wem?«
»Vom Englischlehrer. In Hohenlohe ›Schullehrer‹ genannt. Hört sich aber meistens eher wie ›Schuhleerer‹ an.«
»Aha.« Lisa grinste und wunderte sich dann: »Und was macht die Queen in Langenburg?«
»Ich glaube, Philipp ist der Bruder von Fürst Krafts … Mutter?«
»Kraft?«
»Der Vater des jetzigen Fürsten.«
»Ach so.«
»A reechder Mou!«
»Wer?«
»Der Fürst. Fürst Philipp.«
»Ach so. Na, dann essen wir doch mal so eine Wibele-Torte, oder?«, schlug Lisa vor und visierte die Bedienung an, die augenblicklich mit einem gezückten Tablet erschien und mit leicht hochgezogenen, perfekt gezupften Augenbrauen nach ihren Wünschen fragte. Lisa und Heiko bestellten die Wibele-Torte, Heiko einen Kaffee dazu und Lisa einen Latte Macchiato.
»Und, was denkst du? War es Mord?«, wollte Lisa wissen und riss Heiko, der wieder sinnierend in Richtung Tal geschaut hatte, damit aus seinen Gedanken. Der hohenlohische Kommissar zuckte die Achseln und fuhr sich mit der großen Hand durchs Haar, das ehemals beinah schwarz gewesen war, nun aber deutlich von grauen Stellen durchzogen wurde – immerhin gingen sie beide inzwischen auf die 40 zu.
»Rein vom Bauchgefühl her, meinst du?«
»Ja. Nur so.«
»Dann … inzwischen … irgendwie ja. Ich weiß nicht, warum. Ist nicht das Naheliegendste, aber könnte sein.«
»Wir werden sehen«, meinte Lisa und folgte mit Blicken der Bedienung, die erst an einem anderen Tisch einen Kaffee abstellte und anschließend zu ihnen kam und die Tortenstücke und Getränke lieferte. »Das sieht ja toll aus«, fand Lisa und betrachtete begeistert die cremefarbene Köstlichkeit mit den knusprigen Wibele als Krönung. Zwei kakaodunkle Böden mit einer Schokolade-Wibele-Creme dazwischen, darüber ein heller Bisquit, alles mit mehreren Schichten Sahnecreme, Schokosoße, Sahne und natürlich Wibele als Topping. Über Kalorien sollte sie da nicht nachdenken, wollte sie kein schlechtes Gewissen bekommen. Sie hatte ein paar Kilo zugenommen, seit sie hierhergezogen war. Aber sie ging immer noch als schlank durch und gefiel sich.
»Sie, entschuldigen Sie bitte«, bremste Heiko die Bedienung aus, die schon wieder den Rückzug antreten wollte.
»Ja?«, erwiderte die Dame, bemüht freundlich – sie war offenbar im Stress.
»Vor ungefähr zwei Stunden war hier eine Gruppe Biker«, begann Heiko.
Die Dame tat gar nicht erst so, als wüsste sie nicht, was Heiko meinte. »Ist einer von denen da unten verunglückt?«, fragte sie zurück, flüsternd und irgendwie ehrlich schockiert.
Heiko nickte. »Ja.«
»Und welcher?«
»Ein Mann um die 50.«
»Mit Schnurrbart?«
»Nein, ohne. Erinnern Sie sich?«
Die Bedienung dachte kurz nach und meinte dann: »Ja. Aber der mit Schnurrbart hat mehr Trinkgeld gegeben.«
Heiko biss sich auf die Lippen, um sich sein innerliches Grinsen nicht anmerken zu lassen. So wurde man von Servicefachkräften in Erinnerung behalten.
»Sie glauben gar nicht, wie viel Gewese manche um zehn Cent machen!«, erläuterte die Bedienung, die offenbar seinen Gedankengang erraten hatte. »Da freut man sich eben über ein anständiges Trinkgeld.«
»Hm«, machte Heiko. »Können Sie sich sonst noch an was erinnern, bei der Gruppe?«
»Eine ausnehmend Hübsche war dabei. Hat wie ein Model ausgesehen.«
»Ach, tatsächlich?«, wunderte sich Lisa, obwohl Heiko sofort klar war, dass damit Susanne Schneider gemeint sein musste.
»Ja, und die vier jüngeren Kerle haben die die ganze Zeit zu unterhalten versucht, aber die hat meistens auf ihrem Handy rumgedrückt und zwischendurch so ziemlich allen heiße Blicke zugeworfen.«
»Wirklich allen? Auch dem mit dem wenigen Trinkgeld?«
»Wenig war es ja nicht«, relativierte die Servicefachkraft. »Nur weniger.«
»Ach so, ja«, erinnerte sich Heiko. »Jedenfalls – dem auch?«
Die junge Frau zuckte die Achseln, bevor sie antwortete: »So genau hab ich das nicht mitgekriegt. Aber die anderen beiden Damen waren, glaub ich, nicht so gut auf die zu sprechen. Die haben sich nur miteinander unterhalten.«
Wie ungewöhnlich!, dachte Lisa sarkastisch. Kein Wunder, wenn man eine solche Erscheinung im Motorradclub hatte. Da war die Konkurrenz ja uneinholbar. Die Kommissare begannen nebenbei, ihre Torte zu essen und den Kaffee zu trinken, alles schmeckte ganz wunderbar.
»Wir müssten auch noch die Gäste befragen«, erklärte Heiko der jungen Frau, die jetzt etwas unschlüssig ihr Tablet in den Händen drehte.
»Da muss ich die Geschäftsleitung fragen«, meinte sie unbestimmt.
»Das müssen Sie nicht«, widersprach Heiko, »wir befragen die Herrschaften so oder so. Aber wir versprechen, diskret vorzugehen.«
Die Bedienung stieß Luft durch die gespitzten Lippen aus, war offenbar etwas ratlos, drehte weiter das Tablet. Dann wurde sie an einen anderen Tisch gerufen und verschwand beflissenen Schrittes.
»Unglaublich, was die in so kurzer Zeit über diese Motorradler rausgekriegt hat«, fand Lisa und betrachtete ein Wibele, um die eine Hälfte abzubeißen und den vanilligen Zuckerschaum zu genießen. Die andere Hälfte landete in Sitas Maul.
»Manche haben halt eine gute Beobachtungsgabe«, erklärte Heiko und nahm einen Schluck aus seiner Tasse.
»Und wie sollen wir jetzt weiter vorgehen? Denkst du, die Familie ist heute Abend ansprechbar?«, überlegte Lisa.
»Das können wir probieren. Der Uwe wird ja seine Ergebnisse nicht vor morgen haben.«
»Wenn der Kerl wirklich vergiftet worden ist, dann ist das da unten auch kein Tatort«, machte Lisa weiter.
»Dann haben wir ein Problem«, seufzte Heiko. »Aber das wäre nicht unser erster komplizierter Fall. Denk mal an den Klingler, der lag ja schon zwei Wochen im Holzboden.«
»Ja, das war nicht schön«, stimmte Lisa zu und dachte voller Schaudern an den damaligen Leichenfund zurück.
Später befragten sie noch die Gäste, vor allem die Gaffer, die sämtlich ahnungslos taten, aber niemand konnte etwas Brauchbares zum Fall beitragen.
Es war Nacht am Degenbachsee, einem kleinen See bei Alexandersreut in der Nähe von Weipertshofen. Der silberne Mond spiegelte sich im Wasser, und der See wäre recht ruhig und friedlich dagelegen, hätte hier nicht ein weiteres Motorradtreffen stattgefunden. Hier ging es allerdings nicht so gediegen zu wie in Langenburg, keines der Mitglieder der »Tarantel« wäre dazu zu bewegen gewesen, auf den dortigen Ostermarkt zu gurken und dort Kaffee und Kuchen in sich hineinzustopfen, bevor man brav und gutbürgerlich wieder nach Hause fuhr, um nach dem Sandmännchen oder vielleicht noch der Tagesschau artig ins Bett zu gehen. »Kaffeefahrt« nannten sie verächtlich das, was manche Vereine in der Gegend veranstalteten, hochgradig lächerlich war das. Nein, die »Tarantel« war ein richtiger Motorradclub, nicht so ein Pussy-Verein wie die MFHC, das fanden die Mitglieder zumindest. Im Gegensatz zu den MFHC hatten die »Taranteln« eine Kutte, wie es sich gehörte. Eine lederne, echte, mit einem Tarantelaufnäher. Taranteln waren gefährliche Tiere, unberechenbar, und das passte. Es war noch zu kalt zum Baden, aber einige hatten trotzdem ihre Shirts ausgezogen und wärmten die noch winterlich blasse Haut mit mal mehr und mal weniger Haaren am Feuer, das sie gemacht hatten. Die normalen Leute hatten sich längst vom See verzogen. Überhaupt wurde der Degenbachsee um diese Jahreszeit höchstens von ein paar Verrückten besucht, die die Freibadöffnung nicht abwarten konnten