zwischen dem Gebälk mit den Lichtern, dann schlüpfte sie unter der Tür der alten Kapelle nach draußen und tanzte mit den sanft herabschwebenden Schneeflocken und den abgestellten Autos und kahlen Ahornbäumen. Die Worte des alten Weihnachtsliedes glitten über den zugefrorenen Teich, ließen sich in den Weihnachtsbäumen nieder und drangen in jedes glückliche Heim in Three Pines.
Nach dem Gottesdienst eilte der Pfarrer zur Christmette im benachbarten Cleghorn Halt.
»Joyeux Noël«, sagte Peter zu Gabri, als sie sich auf den Stufen vor der Kirche zu dem kurzen Gang durch das Dorf zu Emilies Haus versammelten. »Was für eine schöne Nacht.«
»Und was für ein schöner Gottesdienst«, sagte Clara, die neben Peter trat. »War die Stimme dieses Kindes nicht unglaublich?«
»Nicht schlecht«, gab Gabri zu.
»Nicht schlecht?« Mother Bea watschelte zu ihnen, Kaye an ihrem Arm wie einen Muff und Emilie an der anderen Seite. »Sie war wirklich unglaublich. Ich habe noch nie eine solche Stimme gehört, ihr vielleicht?«
»Ich brauche was zu trinken«, sagte Kaye. »Wann gehen wir endlich?«
»Jetzt gleich«, beruhigte Em sie.
»Olivier holt das Essen aus dem Bistro«, sagte Gabri. »Wir haben gedünsteten Lachs gemacht.«
»Willst du mich heiraten?«, fragte Myrna.
»Ach, das fragst du doch bestimmt jedes Mädchen«, sagte Gabri.
»Nein, du bist die Erste«, bekannte Myrna und lachte. Aber das Lachen verging ihr rasch.
»Du bist eine dumme Göre«, hörten sie eine Stimme auf der anderen Seite der Kirche zischen. Alle erstarrten, die Worte, die durch die frostige Nachtluft schnitten, brachten sie unvermittelt zum Verstummen. »Alle Leute haben dich angestarrt. Wie peinlich!«
Es war CCs Stimme. Die Kirche hatte einen Seiteneingang, von dem aus ein Pfad zur Rue du Moulin und zu dem alten Hadley-Haus führte. CC musste dort im Schatten der Kirche stehen.
»Sie haben dich ausgelacht. ›Halleluja tönte es laut von fern und nah‹«, sang CC mit kindlicher, falscher Stimme. »Und was du anhast. Bist du krank? Ich glaube, du bist nicht mehr ganz zurechnungsfähig.«
»Also wirklich, CC«, war eine männliche Stimme zu vernehmen, so unterwürfig und leise, dass sie kaum die Schneeflocken durchdrang.
»Sie ist deine Tochter. Sieh sie an. Fett, hässlich und faul. Genau wie du. Hast du vielleicht nicht alle Tassen im Schrank, Crie? Ist es das? Hm? Ist es das?«
Keiner der Freunde rührte sich, so als versteckten sie sich vor einem Ungeheuer, leise flehend, bitte, bitte, jemand würde es zum Schweigen bringen. Irgendjemand anderes.
»Und du hast dein Geschenk ausgepackt, du selbstsüchtiges Kind.«
»Aber du hast doch gesagt, dass ich …«, war die leise Erwiderung zu hören.
»Ich, ich, ich. Das ist alles, was ich von dir höre. Hast du dich überhaupt bedankt?«
»Danke für die Schokolade, Mommy.« Die Stimme und das Mädchen wurden immer kleiner, so als wollten sie verschwinden.
»Zu spät. Es zählt nicht mehr, wenn ich erst darum betteln muss.« Das Ende des Satzes ging im Klackern von CCs Schuhen auf dem Weg unter, das klang, als liefe sie auf Krallen.
Die Gemeinde stand wortlos da. Neben Clara fing Gabri an zu summen, tief und langsam, dann formte er fast unhörbar die Worte des alten Weihnachtsliedes: »Traurig, seufzend, blutend, sterbend, eingemauert in dem kalten steinernen Grab.«
Sie waren dem Ungeheuer entkommen. Statt ihrer hatte es ein verängstigtes Kind verschlungen.
7
»Joyeux Noël, tout le monde«, strahlte Em ein paar Minuten später, als sie ihren Gästen die Haustür öffnete. Ihr ein Jahr alter Schäferhund Henri raste zur Tür hinaus und sprang jeden Neuankömmling an, bevor er mit einem Stück Weihnachtskuchen zurück in die Diele gelockt werden konnte. Das fröhliche Durcheinander trug dazu bei, das Unbehagen, das nach CCs Grobheiten zurückgeblieben war, vergessen zu lassen. Das gesamte Dorf schien gleichzeitig einzutreffen, die Leute liefen die Stufen zu Ems breiter Veranda hoch und schüttelten den Schnee von Hüten und Mänteln.
Emilies Haus war ein riesiges altes Schindelhaus, das genau gegenüber dem der Morrows auf der anderen Seite des Angers stand. Olivier, die Platte mit dem Lachs auf dem Arm, blieb außerhalb des Lichtkreises, der auf die Veranda fiel, stehen.
Es berührte ihn jedes Mal wieder, wenn er sich Ems hübschem Haus näherte, besonders nachts. Es war, als beträte er eines der Märchen, die er im Schein einer Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen hatte und in denen es von rosenüberwucherten Cottages und schmalen steinernen Brücken, glühenden Feuerstellen und Paaren, die sich zufrieden an den Händen hielten, wimmelte. Sein erleichterter Vater hatte gedacht, er würde den Playboy lesen, aber stattdessen tat er etwas unendlich Genussvolleres und Gefährlicheres. Er träumte von dem Tag, an dem er sich seine eigene Märchenwelt erschaffen würde, zumindest teilweise hatte er das mittlerweile geschafft. Er hatte seinen Prinzen gefunden. Und wenn er Ems Cottage sah, dessen warmes gelbes Licht ihm schon von fern den Weg leuchtete, dann wusste er, dass er in ebenjenes Buch trat, mit dem er sich getröstet hatte, als die Welt kalt, hart und ungerecht zu sein schien. Jetzt lächelte er und ging auf das Haus zu, seine Gabe für den Weihnachtsabend vor sich her tragend. Er ging vorsichtig, damit er nicht auf dem Eis ausrutschte, das möglicherweise unter der dünnen Schneedecke lag. Das reine Weiß war schön und gleichzeitig gefährlich. Man wusste nie genau, was sich darunter verbarg. Ein Winter in Québec konnte einen sowohl verzaubern als auch umbringen.
Die Gäste trugen das mitgebrachte Essen in die allseits bekannte Küche und beluden Herd und Ofen mit immer mehr Eintöpfen und Pies. Schüsseln, bis an den Rand mit kandiertem Ingwer, Früchten und Kirschen mit Schokoladenglasur gefüllt, machten sich den Platz auf dem Küchenbüfett mit Puddings, Kuchen und Plätzchen streitig. Die kleine Rose Lévesque starrte zu dem bûche de Noël hoch, dem traditionellen Weihnachtskuchen in Form eines Baumstamms aus Biskuit und Buttercreme, ihre winzigen, pummeligen Finger klammerten sich an das mit Weihnachtsmännern, Rentieren und Weihnachtsbäumen bestickte Tischtuch. Im Wohnzimmer bereiteten Ruth und Peter Drinks zu, Ruth schenkte sich Scotch in ein Glas, von dem Peter wusste, dass es eine Vase war.
Die Lichter auf dem Baum brannten, und die Vachon-Kinder saßen daneben und lasen die Namensschildchen an dem Berg von bunt eingewickelten Geschenken auf der Suche nach den ihren. Die Wangen einiger Gäste glühten so rot wie das Feuer im Kamin. Im Esszimmer bog sich der ausgezogene Tisch ächzend unter den Schmortöpfen und tourtières, hausgemachten Baked Beans und gepökeltem Schinken. Am Kopfende des Tisches thronte würdevoll ein Truthahn. Die Mitte des Tisches war wie jedes Jahr einem von Myrnas prächtigen Blumenarrangements vorbehalten. Dieses Jahr war es ein Gesteck aus Tannenzweigen und einer wunderschönen Amaryllis. In dem kleinen Tannenwald steckte in einem Bett aus Mandarinen, Cranberrys und Schokolade ein Lautsprecher, aus dem leise kanadische Weihnachtslieder erklangen.
Olivier trug den im Ganzen gedünsteten Lachs zu Tisch. Für die Kinder, die sich, ganz ohne Aufsicht, mit Süßigkeiten vollstopften, wurde ein Punsch zubereitet.
In dieser Weise feierte Emilie