Wildis Streng

Die letzte Kurve


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Die Ausbeute war heute besonders groß und vielfältig gewesen, ihr langer Waldspaziergang hatte sich gelohnt. Sorgfältig bürstete sie einen Pilz nach dem anderen ab, Maipilze, Morcheln, Stockschwämmchen und viele mehr. Dann schnitt sie sie mit einem scharfen Messer in Scheiben, um sie anschließend in einer Pfanne mit zerlassener guter Butter anzubraten und schließlich zu einem würzigen Pilzgericht für sich und ihren Mann zu verarbeiten.

      Ostermontag

      Kriminalkommissarin Lisa Luft blätterte in der Samstagsausgabe des »Hohenloher Tagblatts«. Sie und ihr Kollege Heiko Wüst hatten sich inzwischen gut eingelebt in dem kleinen Einfamilienhäuschen in Tiefenbach bei Crailsheim mit schönem Garten, das sie zur Miete bewohnten. Heiko biss in sein Erdbeermarmeladenbrot – in Hohenlohe »Breschdlingsxälzbrood« genannt.

      »In Langenburg ist Ostermarkt«, erklärte Lisa und nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse, während sie sich eine Strähne ihres langen blonden Haares aus dem Gesicht strich.

      Garfield, ihre rotgetigerte Katze, sprang auf ihren Schoß, richtete sich schnurrend dort ein und taxierte Heiko mit einem bösen Blick. Gedankenverloren streichelte Lisa die zuckenden Katzenohren. Sita, Heikos Rauhaardackel, bettelte winselnd um ein Stück Xälzbrood. Im Gehege in einer Ecke des Raumes scharrte Alfred, der Deutsche Riesenschecke, den sie bei ihrem ersten gemeinsamen Fall vom Sohn des Mordopfers bekommen hatten, energisch in der Einstreu. Er war heute schon ausgiebig gestreichelt worden, dabei legte er die eleganten nachtschwarzen Ohren immer eng an und duckte sich, um möglichst lang zu sein und viel Streichelfläche abzugeben. Inzwischen hatten Lisa und Heiko einige Mordfälle zusammen gelöst, und die Westfälin Lisa hatte die Hohenloher kennen und lieben gelernt – vor allem Heiko, mit dem sie seit zwei Jahren zusammenwohnte. »Und, was meinst du?«, hakte sie nach.

      Heiko, der immer noch kaute, ließ sein charakteristisches »Hm« vernehmen, ein Laut, der je nach Intonation wirklich alles ausdrücken konnte. Inzwischen war Lisa recht geübt im Verstehen der tatsächlichen Bedeutung dieser Lautäußerung, und dieses »Hm« klang wenig begeistert.

      »Ach, Bärchen, da ist es doch immer schön in Langenburg! Denk doch nur mal an die Gartentage!«, erklärte Lisa nun mit einem kleinen Lächeln.

      Heiko seufzte schwer. »Für Frauen vielleicht. Da kann man ja so gut einkaufen!« Heiko dachte mit Schaudern an seine Muswiesen-Erlebnisse, wo Lisa ihn zu stundenlangen Shopping-Exzessen gezwungen hatte. Anschließend hatte man tütenweise Zeugs mit heimgeschleift, das kein Mensch brauchte – die Krönung war eine Schaufel gewesen, die doppelt nutzlos war, weil jemand in ihr Blatt ein bezauberndes Gartenmotiv gelasert hatte und sie zudem völlig verrostet war. Das hässliche Ding steckte seit der letzten Muswiese in ihrem Beet und rostete fröhlich weiter vor sich hin. Witzigerweise fiel ihm gerade das Lied des Hohenloher Mundartsängers Kurt Klawitter ein, in dem er die Qualen der Männer während der »Langenburger Gartentage« besang. Wie überaus passend!

      »Wir müssen ja nichts kaufen!«, schlug Lisa vor, aber alles, was sie Heiko damit entlockte, war ein missbilligendes Schnauben. Ihr Zugeständnis war ganz einfach unglaubwürdig.

      »Ach komm schon, Bärchen.«

      Heiko aß den letzten Bissen seines Brotes, nicht ohne zuvor ein Stück in Sitas begeistert klappendes Hundemaul zu werfen. Er streichelte den glücklich kauenden Hund, dann gab er sich geschlagen: »Wenn es sein muss.«

      »Oder willst du lieber nach Bartenstein? Da ist auch Ostermarkt.«

      Heikos Miene hellte sich auf. »Ja, da ist Flohmarkt, das finde ich viel besser!«

      »Also gut, dann gehen wir nach Bartenstein«, zeigte sich Lisa kompromissbereit.

      »Bardastoa«, korrigierte Heiko.

      »Ja. Bahrtastooh.«

      Und keiner der beiden hätte gedacht, dass sie an diesem Tag letztendlich doch in Langenburg landen würden.

      Während Lisa und Heiko nach einer Weile auf der Landstraße durch Rot am See, Blaufelden und dann weiter in Richtung Schrozberg unterwegs waren, cruiste eine Gruppe Motorradfahrer, die zu den MFHC – den Motorradfreunden Hohenlohe-Crailsheim – gehörten, gerade auf der schmalen Landstraße, die sich an der Jagst entlangschlängelte. Sie ließen es ruhig angehen, keiner raste. Viel zu groß war die Euphorie über das wunderschöne Wetter, zu überwältigend die Landschaft. Sattgelb leuchtete der Löwenzahn auf den Uferwiesen, die Zweige der Weiden strahlten in grellem Hellgrün. Sie passierten Obstbaumwiesen, in Hohenlohe »Booma­ländle« genannt. Einige der knorrigen Baumbestände trugen nur zartgrüne Blätter, andere hingegen waren von Blüten überzogen wie von federleichten großen Schneekristallen. Einzelne dieser Blütenblätter regneten dann und wann auf die Motorradfahrer herab. Allerdings spürten sie die zarten Berührungen nicht, denn sie alle trugen Schutzkleidung, einige stylische Lederkluft, je nach Philosophie. Sie passierten die kleine Wirtschaft in Elpershofen, bogen rechts ab in Richtung Hürden und dann weiter nach Großforst, wo sie sich kein bisschen über die auf der angrenzenden Weide umherstolzierenden Strauße und die weidenden Lamas wunderten – die »Jagsttalranch« war einer ihrer beliebten Treffpunkte, und auch heute machten sie hier eine Pause, um einen Kaffee zu trinken und hervorragende Straußeneiwaffeln zu verzehren.

      »Unglaublich, jetzt wohne ich seit vier Jahren in Hohenlohe, aber hier war ich noch nie«, stellte Lisa fest, als sie dem BMW M3 entstieg, den Heiko entgegen aller Bedenken ihres Chefs Schorsch auch als Dienstwagen nutzte.

      Sita hüpfte begeistert aus dem Wagen, auch der Rauhaardackel schien sich über das schöne Wetter zu freuen. Heiko hatte das Auto an einer Straße geparkt, die zwar offiziell eine Landstraße war, auf der jedoch keine zwei Fahrzeuge aneinander vorbeikämen – beide mussten bei einer Begegnung auf das Bankett der von Obstbäumen gesäumten Straße ausweichen. Sie ließen die Scheunen eines Hofs links liegen und wanderten die Straße entlang, bis sie nach etwa 200 Metern zum Ortseingang gelangten. Leute kamen ihnen entgegen, die bereits auf dem Rückweg waren und die die typische Flohmarktbeute trugen – alte Bilder, Kleinmöbel, Lampen, Gruscht aller Art.

      »Wir waren schon ewig nicht mehr auf einem Flohmarkt«, fiel Heiko ein, als er seine Hand in Lisas schob. Es fühlte sich gut an, er war gern mit ihr zusammen. Und erst neulich hatte seine Mutter ihn wieder gefragt, wann er seine Lisa, diese Traumfrau, denn endlich heiraten würde. Aber Heiko war der Meinung, dass man das gar nicht unbedingt musste. Er liebte sie, und sie liebte ihn. Und zusammen mit den Tieren waren sie doch bereits jetzt eine kleine Familie. Das reichte vollkommen aus, dazu brauchte es keinen solchen Romantikkram. Und Lisa selbst verlor kein Wort darüber, deshalb nahm er an … Verdammt, jetzt hatte er nicht aufgepasst, und Lisa hatte ihn zu einem Tisch mit Schmuck gezogen, den sie ausgiebig studierte. Heiko wechselte einen Blick mit Sita, die dem Graffel wohl ebenso wenig abgewinnen konnte wie er.

      Lisas blaue Augen streiften hingegen die Art-Déco-Broschen. »Hübsch«, fand sie und langte nach einer, die ungefähr die Farbe ihrer blonden Haare hatte. »Was soll die denn kosten?«, fragte sie den Mann hinter dem Tapeziertisch. Dem Verkäufer fehlten vorne zwei Zähne und trotz der relativen Wärme trug er einen blauroten Fleecepulli mit Rollkragen. Seine grauen Haarsträhnen wackelten, als er antwortete. »Für Sie, meine Hübsche, nur einen Zehner!«

      Lisa schenkte dem Mann ein Lächeln und bot an: »Für einen Achter nehme ich sie mit!«

      Der Mann grinste. »Aber nur, weil Sie es sind!«

      Nach einer knappen Stunde war die Gruppe der Motorradfreunde Hohenlohe-Crailsheim wieder aufgesessen und folgte der Straße weiter, passierte die »Mosesmühle«, ein hervorragendes Restaurant an der kleinen Jagstinsel in Bächlingen, und bog endlich in die Serpentinenstraße ein, die der legendäre Walter Röhrl bei den »Langenburg Classics« einst unzählige Male in atemberaubender Geschwindigkeit bezwungen hatte. Endlich gelangten sie nach Langenburg, wo sie zu ihrer Verwunderung alle einen Parkplatz vor dem Schloss des Fürsten Philipp bekamen. Philipp zu Hohenlohe-Langenburg war nun, da Meghan ihr erstes Kind bekommen hatte, nur noch auf Platz 190 in der englischen Thronfolge – das bedeutete, dass man 189 Leute umbringen müsste, damit ein Hohenloher den englischen Thron besteigen könnte. Das wäre womöglich vernünftig, denn Hohenloher waren einfach vernünftige