verantwortlich, die dem Hier und Jetzt aus damals vernünftigen Erwägungen heraus stets den Vorrang vor der Zukunft gab. Nähert sich der Säbelzahntiger, ist es nämlich besser, eiligst davonzulaufen, als zum Beispiel unbeirrt mit dem Bau einer Behausung fortzufahren, die einen in den kommenden Jahren besser vor Regen und Wind schützen wird. Je weiter ein Ereignis in der Zukunft liegt und je weniger es damit für uns unmittelbar zu spüren ist, desto schlechter können wir ein solches Problem erkennen.
Sowohl bei Corona als auch beim Klimawandel handelt es sich um weltweite Ereignisse, die an keiner Grenze Halt machen. Aber Corona findet praktisch genau auf unserer Zeitskala statt. Die Bedrohung ist unmittelbar und konkret. Es geht um Wochen und Monate. Wir sehen die Bilder, wir wissen, dass wir selbst, unsere engsten Verwandten oder besten Freunde von heute auf morgen betroffen sein können, und hoffen ebenso, dass wir diese Krise in einer überschaubaren Zeit bewältigen können.
Beim Klima stimmt die Zeitskala für unser Empfinden nicht. Die Bedrohung ist deshalb abstrakt und diffus. Hier geht es um Jahre oder Jahrzehnte und darum funktioniert der Begriff »Krise« auch nicht mehr, dem sprachlich ein eher kürzerer Zeitraum zugeordnet wird. Wir haben es beim Klima mit einem fundamentalen Wandel zu tun, dem wir nur durch eine Transformation in vielen Bereichen unserer Gesellschaft erfolgreich begegnen können. So langsam der Klimawandel beginnt, so lange wird er dauern – wohl weit über das Lebensende von uns oder unseren Kindern hinaus. Nicht umsonst laufen Modellrechnungen und Klimaprojektionen oft bis zum Jahr 2100 oder länger. Dass sich die Klimaveränderung trotzdem – schleichend natürlich – in unserem Bewusstsein festsetzt, hat mit dem Wetter zu tun: Das wird extremer und genau das fühlen wir! Wenn man so will, fühlt sich der Klimawandel ein bisschen an wie das Blätterrauschen, das die ersten Windböen vor einem kräftigen Gewitter erzeugen. Die Wolken sind düster, die Stimmung ist sorgenvoll und man hofft, dass das Schlimmste vorbeizieht. Wir fangen gerade erst an, den Luftzug des »Klima-Asteoriden« wirklich zu spüren.
Covid-19 – der »kleine Bruder« des Klimawandels?
Lassen Sie uns trotz aller offensichtlichen Unterschiede versuchen, Corona einmal als »Klimawandel in kleinem Maßstab« zu lesen. Dann ist zweifellos die erste Erkenntnis, dass wir bei Corona überwiegend auf die Wissenschaft hören. Virologen ordnen das Thema ein und viele Medien nehmen sich die Zeit, deren Erkenntnisse differenziert zu vermitteln. Dabei wird akzeptiert, dass Forschung ein Entwicklungsprozess ist, bei dem Aussagen hier und dort korrigiert werden müssen und dass verschiedene Expertenmeinungen sich trotz großer Gemeinsamkeit in Nuancen unterscheiden können. In der Hoffnung, dass es bei diesem Verständnis für die Wissenschaft bleibt, lässt sich sagen: »Viel vernünftiger geht es nicht!« Deshalb zweifelt auch kaum jemand an der Sinnhaftigkeit von Maßnahmen, um dem Virus vorbeugend zu begegnen. Eine Anweisung, man solle überhaupt nichts unternehmen, ehe man nicht hundertprozentig weiß, woher dieses Virus kommt und warum es Menschenleben fordert, wäre im Licht der jüngsten Ereignisse geradezu absurd. Beim Klimawandel ist diese Akzeptanz, wie in diesem Buch ausführlich erläutert und begründet wird, keinesfalls dieselbe.
Schaut man sich die Datenlage an, so ist es ganz einfach: Länder, die den Ausbruch frühzeitig bemerkt haben und entsprechend der wissenschaftlichen Erkenntnisse schnell reagieren konnten, sind die erfolgreichen. Hier wurde das Gesundheitssystem nicht überlastet und es waren die wenigsten Toten zu beklagen – sicherlich das wichtigste Ziel bei der Bekämpfung dieser Pandemie. In Ländern, in denen die Wissenschaft ignoriert wurde und Staatschefs deshalb zu spät handelten oder die Gefahr mit völlig absurden Beiträgen verharmlosten, starben Menschen, die unter vernünftigerer Führung hätten überleben können. Wäre genau das nicht so unglaublich tragisch und abstoßend, dann wäre es fast heiter, sich anzusehen, wie diese Populisten tölpelgleich durch die Welt irrlichtern. Auch wenn es in diesem Buch nochmals wiederholt werden wird, möchte ich meinem Wunsch bereits hier Ausdruck verleihen, solche Gestalten schlicht nicht zu wählen. Sie lösen keine Probleme, sie schaffen nur welche.
Insgesamt sei aber festgestellt, wie wohltuend es ist, dass von den typischen Vereinfachern, Schuldzuweisern und Kurzdenkern in diesem Land während der Krise wenig zu hören ist. Peter Dabrock, der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, sagte in einem Interview am 7. April 2020 deshalb auch den klugen Satz, dass die Coronakrise die Stunde demokratisch legitimierter Politik sei. Es ist zu hoffen, dass im Verlauf der Krise weiterhin demokratisch und sachbezogen agiert wird. Das würde den großen und von mancher Seite längst vergessenen Wert dieser freiheitlichen Staatsform unterstreichen.
Darüber hinaus bietet sich – beide Krisen gemeinsam betrachtet – die Möglichkeit, die Generationen stärker zusammenzuführen und mehr gegenseitige Solidarität zu üben. Bei Corona müssen die jungen Menschen zum Schutz der Alten beitragen und beim Klimawandel sind die Älteren in der Pflicht, ihr Verhalten im Sinne der Jüngeren zu ändern. Hans Joachim Schellnhuber, der lange Jahre das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) geleitet hat, spricht hier von der konkreten Idee eines »Klima-Corona«-Vertrages zwischen den Generationen.
Der Klimaeffekt einer globalen Quarantäne
Derzeit gibt Corona alle zögerlichen Klimapäckchen, welche die Regierungen in unserem und in anderen Ländern dieser Welt geschnürt haben, der Lächerlichkeit preis. Das kleine Virus leistet hier ungleich mehr, macht aber auch den Unterschied von Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit deutlich sichtbar. Auch wenn es noch sehr viele Unsicherheiten gibt, wie lange diese Krise dauert und welche konkreten Auswirkungen sie auf die Wirtschaft haben wird, so gibt es doch einige Studien, die bereits jetzt zu berechnen versuchen, um welchen Anteil die CO2-Emissionen weltweit aufgrund der Coronakrise zurückgehen werden. Da wir zwar weniger reisen, aber weiterhin viel transportieren, produzieren, heizen und kühlen, sind derzeit häufig Angaben von rund 5 oder 6 Prozent für 2020 zu finden. Trotz aller Unsicherheiten gibt uns das ein Gefühl für die Größenordnung, mit der wir es ungefähr zu tun haben. Und die liegt in der Gegend dessen, was notwendig ist, um bis zum Jahr 2100 das auf der UN-Klimakonferenz in Paris im Jahr 2015 beschlossene Ziel einer maximalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu erreichen. Hierfür wäre nämlich eine Reduktion von 7,6 Prozent – und zwar jährlich und das bis zur Mitte des Jahrhunderts – erforderlich.
Betrachtet man unseren Shutdown, so erleben wir derzeit »ganz schön viel Nichts«, und trotzdem spart dieses magere Dasein nur ein paar Prozent unserer Emissionen ein. Liefe unsere Wirtschaft nach Corona nun ohne irgendwelche Konsequenzen wieder im altem Modus, also gleichsam mit dem Hyperkonsum für eine Minderheit der Erdbevölkerung, an, so würden die bisherigen Emissionsreduktionen wie in früheren Krisen, beispielsweise der Finanzkrise 2008, wohl schnell überkompensiert. Dies auch deshalb, weil das für den Klimaschutz benötigte Geld jetzt natürlich in den – vielfach notwendigen – Rettungspaketen steckt.
Wo müssen wir hin?
Den meisten von uns ist völlig klar, dass die bedingungslose Expansion, die der Philosoph und Publizist Richard David Precht einmal als »Droge der Wertfreien« bezeichnet hat, schlicht keine Zukunftsoption ist. Erst recht keine Option ist es aber, Klimaschutz in der Weise des aktuellen Lebens mit Corona, sprich durch einen dauerhaften Shutdown, betreiben zu wollen – das käme dem absurden Wunsch nach »zurück in die Höhle« gleich. Deshalb wird an dieser Stelle fast von allein klar, dass wir jetzt und nicht in aufgeschobener Zukunft den »Green Deal« brauchen.
Corona donnert als eine regelrechte Schockwelle über unseren Planeten und die Frage ist nun, ob diese den Fortgang unserer modernen Zeit erheblich hemmen oder kräftig beschleunigen wird. Die Wahl steht uns offen: Wenn wir einsehen, dass wir durch die zu große Einmischung in weltweite Ökosysteme die Sicherheit unserer Gemeinschaftsgüter und damit viele Bereiche von unserer Gesundheit bis hin zu einem in für uns notwendigem Rahmen stabilen Klima gefährden, dann wächst auch die Bereitschaft, wirtschafts- und sozialpolitische Fehler unseres Systems ernsthaft zu korrigieren.
Am Ende schließt sich der Kreis, denn »flatten the curve« gilt für Corona und den Klimawandel gleichermaßen. Wir müssen mit aller Kraft versuchen, eine Überbelastung des Systems zu vermeiden. Bei Corona geht es