Motorradtruppe und mit seiner Frau, und auch darüber, dass die Susi mit ihrer langen schwarzen Mähne heute mal wieder besonders scharf aussah. Für einen Moment dachte er daran, wie ihn diese Mähne neulich gekitzelt hatte, als sie sich mit ihrem gertenschlanken Körper auf ihm gewunden hatte. Dann schob er seine Hand in die von Christine.
In der Zwischenzeit wanderten Lisa und Heiko durch den Flohmarkt in der Bartensteiner Hauptstraße und erreichten endlich das Schloss.
»Das ist schon faszinierend, dass hier in jedem Dörflein ein Schloss steht, einfach so«, wunderte sich Lisa, als sie neben Heiko vor dem gelben Barockgebäude stand. »Da würde ich auch gern wohnen«, setzte sie hinzu und warf einen sehnsüchtigen Blick auf den opulenten Bau.
»Und dann würdest du gern so Prinzessinnenkleider anziehen wie alle kleinen Mädchen, oder?«, grinste Heiko und zupfte neckisch an einer von Lisas blonden Haarsträhnen.
»Aber natürlich!«, versicherte Lisa grinsend. »Das würde ja absolut dazugehören! Und du könntest dann so ein Königskostüm aus blauem Samt mit weißen Hermelin-Puffärmeln anziehen, eine Krone tragen und auf einem weißen Pferd herumreiten.«
»So weit kommt’s noch!«, wiegelte Heiko ab.
»Des Schloss können Sie fai mieten«, meldete sich plötzlich jemand neben ihnen.
Lisa entdeckte einen älteren Mann mit Spazierstock und Hut, der sie anerkennend musterte. »Ach, tatsächlich?«, vergewisserte sie sich, und Heiko runzelte die Stirn. So ein Quatsch, sie hatten doch ein schönes Häuschen in Tiefenbach, das war vollkommen ausreichend!
»Der Fürst Maximilian von Hohenlohe-Bartenstein vermietet eine der Wohnungen«, informierte der Mann weiter und deutete mit seinem Stock unbestimmt in Richtung des Schlosses. »Also ii briiechds etz net, weil ii wouhn ja in Bardastaa. Aber wenn mer etz net in Bardastaa wouhnt, noa wär des also eine Möglichkeit, dass mer amole in am echta Schloss wouhna kennt, und noch derzua in Bardastaa!«
»Sousou!«, machte Heiko.
»Das könnten wir direkt mal machen, meinst du nicht, Bärchen?«, fragte Lisa. »Also, ich fände das cool!«
Der Motorradclub, der soeben über die Jagsttalstraße nach Langenburg gefahren war, erlebte derweil ein ganz ähnliches Szenario. Während Richard und Manfred sowie die vier Jungen Timo, Simon, Max und Jan sich etwas zurückfallen ließen, umschwirrten die Damen wie Kolibris auf der Suche nach Nektar die Stände, an denen Körbe, allerlei Osterkitsch, von guatemaltekischen Bauern handgenähte Taschen, von nepalesischen Strickerinnen handgestrickte Pullover und von hohenlohischen Bienen gesammelter Honig angeboten wurden. Auch Bernulf Schlauch hatte einen Stand mit seinem selbstgemachten Holundersekt und seinem berühmten Hutzellikör, den sie leider nicht probieren konnten, da sie ja noch fahren mussten. Einzig Susi interessierte sich wenig für die Auslegeware, sondern positionierte sich vor hübschen Locations wie dem schön dekorierten Osterbrunnen, um ein Duckface zu ziehen und ein heißes Foto für ihre 5.478 Instagram-Follower zu schießen.
Max Wengert, der genau wie sein Vater ein begeisterter Biker war, ließ Susanne die ganze Zeit über nicht aus den Augen. Vor fünf Jahren hatten sie einmal was miteinander gehabt, damals, sie waren ja fast noch Kinder gewesen. Und die Susi war sich ihrer Schönheit, ihrer Anziehungskraft, die sie auf die Männer ausübte, noch gar nicht bewusst gewesen. Sie hatte die lange Mähne meistens zu einem Pferdeschwanz gebunden und war in Schlabberpullis herumgelaufen. Jetzt aber, jetzt wusste sie, wie schön sie war. Längst hatte sie ihren Augenaufschlag perfektioniert, die nachlässige Geste ihrer Hand, mit der sie sich scheinbar zufällig falsch gefallene Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. Das abschätzige Schürzen der vollen Lippen, wenn sie nachdachte. Ach, wie es gewesen war, diese Lippen zu küssen, damals, vor fünf Jahren! Weich und samtig waren diese Lippen. Wunderschön! Heute waren sie Freunde, das war okay. Ging schon. Außerdem hatte sie ja einen neuen Freund, und mit dem wollte sich Max nun wirklich nicht anlegen.
Auch Jan, der eine quasi selbstgebastelte Kutte trug, weil er fand, dass zu einem Motorradclub eine Kutte gehörte, hätte sich niemals mit Susis neuem Freund angelegt, obwohl er die Susi wirklich extrem scharf fand. Außerdem war er ja mit Lydia zusammen, der schönen, aber ein bisschen braven Lydia. Die studierte in Leipzig und war nur einmal im Monat da. Sie war ein Rohdiamant, durchaus, sie konnte ein bisschen geschliffen werden bei Bedarf, er musste sie nur dazu kriegen, den Motorradführerschein zu machen, dann könnte sie der Susi das Wasser reichen, beinahe jedenfalls.
Die beiden Jungs beobachteten nicht nur Susi. Ihre Blicke folgten auch argwöhnisch jeder Bewegung von Timo, der als Einziger im Club eine ältere Moto Guzzi fuhr. Denn Timo war es, der gerade mal wieder die Susi zum Lachen brachte, mit einer hingeworfenen Bemerkung aus seinem von einem Hipster-Bart umrundeten Mund. Die geschleimte Frisur darüber passte zum Look, genau wie die genietete Lederjacke. Er war die Sorte Mann, bei der man sich fragte, ob der Betreffende nicht vielleicht doch schwul war – womöglich, ohne es selbst zu wissen. Jedenfalls ärgerte es die anderen beiden, dass die Susi jetzt ein Selfie mit dem Hipster schoss, wahrscheinlich für ihren Instagram-Account. Obwohl sie sich das Posten in dem Fall eventuell verkneifen würde, denn das würde garantiert ihr Kerl sehen, und vor dem hatten sie, wenn sie ehrlich waren, alle ein bisschen Schiss. Der war nämlich …
»Wie wär’s mit einem Kuchen?«, schlug Manfred plötzlich vor.
»Ich liebe Wibele-Torte!«, stimmte Ulrike, seine Frau, zu.
Wenige Minuten später ergatterte die Gruppe einen Platz auf der begehrten Sonnenveranda des Café Bauer, von der aus man eine überwältigende Aussicht ins Tal Richtung Bächlingen hatte. Diejenigen von den MFHC, deren Bikes nicht über ein Case verfügten, hatten ihre Helme an der Garderobe gelassen, und alle genossen die wärmenden Strahlen der Sonne, denen man hier voll ausgesetzt war. Und noch ein bisschen später hatten sich alle ein Stück dieser leckeren Torte bestellt, für die das Café Bauer berühmt war, knusperten Wibele dazu und tranken Kaffee.
Christine beobachtete die Susi. Die schöne, tolle Susi, hinter der sie alle her schmachteten. Die Susi. Die blöde Schlampe, die alle Männer verrückt machte. Dabei war sie liiert, man munkelte, mit einem von den ganz Großen. Aber das genügte der schönen Susi nicht, sie brauchte mehr. Christine bezweifelte, dass sie die Heerschar der älteren sabbernden Kerle, die sie beständig angierten, tatsächlich ranließ. Und natürlich war ihr nicht entgangen, wie Richard dieses Weib mit Blicken verschlang. Ungeniert anstierte, auch in ihrer Gegenwart, das war ihm scheißegal. Oder er hielt sie für zu blöd, es zu bemerken. Beides war gleich beschissen. Ein Lachen perlte von den sinnlichen Lippen der schönen Susi, weil der bedauernswerte junge Schönling Timo, der ihr hoffnungslos verfallen war, wohl irgendeinen dümmlichen Witz gemacht hatte. Und das, obwohl der auch eine Freundin hatte, eine ganz nette. Die Susi konnte sie alle haben, anders als sie, Christine. Sie sah zwar auch nicht schlecht aus und war eigentlich ganz zufrieden mit sich. Aber an die schöne Susi kam sie nicht heran, denn die war einfach eine Sexbombe. Und das war okay, es gab solche Frauen und würde sie immer geben. Aber wenn die einmal ihren Richard anfassen würde, dann gnade ihr Gott.
Lisa und Heiko schlenderten unterdessen weiter Hand in Hand durch das sonnenbeschienene, frühlingshafte Bartenstein, und Sita wartete ebenso geduldig wie Heiko, wenn Lisa irgendeinen Krempel anschauen oder kaufen wollte. Irgendwann fand Heiko auch mal was, einige Fossilien aus dem Jagsttal, Hohenloher Muschelkalk und roten Jaspis für seine Mineraliensammlung im Büro. Und schließlich beschlossen sie, eine Pause zu machen und einen Kuchen zu essen.
Die Gruppe der MFHC hatte fast zwei Stunden lang die Aussicht über das Jagsttal Richtung Bächlingen genossen, im Westen lag das Fürstenschloss und im Osten das Mawell, »Mayer’s Wellness«, wo die Hohenloher in einem Wellness-Park entspannen konnten. Es war traumhaftes Wetter, und man beschloss, gemeinsam weiterzufahren, in Richtung Braunsbach.
Richard nahm seinen Helm von der Hutablage, genau wie einige andere. Kurze Zeit später hatten sie wieder den Parkplatz zwischen dem Automuseum und dem Hohenloher Kunstverein erreicht. Richard Wengert strich sich eine Strähne seines lockigen mittelbraunen Haares zurück, setzte seinen Helm auf und wunderte sich nur kurz über den etwas seltsamen Geruch. Wirklich ekelhaft, er würde mal wieder ein Reinigungsspray anwenden müssen.
Zwei