Es gefällt mir nicht, mich ohne Waffe und Kerze in dem dunklen Raum zu befinden.
Ich habe in den wenigen Tagen, in denen die Welt sich weitergedreht hat, gelernt, dass sich das Heulen der Kreaturen nur auf die Nacht beschränkt. Daraus schließe ich, dass sich die Geschöpfe, sofern es denn mehrere von ihnen gibt, am Tage in die Wälder zurückziehen. Oder an andere Orte, an denen es dunkel und still ist. Als ich die Kreatur auf der Wiese gesehen habe, war die Morgendämmerung noch nicht völlig hereingebrochen gewesen. Wahrscheinlich war es aus diesem Grunde so schnell in den Schutz des Waldes verschwunden.
Hätte mich dieses Geschöpf bei Nacht erspäht, wer weiß, ob ich dann noch leben würde. Endlich finde ich, wonach ich suche. Als sich meine Finger um den kalten Griff der Taschenlampe schließen, fühle ich mich augenblicklich wohler. Ich überprüfe ihre Funktion und atme erleichtert auf, als ein heller Lichtkegel die Dämmerung in der Küche zerschneidet. Zwar hat der Tag bereits begonnen, doch ich habe keinerlei Ahnung, wie die Welt jenseits des Zaunes aussieht. Auch wenn ich diesen Gedanken nie zulassen würde, so bin ich mir doch sicher, dass sich das Leben in den Hügeln, wie ich es bisher kannte, in einen düsteren Alptraum verwandelt hatte.
Ob dies mit den schrecklichen Nachrichten zusammenhängt, die ich im Fernsehen gesehen hatte, bevor alles auseinanderbrach, kann ich nicht sagen.
Dies ist ein weiterer Punkt, über den ich mich weigere, mir Gedanken zu machen. Die Zeiten haben sich geändert. So viel steht fest. Und alles, was noch zählt, ist jeden einzelnen Tag zu überleben, ohne wahnsinnig zu werden.
Mit der Taschenlampe bewaffnet laufe ich auf die Veranda hinaus und verharre dort. Ein Instinkt, den ich mir in den letzten Tagen angeeignet habe. Mein Blick wandert durch den verwilderten Garten, durch die Wipfel der Bäume, zum Schuppen und über den Rand des Brunnens. Überall, von wo aus Gefahren lauern können. Dann betrachte ich mir das weite Feld jenseits des Zaunes. Doch die Wiese liegt unbeweglich. Das Gras wirkt ausgedörrt. Kein Halm bewegt sich in der kühlen Morgenluft.
Der Geruch von feuchtem Gras und dampfender Erde steigt mir in die Nase, als ich zum Wagen zurückgehe. Während ich den Motor starte und sein rostiges Knattern das Schweigen der Welt zerstört, blicke ich zum Haus zurück. Meine Augen klettern die Fassade aus morschen, farblosen Holzlatten empor zu unserem Schlafzimmerfenster. Es widerstrebt mir, sie alleine zu lassen. Schon der Gang zum Brunnen, um Wasser zu holen, kommt mir vor wie eine halbe Ewigkeit, in der ich sie in ihrem stillen Zimmer zurücklassen muss.
Zu Murphys Laden sind es gut fünfzehn Minuten mit dem Wagen. Ich kann also frühestens in einer Stunde zurück sein, wenn ich all meine Einkäufe erledigen und mich nach Murphys Wohlbefinden erkunden will.
»Pass auf sie auf«, flüstere ich und blicke dabei in das düstere Grau des Himmels.
Ich weiß nicht, ob ich meine Worte wirklich an Gott richte. Doch er scheint der Einzige zu sein, den ich in dieser Welt noch um Hilfe bitten kann. Einen letzten Blick auf die Holzläden des Schlafzimmerfensters werfend, lege ich den Rückwärtsgang ein, was ein protestierendes Knirschen im Getriebe zur Folge hat, und fahre mit dem Wagen über den schmalen Pflasterweg zur Vorderseite des Hauses.
Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend lasse ich den Pick-up über den sandigen Weg bis hinunter zur Straße rollen.
Das Metall ächzt unter mir, und ich muss das Lenkrad mit beiden Händen festhalten, damit der Wagen nicht ausbricht.
Als ich die asphaltierte Straße erreiche, blicke ich mich nach allen Seiten um. Doch irgendwie weiß ich, dass ich die Strecke für mich alleine habe. Während ich den Hügel hinunter zu Murphys Hütte fahre, legt sich meine rechte Hand unwillkürlich auf den kalten Schaft des Gewehres.
Als das brüchige, graue Band der Straße an mir vorbeirauscht, habe ich das absurde Gefühl mich immer tiefer in eine surreale Welt hineinzuwagen.
Ich kenne die Gegend um die Hügel seit über vierzig Jahren. Jeder Baum und jede Unebenheit auf der Straße bedeuteten bisher für mich einen unverzichtbaren Teil meines Lebens.
Doch an diesem Morgen, dem ersten, an dem ich mein Haus verlasse, seit es begonnen hat, erscheint mir die Welt wie ein fremdartiges, fürchterliches Gemälde.
Als versuche Gott selbst seine Schöpfung zu verspotten.
Durch die dicke Wolkendecke dringt kaum Tageslicht. Die Sonne ist lediglich als blasser Schemen hinter grauem Dunst zu erahnen und taucht den Himmel in kränklichen Schimmer. Tiefe Schatten liegen über dem Land und verwandeln die Wälder und Felder in ein gespenstisches Kunstwerk. In den Senken der schwarzen Äcker hängen bleiche Nebelschwaden wie lange vergessene Seen.
Nichts ist mehr, wie es einmal war.
Das Land ist fremd. Als hätte sich ein Riss aufgetan und eine fürchterliche, leere Welt offenbart.
Plätze und Bäume, die mich stets an meine Zeit mit Sarah erinnert hatten, wirken plötzlich bedrohlich. Die Wälder düster und das Land aufgezehrt, als sei es jeglichen Lebens beraubt worden. Die früher nach Gras und Erde duftende Luft ist erfüllt mit dem herben Gestank von Zerfall.
Während das Land als unwirklicher Alptraum an mir vorüberzieht, sucht meine Hand unweigerlich den Weg zu dem altertümlichen Radio, das Sarah und mich in so manchen Vollmondnächten begleitete, als wir einfach nur am Straßenrand angehalten und uns gemeinsam die Herrlichkeit einer stillen, klaren Sternennacht betrachtet hatten. So althergebracht sich das auch im ersten Moment anhören mag, für zwei verliebte Menschen waren diese Augenblicke der Himmel auf Erden und sind unvergänglich.
Der Knopf des Radios gibt ein lautes Klicken von sich. Danach folgt lediglich statisches Rauschen.
Was hatte ich erwartet?
Meine Finger drehen am Sendersuchlauf. Doch ich weiß, dass ich selbst die kleine Station in Devon nicht empfangen würde. Dennoch drehe ich noch eine Weile, wobei sich das Rauschen mit schrillen Pfeiftönen abwechselt.
Keine Musik. Keine simplen Scherze, über die ich nie hatte lachen können und nach denen ich mich jetzt plötzlich so sehr sehne.
Keine Nachrichten, die mich bis in meine Albträume verfolgen.
Als ich das Radio wieder abschalte, bleiben das rostige Quietschen der Fahrerkabine und das träge Klopfen kleiner Steine gegen den Boden des Pick-ups zurück.
Das träge Dröhnen der alten Maschine erscheint mir plötzlich als das schönste Geräusch der Welt. Eines der wenigen Überlebenden aus der alten Zeit.
Ich schüttele den Kopf, um meine Gedanken klar zu bekommen.
Die gute alte Zeit.
Woher will ein alter Mann, abseits jeder größeren Stadt, wissen, ob die gute alte Zeit zu Ende ist? Wer hatte ihm denn gesagt, dass sie beendet sei?
Die wichtigste und gleichzeitig auch beängstigende Frage aber leuchtet wie eine grelle Neonreklame in meinem Kopf.
Was kommt nach der guten, alten Zeit?
Was konnte besser als gut sein?
Nach gut kommt schlecht, sage ich mir und spüre im gleichen Augenblick, wie sich eine düstere Trübung über meine Gedanken legt und jegliche aufkeimende Verzweiflung zu unterbinden sucht. Mit ausdruckslosen Augen starre ich in die bizarre Welt jenseits meiner mit Fliegen und Dreck beschmutzten Windschutzscheibe hinaus, wobei ich es vermeide, meinen Blick zu den Bäumen oder Feldern wandern zu lassen.
Ich möchte nicht daran erinnert werden, dass ich wohl nie wieder den vertrauten Anblick meiner Heimat sehen oder das Gefühl von Geborgenheit in mir spüren würde, wenn ich mich auf den Weg zu Murphys Laden mache.
Vielleicht habe ich auch einfach nur Angst davor, einen weiteren Shoggothen zu sehen.
Meine Augen starren stur auf das graue Straßenband, das mir verwaist und lange