den Autor
Prolog
David Ryan drehte sich seitwärts und schob sich durch die Lücke zwischen einem Paillettenkleid auf der einen und einem Anzug auf der anderen Seite. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Kopf, um die Menge zu überblicken. Er lächelte, als er das blonde Haar seiner Frau entdeckte, kaum drei Meter entfernt. Ein Arm stieß ihn an und Champagner schwappte gegen die Ränder der drei Gläser, die er in seinen Händen balancierte. Mit vorsichtigen Schritten schob er sich durch die dichte Menschenmenge, bis er endlich wieder bei seiner Frau Christine war, die sich mit Mike Williams unterhielt, seinem leitenden Chefentwickler und guten Freund. Erleichtert reichte er ihnen ihre Gläser.
Als er sich umsah, bemerkte David, dass die jährliche Weihnachtsparty der Avogadro Corporation komplett aus dem Rahmen fiel, so wie es jeder erwartet hatte. Ein weiteres erfolgreiches Jahr bei der größten Internetfirma der Welt bedeutete auch eine weitere Party ohne Kompromisse. Avogadro hatte das Konferenzzentrum von Portland angemietet, die einzige Einrichtung, die groß genug war, um die hiesigen 10.000 Mitarbeiter der Avogadro Corp. aufzunehmen. Diesjähriges Thema waren die Wilden Zwanziger. Während eine Jazzband spielte, tanzten die sonst zurückhaltenden Avogadro Nerds und betranken sich rasch am kostenlosen Alkohol. Gläser klirrten, Lichter blitzten und Lachen erklang von überall her. David warf einen Blick auf Christine, die in ihrem schwarzen Paillettenkleid umwerfend und exotisch aussah. Er lächelte wieder, glücklich, weil es etwas zu feiern gab. Sein Projekt war erfolgreich. Er war mit einer wunderschönen, brillanten Frau verheiratet. Er hatte in Mike einen großartigen Freund und technischen Leiter. Er hatte allen Grund, glücklich zu sein.
Als David sich mit einem Schluck Champagner selbst gratulierte, stupste Mike seinen Arm an, was das Glas einmal mehr zum Überschwappen brachte. »Da kommt Sean«, sagte Mike, wobei sich seine Augenbrauen respektvoll hoben.
David zögerte, fühlte selbst ein wenig Ehrfurcht. Sean Leonov, der Mitbegründer von Avogadro, hatte in der Firma den Status eines Halbgottes inne. Obwohl David von ihm persönlich eingestellt worden war, änderte das nichts an der Heldenverehrung, die er in seiner Gegenwart empfand. Sean war ein brillanter Wissenschaftler, der nicht nur Avogadros ursprüngliche Suchalgorithmen entwickelt und die Firma gemeinsam mit Kenneth Harrison gegründet hatte, sondern auch weiterhin Forschungsberichte veröffentlichte, während er half, Avogadro zu leiten.
»Hallo David, Mike, Christine, frohe Weihnachten«, begrüßte sie Sean und bewies damit sein erstaunliches Gedächtnis, das nur eines seiner vielen Talente war. Er legte einen Arm um Davids Schultern, schüttelte dann die Hände von Christine und Mike. Danach drehte er sich zu David um und lächelte. »Es ist schon eine Weile her, dass wir miteinander gesprochen haben, aber es ist mir zu Ohren gekommen, dass ihr tolle Fortschritte mit eurem Projekt gemacht habt. Wann bekomme ich eine Vorführung?« »Jederzeit, wenn Sie es wollen, wir sind bereit«, antwortete David. »Ich denke, die Resultate sind vielversprechender als erwartet.« »Das höre ich gern. Schickt mir eine E-Mail, dann lasse ich einen Termin machen. Aber was hat es mit den Gerüchten auf sich, dass Ops sich über die Serverkapazitäten beklagt, die ihr benötigt?«
David stöhnte innerlich auf. Ops war die Kurzform von Operations, dem Teil von Avogadro, der für die Instandhaltung und Zuweisung aller relevanten Computerserver zuständig war. Eine Million Computer verteilt auf fast einhundert Datenzentren überall auf der Welt waren nötig, um alle Anwendungen und Webseiten von Avogadro am Laufen zu halten. Tatsächlich war Ops zur Zeit Davids Achillesferse.
David biss die Zähne zusammen und bemühte sich, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Ja, es ist richtig, dass wir mehr Rechenzeit beanspruchen als ursprünglich geplant. Aber was die Funktionalität betrifft, sind wir soweit. Benutzertests haben gezeigt, dass ELOPe sogar effektiver ist, als wir vorhergesagt haben. Die dafür notwendige Serverauslastung ist unsere letzte große Hürde. Wenn Sie erst die Ergebnisse sehen, werden Sie uns hoffentlich zustimmen, dass es die Serverlast wert ist.« Sean runzelte die Stirn. »Ich freue mich schon auf die Demonstration, aber denkt daran, dass wir das Projekt auf die richtige Größe zurechtstutzen müssen. Ich habe schon meine Beziehungen spielen lassen, um das Projekt auf die Produktionsserver zu bekommen und euch so mehr Rechenleistung zu verschaffen. Aber bevor wir veröffentlichen, müsst ihr das Serverproblem in den Griff kriegen. Hunderte von Millionen begieriger Nutzer werden sich gleich am ersten Tag der Veröffentlichung auf eure Anwendung stürzen.«
Sean lächelte höflich und neigte den Kopf, eine vertraute Geste, die David schon bei ihm gesehen hatte, wenn er von jemandem erwartete, es besser zu wissen oder besser zu machen. »Wie läuft es im Spielegeschäft?«, fragte Sean, sich Christine zuwendend. David zog sich aus dem Gespräch zurück, innerlich schäumend vor Wut über Sean, Ops und die ganze Welt.
Sean plauderte mit Christine für eine Minute über ihre Arbeit und verabschiedete sich plötzlich eilig, weil er jemanden sah, mit dem er sprechen wollte. Nachdem Sean gegangen war, wendete sich David zu Mike und ließ seinem Zorn freien Lauf. »Gary ist ein verdammter Narr, er wird das Projekt sabotieren, bevor wir die Gelegenheit haben, zu beweisen, wie erfolgreich es sein wird. Warum kann er uns nicht einfach in Ruhe lassen?«
Christine legte ihre Hand auf seinen Arm. »Du wirst mit ELOPe Erfolg haben«, versicherte sie ihm. »Gary ist gar nicht in der Lage, euer Projekt zu stoppen. Außerdem«, sie lächelte ihnen beiden zu, »werdet ihr nach der Präsentation für Sean noch mehr Unterstützung von oben haben.«
David erwiderte ihr Lächeln ohne echte Überzeugung. Im Grunde genommen mochte sie recht haben, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er immer noch wütend auf Gary war. Gary Mitchell war der Vizepräsident der Kommunikationsabteilung, zu der AvoMail, ihre firmeneigene E-Mail-Anwendung, und ihre übrigen Benutzerwerkzeuge gehörten.
Er wusste, dass Gary auf ihr gesamtes Projekt schlecht zu sprechen war. Vor sechs Monaten war klar geworden, dass ELOPe weit mehr Rechenleistung benötigen würde als das, was man normalen F&E (Forschung und Entwicklung) Projekten zugestand. David war daraufhin zu Sean Leonov gegangen. Sean entschied rasch, Davids Team Zugang zu den Produktionsservern in der Kommunikationsabteilung zu verschaffen. Sie hatten enorme Freikapazitäten und es schien deshalb eine einfache Entscheidung zu sein.
Aber Gary Mitchell nahm Sean diese Entscheidung übel. Er war nicht der Überzeugung, dass F&E Projekte Zugang zu den Produktionsservern haben sollten und erwies sich als lautstarker Gegner. Da er es nicht an Sean auslassen konnte, richtete sich sein Ärger gegen David und sein Team. Die letzten Monate hatte er nach einer Ausrede gesucht, um sie aus dem zu verbannen, was er für seine persönliche Spielwiese hielt.
Mike kicherte und versuchte die Spannung zu lösen. »Du kannst es ihm nicht vorwerfen. Wir benutzen fünfhundert mal mehr Serverleistung, als wir prognostiziert haben, was wahrscheinlich ein Rekord für jedes F&E Projekt ist. Verdammt, weißt du überhaupt, wie wenig Projekte in diesem Stadium auf dem Radar von Ops auftauchen? Nahezu jedes andere Projekt muss sich mit dem Serverpool von F&E begnügen.«
David hörte nicht zu. Inmitten des Glitzerns und der Partymusik und trotz aller Versuche von Christine und Mike, ihn aufzuheitern, fühlte David eine ätzende Verbitterung in sich aufsteigen. Er hatte so viel in dieses Projekt investiert. Ohne nachzudenken, leerte er sein Champagnerglas in einem Zug. »Ich habe ELOPe in den letzten beiden Jahren alles gegeben, was ich konnte, und wir sind verdammt nah dran. Ich werde diese Anwendung veröffentlichen, koste es, was es wolle.«
Kapitel 1
David betrat den Konferenzraum der Geschäftsführung zehn Minuten zu früh. Seine Kehle war trocken und er hatte ein flaues Gefühl im Magen. Ohne großen Erfolg versuchte er sich auf die Vorbereitung der Präsentation zu fokussieren, wollte die Nervosität beiseiteschieben, die ihn zu verschlingen drohte. Es kam nicht oft vor, dass Projektmanager eine Präsentation vor dem versammelten Führungsstab machten.
Es war eine Erleichterung als Erster einzutreffen, sodass er sich