Michael Dissieux

Graues Land


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schwarze Front der Bäume ist lediglich als grauer Schemen im morgendlichen Dunst zu erkennen. Die Wiese wirkt starr, als wäre sie über Nacht gefroren. Über kleinen Tümpeln, die sich in den Senken gebildet haben, kann ich das träge Spiel weißer Nebelschleier beobachten.

      Wenn ich früher an dieser Stelle gestanden habe, konnte ich das Geschrei der Vögel hören, die über das Gras flogen und sich im Sturzflug auf ihre Beute stürzten.

      Oder das einsame Röhren der Hirsche drang aus den Wäldern zu mir herüber.

      Jetzt höre ich gar nichts.

      Als würde ich mir ein düsteres Gemälde betrachten, so erscheint mir die Welt jenseits des kleinen Gartens.

      Mein Blick fällt zu dem notdürftig zusammengezimmerten Carport, unter dessen Dach mein alter Pick-up steht. Die Scheiben sind angelaufen und auf der Motorhaube kann ich eine hauchdünne Schicht Raureif entdecken.

      Einen letzten Blick in die still gewordene Welt werfend, stapfe ich durch das hohe Gras zu meinem alten Wagen hinüber. Das Schleifen der Halme um meine Stiefel kommt mir wie das Zischen unzähliger Schlangen vor. Hinter mir bleibt eine nasse Spur im Gras zurück. Unwillkürlich blicke ich mich nach allen Seiten um, den Lauf des Gewehrs nach vorn gerichtet, den Zeigefinger auf dem kalten Abzug liegend.

      Vier Tage ist es her, dass ich den Shoggothen gesehen habe.

      Ich war gerade auf dem Weg zum Brunnen in der hintersten Ecke des Gartens gewesen. Um mich vor der morgendlichen Kälte zu schützen, trug ich einen dicken Morgenmantel. Der Anblick, den ich dabei abgegeben habe, muss wohl ziemlich lächerlich auf einen zufälligen Beobachter gewirkt haben. In den Händen hielt ich jeweils einen alten Blecheimer, die jahrelang im Schuppen in einer Ecke gestanden hatten und mir jetzt gute Dienste erwiesen. Denn keiner konnte sagen, wie lange es dauern würde, bis wir wieder mit fließendem Wasser versorgt werden würden. Und bis dahin würde ich das Wasser eben mühsam aus dem alten Brunnen holen müssen. Auch wenn die Zeiten im Moment schlecht erschienen, so wollte ich doch auf keinen Fall meine Aufgaben, Sarah betreffend, vernachlässigen.

      Und dazu gehörte es nun einmal, sie morgens und abends zu waschen und ihr zu den Mahlzeiten einen Tee zuzubereiten. Zumindest diesen letzten Teil ihrer Erinnerung an bessere Zeiten wollte ich ihr bewahren.

      Ich hatte an jenem Tag gerade die Hälfte der Strecke zwischen Veranda und Brunnen zurückgelegt und spürte die Kälte der Grashalme an den Schienbeinen, als mir im Augenwinkel eine Bewegung auffiel.

      Schlagartig blieb ich stehen. Seit Tagen war das Einzige, das sich in dieser Welt bewegt hat, mein Spiegelbild und Sarahs langsames Atmen gewesen. Selbst die Bäume und Sträucher scheinen an manchen Tagen erstarrt.

      Über der Wiese jenseits des Gartenzaunes hing feuchter Nebel, der mir wie Watte erschien. Den Waldrand am Ende des Feldes konnte ich schon nicht mehr erkennen.

      Zunächst traute ich meinen Augen nicht. Ich blinzelte und schellte mich in Gedanken bereits einen alten Narren, der beginnt, Geister zu sehen.

      Doch so sehr ich auch mit den Augen zwinkerte und mir schließlich sogar mit dem Ärmel des Morgenmantels durchs Gesicht fuhr, die Erscheinung war kein Trugbild.

      Mitten auf der Wiese, umhüllt von grauen Nebelschleiern, stand eine braune, hoch aufgerichtete Kreatur. Auf den ersten Blick dachte ich, der hagere Leib des Wesens sei mit Fell bewachsen. Doch je länger ich hinsah, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass die Kreatur vollkommen nackt war. Die Haut war braun mit schwarzen Flecken, als hätte man das Fleisch des Geschöpfes fest zusammengepresst und ihm anschließend die Haut abgezogen.

      Der Schädel erinnerte mich auf die Entfernung hin an die Form eines Hundekopfes.

      Spitze Ohren standen stachelgleich in die Höhe. Der Fang war leicht geöffnet.

      Ich konnte den kondensierenden Atem der Kreatur erkennen, wie er sich mit dem Nebel verband.

      Die Augen erschienen mir gelben Raubtieraugen gleich. Und sie waren auf mich gerichtet.

      Wir sahen uns an. Ich war unfähig mich zu bewegen. In diesen wenigen Sekunden schien die Zeit stillzustehen. Mein Verstand glitt ruhig dahin, und ich dachte unwillkürlich an das unheimliche Heulen, das ich seit einigen Nächten hörte.

      Einmal hatte ich geglaubt, in der Nacht Geräusche an der Verandatür zu hören. Schwerfällige Schritte und das Kratzen von Krallen auf Holz.

      Doch sie waren so schnell verschwunden, dass ich mich mit der Gewissheit, mich in den Fängen einer meiner Albträume zu befinden, wieder schlafen legte.

      Konnten diese Geräusche von jenem schauerlichen Wesen herstammen?

      Als mich die riesige Kreatur über den Gartenzaun hinweg anstarrte, ihr Atem stoßweise als weißer Dunst aus seinen Fängen aufstieg und ich plötzlich krallenbewehrte Klauen erkannte, wo sich Finger befinden sollten, wusste ich, dass ich in jener Nacht keinem Traum erlegen war.

      Ich kann heute nicht mehr sagen, wie lange wir so da in der Morgenkälte gestanden hatten.

      Die Zeit schien in diesem Moment keine Rolle mehr zu spielen.

      Irgendwann stieß das Geschöpf ein zorniges Schnauben aus.

      Ein Schwall weißer Wolken entstieg seinen Nüstern. Dann schüttelte es den Kopf, so dass ich selbst auf die Entfernung hin feine Wassertropfen aufspritzen sehen konnte. Die Nebelschwaden gerieten wie bei einem Theatervorhang in Bewegung.

      Schließlich wandte es sich ab, legte seinen Schädel schief, als lauschte es auf etwas, und rannte in weitausholenden Sätzen auf den nahen Waldrand zu.

      Noch bevor die Kreatur die ersten Bäume erreichte, wurde sie vom trostlosen Grau des Nebels verschluckt.

      Ich stand noch eine ganze Weile da, die Blecheimer in den Händen und starrte in die Richtung, in die das Wesen verschwunden war.

      Doch der Tag hatte zu seiner alten, gespenstischen Stille zurückgefunden, und die Landschaft lag reglos vor mir. Lediglich der Nebel bewegte sich träge über die weite Wiese.

      Ich weiß heute nicht mehr, wieso ich an die Shoggothen dachte, als ich diesem blasphemischen Geschöpf gegenübergestanden hatte.

      H.P. Lovecraft war seit meiner Kindheit mein Lieblingsschriftsteller. Und jene Kreatur auf der Wiese hatte nichts mit dem künstlich entwickelten Protoplasma gemein, das Lovecraft in seinem Cthulhu-Mythos als eine Schöpfung der `Großen Alten´ darstellte. Laut der Legende waren Shoggothen dazu in der Lage, temporäre Gliedmaßen aus ihrem Gewebe entstehen zu lassen, was sie zu effektiven Arbeitsgeräten der `Alten´ machte.

      Jenes Wesen auf der Wiese wirkte dagegen nicht wie stupides Protoplasma, sondern wie die Ausgeburt einer Hölle, die über die Erde gekommen war.

      Dennoch denke ich seit diesem Tag, wenn ich das furchterregende Jaulen in den Nächten vom Wald her höre, sofort an Lovecrafts Shoggothen.

      Als ich den Pick-up erreiche und den Schlüssel ins Türschloss stecken will, merke ich, wie sehr meine Hände zittern. Erst nach mehreren Versuchen kann ich knarrend die Tür öffnen. Abgestandene, nach Tabak stinkende Luft schlägt mir aus dem Führerhaus entgegen.

      Mein Gewehr lege ich auf den Beifahrersitz, auf dem Sarah früher immer mit mir zusammen zu Murphys Laden gefahren war. Seit ihrer Krankheit hat niemand mehr dort gesessen. Der Sitz symbolisiert etwas Heiliges für mich. Ebenso wie der verrostete Wagen es tut, denn es war unser Wagen gewesen.

      Gerade als ich einsteigen will, kommt mir ein Gedanke, der so schlicht ist, und der mich doch innerlich aufschreien lässt.

      So schnell es meine alten Knochen zulassen, laufe ich durch die Wellen des Grases zurück zur Hintertür. Als ich die Küche betrete, brauchen meine Augen einige Momente, um sich an das Dunkel des Hauses zu gewöhnen. Dann durchsuche ich