Baum, suchten nach Geschenken und lachten an dem mit Eisblumen überzogenen Fenster, das zu den im Lichterglanz erstrahlenden Bäumen auf dem Dorfanger hinaussah. Das Konzert erfüllte den ganzen Raum und einen segensreichen Moment lang konnte Em mit geschlossenen Augen so tun, als spiele nicht Yehudi Menuhin, sondern ein anderer.
Die Weihnachtsabende glichen sich stets. Aber dieser war schlimmer als die meisten. Sie hatte zu viel gehört. Zu viel gesehen.
Plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte.
Der Morgen des ersten Weihnachtsfeiertags zog klar und sonnig herauf, die mit dem gestrigen Schnee überzuckerten Zweige der Bäume brachten die Welt zum Glitzern. Clara öffnete die Tür ihres Windfangs, um Lucy, den Golden Retriever, hinauszulassen, und atmete tief die frische Luft ein.
Der Tag ging friedlich dahin. Peter und Clara öffneten ihre Strümpfe, die mit Rätselheften, Zeitschriften, Süßigkeiten und Orangen gefüllt waren. Aus Peters Strumpf quollen Cashewkerne, und die Gummibärchen aus dem von Clara hielten nicht lange vor. Bei Kaffee und Pancakes zum Frühstück öffneten sie ihre größeren Geschenke. Peter war entzückt über seine Armani-Uhr und legte sie gleich um, wobei er den Ärmel seines Frottebademantels weit über seinen Ellbogen schob, damit er sie besser bewundern konnte.
Dann kramte er mit großem Trara unter dem Baum herum und tat so, als finde er das Geschenk für sie nicht mehr, bis er schließlich mit hochrotem Kopf wieder auftauchte.
Er reichte ihr etwas in Rentiergeschenkpapier gewickeltes Rundes.
»Bevor du es auspackst, möchte ich dir etwas sagen.« Er wurde noch ein wenig röter. »Ich weiß, wie sehr dich diese Sache mit Fortin und CC verletzt hat.« Sie wollte protestieren, aber er bedeutete ihr zu schweigen. »Ich weiß auch von Gott.« Er fühlte sich unglaublich dumm, als er das sagte. »Ich meine, du hast mir erzählt, dass du Gott auf der Straße begegnet bist, obwohl du wusstest, dass ich es nicht glauben würde. Ich wollte dir nur sagen, dass ich es zu schätzen weiß, dass du mir davon erzählt und darauf vertraut hast, dass ich dich nicht auslachen würde.«
»Aber das hast du doch getan.«
»Gut, aber nicht sehr. Jedenfalls wollte ich dir sagen, dass ich darüber nachgedacht habe, und du hast recht, ich glaube nicht, dass Gott eine Obdachlose …«
»Was denkst du denn, wer oder was Gott ist?«
Er wollte ihr nur ein Geschenk überreichen, und sie – sie löcherte ihn mit Fragen nach Gott.
»Du weißt, was ich glaube, Clara. Ich glaube an Menschen.«
Sie verstummte. Sie wusste, dass er nicht an Gott glaubte, und das war natürlich in Ordnung. Das war selbstverständlich ganz allein seine Sache. Aber sie wusste auch, dass er nicht wirklich an Menschen glaubte. Zumindest dachte er nicht, dass sie gut, freundlich und wunderbar waren. Vielleicht hatte er das einmal getan, aber nach dem, was mit Jane passiert war, sicher nicht mehr.
Jane war ermordet worden, und dabei war auch in Peter etwas gestorben.
Nein, sosehr sie ihren Mann auch liebte, sie musste sich eingestehen, dass das Einzige, woran er glaubte, er selbst war.
»Das stimmt nicht«, sagte er und setzte sich neben sie auf das Sofa. »Ich weiß genau, was du denkst. Ich glaube an dich.«
Clara blickte in sein ernstes, schönes Morrow-Gesicht und küsste es.
»CC und Fortin sind Idioten. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich deine Arbeiten nicht verstehe, sie vielleicht niemals verstehen werde, aber ich weiß, dass du eine großartige Künstlerin bist. Ich weiß es hier.«
Er berührte seine Brust, und Clara glaubte ihm. Vielleicht drang sie endlich zu ihm durch. Vielleicht wurde er auch nur besser darin, ihr zu sagen, was sie hören wollte. Beides war ihr recht.
»Pack dein Geschenk aus.«
Clara riss ungeduldig das Papier auf. Peter konnte kaum zusehen. Er fing die durch die Luft fliegenden Fetzen auf und strich sie glatt.
Es war eine Kugel. Was wenig überraschend war. Überraschend war dagegen ihre Schönheit. Sie schien in ihren Händen zu leuchten. Sie war mit einem schlichten Bild bemalt. Drei Bäume, von Schnee bedeckt. Darunter stand ein einziges Wort, Noël. Bei all seiner Schlichtheit war das Bild weder grob noch naiv gemalt. Es war von einem Stil, wie ihn Clara noch nie gesehen hatte. Eine leichte Eleganz. Eine sich ihrer selbst gewisse Schönheit.
Clara hielt sie gegen das Licht. Wie konnte eine bemalte Kugel so sehr leuchten? Dann sah sie näher hin. Und lächelte. Sie blickte zu Peter, der sie erwartungsvoll beobachtete. »Die Farbe ist überhaupt nicht außen. Sie ist ganz aus Glas. Die Farbe ist innen. Kaum zu glauben.«
»Gefällt sie dir?«, fragte er leise.
»Sie ist wunderbar. Wie du. Danke, Peter.« Sie umarmte ihn, ohne die Kugel wegzulegen. »Es muss ein Weihnachtsschmuck sein. Glaubst du, es ist ein Bild von Three Pines? Die drei Bäume darauf sehen genau aus wie die Kiefern auf unserem Dorfanger. Aber ich denke mal, drei Nadelbäume, die zusammenstehen, sehen immer so aus. Ich finde sie wunderschön, Peter. Es ist das schönste Geschenk, das es gibt. Und ich werde auch nicht fragen, woher du es hast.«
Dafür war er ihr dankbar.
Um elf Uhr war die Kastanienfüllung im Truthahn und der Truthahn im Ofen, er erfüllte das Haus mit noch mehr wunderbaren weihnachtlichen Düften. Peter und Clara beschlossen, einen Spaziergang zum Bistro zu machen, und begegneten auf dem Weg einigen Nachbarn. Bei den meisten brauchten sie einen Moment, um sie zu erkennen, weil sie offenbar in ihren Weihnachtsstrümpfen neue Mützen gefunden hatten, nachdem die lieb gewordenen alten von Hunden und Kätzchen angenagt worden waren. Den ganzen Winter über spielten die Haustiere mit den Bommeln der Mützen, bis die meisten Dorfbewohner schließlich irgendwann wie Kerzen aussahen, mit einem Docht auf dem Haupt statt des Wollballs.
Im Bistro angekommen, entdeckte Clara Myrna, die mit einem Glas Glühwein am Kamin saß. Sie kämpften sich aus ihren Mänteln, die sie offenbar nicht aus ihrer Umarmung lassen wollten, und legten ihre Mützen und Handschuhe auf den Heizkörper, damit sie warm blieben. Fortwährend trafen fröhlich lachende Dorfbewohner mit ihren Kindern ein, die vom Langlaufen oder Schneeschuhlaufen kamen, mit dem Schlitten den Hügel an der Mühle hinuntergesaust oder auf dem Teich Schlittschuh gelaufen waren. Einige machten sich gerade auf den Weg zum Mont St. Rémy, wo sie nachmittags Ski fahren wollten.
»Wer ist das?« Myrna deutete auf einen Mann, der allein an einem Tisch saß.
»Monsieur Molson Canadian. Er bestellt immer ein Molson Canadian. Knickert nicht beim Trinkgeld«, sagte Olivier und stellte zwei Irish Coffee vor Clara und Peter auf den Tisch und dazu ein paar Lakritzpfeifen. »Fröhliche Weihnachten.« Er küsste sie beide, dann nickte er zu dem Fremden. »Er ist vor ein paar Tagen aufgetaucht.«
»Vielleicht hat er sich irgendwo eingemietet«, sagte Myrna. Es war ungewöhnlich, Fremde in Three Pines zu sehen, weil es schwer zu finden war und nur selten jemand zufällig darüber stolperte.
Saul Petrov nippte an seinem Bier und biss in sein mit Roastbeef, schmelzendem Stilton und Rucola belegtes Baguette. Daneben lag auf dem Teller ein immer kleiner werdender Haufen von leicht gesalzenen Strohkartoffeln.
Es war vollkommen.
Das erste Mal seit Jahren fühlte sich Saul wieder wie ein Mensch. Er hatte nicht vor, diese freundlichen Leute anzusprechen, aber er wusste, wenn er es täte, würden sie ihn an ihren Tisch einladen. Genau diesen Eindruck machten sie jedenfalls. Ein paar hatten schon in seine Richtung gelächelt und ihre Gläser gehoben, ein »Santé« und »Joyeux Noël« mit den Lippen geformt.
Sie machten einen netten Eindruck.
Kein Wunder, dass CC sie verachtete.
Saul tauchte ein Kartoffelstäbchen in die winzige Mayonnaiseschüssel und fragte sich, wer von ihnen wohl der Künstler war. Der diesen erstaunlichen, schmelzenden Baum geschaffen hatte. Er wusste nicht einmal, ob es ein Mann oder eine Frau war.
Vielleicht sollte